Predigt zum Sonntag „Reminiscere“ - 4.3.2012 Textlesung: Jes. 5, 1 - 7 Wohlan, ich will meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Wein- berg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe. Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte. Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg! Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte? Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er verwüstet werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde. Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen. Des HERRN Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit. Liebe Gemeinde! Es kann ja wohl nicht so sein, dass wir Geschichten wie diese nur wie einen Bericht über das Leben in uralter Zeit hören: Wohl informativ und interessant, aber ansonsten ist nichts enthalten, was uns irgendwie nahe kommt, betrifft oder gar eine wichtige Botschaft für uns hat. Mit anderen Worten: Wenn uns diese Geschichte nur etwas über die Zeit des Jesaja erzählt und was Gott damals mit dem Haus Israel und den Männern von Juda erleben musste, warum sollten wir sie dann hören und bedenken? - Nein, das kann nicht sein. Wir lesen hier in der Bibel! Und Gottes Wort in der Heili- gen Schrift will immer auch uns Menschen dieser Zeit ansprechen, denn sein Wort ist ein ewiges Wort! Aber was ist es, was Gott uns uns hier sagen will? Wenn wir die Geschichte einmal von allem entkleiden, was irgendwie in die damalige Zeit gehört, dann müsste eigentlich ihre Botschaft für uns übrig bleiben. Schon beim ersten Lesen oder Hören ist ja eines klar: Mit dem „Freund“ ist Gott gemeint, er ist der Besitzer des Weinbergs. Aber nehmen wir jetzt zuerst das Bild vom Weinberg weg, das die Menschen in der Zeit des Jesaja sicher viel unmittelbarer angesprochen hat. Dann bleibt jetzt schon recht wenig zurück, nämlich nur das, was mit dem Weinberg eigentlich gemeint ist: das „Haus Isra- el“ und die „Männer Judas“, für die sich Gott einmal viel Mühe gemacht hat. Und noch etwas bleibt übrig: Dass Gott dem Haus Israel jetzt zürnt und es bestrafen will. Und wir erfahren auch, warum Gott so zornig auf sein Volk ist, das er einst auserwählt hat unter den Völkern: Statt „Rechtsspruch herrscht Rechtsbruch“ und statt „Gerechtigkeit hat sich Schlechtigkeit verbreitet“. Wenn wir es jetzt in einem Satz ausdrücken sollten, was Gott in dieser Geschichte seinem Volk durch seinen Propheten ausrichten will, dann könnten wir es so sagen: All meine Mühe um euch war umsonst, ihr seid undankbar! - Wenn es nun dies wäre, was Gott auch uns sagen möchte? - - - Ein Mann von heute 36 Jahren ist mit 18 in eine Partei eingetreten, eine Partei mit einem „C“ im Namen. Er war christlich erzogen, und die Entscheidung für eine christliche Partei hatte er durchaus ganz bewusst getroffen. Er wollte den Menschen dienen, wollte sich für die Belange der einfachen Leute einsetzen und dafür arbeiten, dass sie zu ihrem Recht kommen. Deshalb hatte er auch Jura studiert und eine Anwaltslaufbahn begonnen. Dann aber wurde er in ein Parteiamt berufen und er stieg die Karriereleiter eine Sprosse nach der anderen hinauf. Heute sitzt er im Bundestag und war auch schon einige Male im Fernsehen zu sehen: talk-shows, Bericht über einen Tag in seinem Wahlkreis, Interviews... Aber es ist seltsam: Die Fragen der Journalisten nach dem wichtigsten Ziel seiner politischen Arbeit sind ihm sichtlich unangenehm. Und wenn er zur großen Kluft zwischen Arm und Reich, zu klaren Missständen in Staat und Verwaltung und zu ungerechten gesellschaftlichen Verhältnissen Stellung nehmen soll, weicht er aus. Auch sucht er nicht den Kontakt mit den einfachen Menschen, eher mit den Parteigenossen und mit einflussreichen Leuten aus der Finanzwelt und Wirtschaft. Irgendwie hat er sich verändert, seit ihm der Sprung nach Berlin gelungen ist. Eine Frau - nachdem sie schon einige Jahre im Kirchenvorstand ihrer Kirchengemeinde gesessen hat - ist jetzt ins Leitungsgremium ihres Dekanats gewählt worden. Hier werden die wirklich wichtigen Entscheidungen getroffen, Entscheidungen, die auch für die Kirchenvorstände der Deka- natsgemeinden verbindlich sind. Immer in den vergangenen Jahren hatte sie sich gewünscht, einmal in dieses Gremium berufen zu werden. Besonders dann, wenn sie im Kirchenvorstand wieder einmal überstimmt worden war. Wenn sie ganz ehrlich wäre, müsste sie zugeben, dass sie einmal für etwas angetreten ist, was man vielleicht mit Gemeindeaufbau und Förderung der Jugend und Seniorenarbeit beschreiben könnte. Das aber ist anders geworden. Heute reizt sie auch die größere Macht, die ihr das höhere Amt im Dekanat verleiht. Manchmal hat sie schon gedacht, dass sie eine Entscheidung nur darum abgelehnt oder mitgetragen hat, weil das den früheren Kolleginnen und Kollegen aus dem Kirchenvorstand nicht gefällt. Wirklich: Die Sache, um die es ihr einmal ging, hat sie etwas aus den Augen verloren. Ein noch junger Mensch, der vor zwei Jahren erst konfirmiert worden ist, hatte einmal vor, die Verbindung zum Pfarrer und zur Gemeinde nicht abreißen zu lassen. Er wollte es anders machen, als die meisten Altersgenossen, die sich nach der Einsegnung für viele Jahre, manchmal für immer von ihrer Kirche verabschieden. Und er wollte das nicht nur deshalb so halten, weil er es für seine Pflicht hielt, als konfirmierter Christ auch so zu leben, wie es einem Christen ansteht. Nein, er hatte auch Freude an der Sache gehabt und er hatte in der Konfirmandenzeit zum Glauben an Jesus Christus gefunden. Da konnte er doch nicht nach der Konfirmation so tun, als wäre ihm das alles unwichtig gewesen. Aber es ist doch so gekommen, wie er es nie wollte und gedacht hätte. Zuerst ging er nicht mehr so oft in den Gottesdienst. Dann ließ er sich auch im Jugendkreis nicht mehr sehen. Inzwischen ist ein dreiviertel Jahr vergangen seit er Kirche oder Gemeindehaus betreten hat. Vor Tagen, als er einen anderen Jugendlichen getroffen hat, der auch in den Jugendkreis ging, ist ihm das auf einmal aufgegangen. Und eigentlich schämt er sich dafür, dass er es genauso gemacht hat, wie die meisten. - Aber ob er jetzt noch einmal in seine Kirchengemeinde zurückfindet und die Verbindung neu aufnehmen kann? Liebe Gemeinde, das waren nur drei Beispiele für dieses Bemühen Gottes um uns und wie Mensch- en darauf antworten. Es gäbe noch viele andere, mindestens so viele, wie heute Gottesdienstbesucher in dieser Kirche sind. Und diese Mühe Gottes bezieht sich nicht nur auf un- sere religiöse Einstellung oder unseren Glauben. Er arbeitet sozusagen nicht nur an unserem Herzen oder unserer Seele. Jede gute Gabe, die wir auf unseren Lebensweg mitbekommen haben, alles, was wir können, jedes Talent, ist uns von Gott geschenkt. Wenn uns etwas gelingt, uns etwas Freude macht, wenn uns Liebe umgibt und wir Fürsorge von unseren Mitmenschen erfahren, dann schickt Gott uns das. Er ist der Grund all dessen, was uns an Schönem und Gutem begegnet. Und auch das Schwere kommt von ihm und er hilft uns dabei, dass wir es bestehen können. Aber ich bin ganz sicher: Jetzt wo wir das hören und spüren und wissen, dass es wirklich so ist, geht uns auch auf, dass wir all diese Mühe Gottes um uns lange nicht mehr angemessen beachtet und wahrgenommen haben. Und gedankt haben wir schon gar nicht dafür. Und wenn uns das jetzt klar wird, dann ist es auch nur noch ein Schritt dahin, dass wir erkennen: Wir waren und sind nicht nur undankbar, sondern wir haben auch oft genug Gott für seine Güte mit ganz anderer Münze zurückgegeben: Er hat uns mit Liebe überschüttet, wir haben diese Liebe für selbstverständlich gehalten. Er gab uns alles, was zum Leben nötig ist und noch viel mehr, wir haben nichts davon geteilt. Er hat uns Stunden der Freude geschenkt, wir haben anderen trübe Stunden bereitet. Er hat uns in aussichtsloser Lage geholfen, wir haben uns die Rettung selbst zugeschrieben. Sehr viel, was unser Leben schön und lebenswert macht, haben wir nicht verdient, aber wir sehen auf die herab, die nicht so viel Glück hatten. Der Weinberg Gottes damals, die Bürger zu Jerusalem und die Männer Judas haben auch dann keine Frucht gebracht, als Gott seinen Propheten zu ihnen gesandt hat. Alles Mühen Gottes um sie hatte keinen Erfolg. Gottes Weinberg heute sind wir, jede und jeder von uns. Jeden Tag neu müht sich Gott um uns, dass wir Frucht bringen für ihn und unsere Nächsten. Die Frucht, die Gott von uns erwartet heißt Liebe und Dankbarkeit. AMEN