Predigt zum 1. Sonnt. nach Epiphanias - 8.1.2012 Textlesung: 1. Kor. 1, 26 - 31 Seht doch, liebe Brüder, liebe Schwestern auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist, damit sich kein Mensch vor Gott rühme. Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, damit, wie geschrieben steht (Jer. 9,22-23): „Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!“ Liebe Gemeinde! Das sind ganz wunderbare Worte, finde ich. Das sind aber auf der anderen Seite auch sehr frag- würdige Worte, die in unseren Ohren nach falschem Trost und Beruhigung klingen, wenn wir schwach sind und darum Unrecht leiden. Wunderbar sind diese Verse, weil sie uns - wenn sie wahr wären - Kraft und Mut schenken könn- ten. Weil sie uns aufbauen in unserer Ohnmacht und Schwäche und uns zusagen, dass wir gerade da ganz nah am Herzen Gottes sind. Fragwürdig sind diese Verse, weil uns die Wirklichkeit dieser Welt eigentlich genau das Gegenteil lehren will: Dass nämlich sehr wohl die Starken berufen scheinen und die Schwachen von ihnen an die Wand gedrückt und klein gehalten werden. Und es sieht oft genug so aus, als stünde Gott mehr auf der Seite der Starken und Mächtigen! Was ist denn nun richtig? Ist es gut, vor Gott schwach zu sein? Sind die Schwachen und Ohnmächtigen berufen oder nicht doch eher die anderen, die angesehen sind vor der Welt? Sicher ist: In fast jedem Buch der Bibel, vom 1. Buch Mose bis zur Offenbarung finden wir mindestens ein Beispiel für diese seltsame Liebe Gottes zu den Schwachen und Geringen. Denken wir z.B. an Mose, der das Volk Israel aus Ägypten führt. Als er von Gott berufen wird, sagt er von sich selbst, dass er für die große Aufgabe ungeeignet ist, schon einmal deshalb, weil er nicht gut re- den kann und das muss man können wenn man ein ganzes Volk führen soll! Aber er meistert die Aufgabe sehr gut und sein Bruder Aaron übernimmt für ihn das Reden. Oder denken wir an König David. Er war der jüngste und kleinste der Söhne seines Vaters Isai. Und er war ein unbedeutender Hirtenjunge. Aber er wird König von Israel, weil Gott ihn dazu ausersehen hat! Denken wir auch an den Verlorenen Sohn, der so selbstbewusst von seinem Vater auszieht und so klein, zutiefst bes- chämt und mittellos zurückkehrt. Aber der Vater, der hier für Gott steht, nimmt ihn voll Freude auf, in seiner Schwäche und seinem selbstverschuldeten Elend. Und noch viele andere Beispiele gibt es im Alten und Neuen Testament für diese seltsame Vorliebe Gottes für die, deren Einfluss gering ist, die keine Kraft haben und deren Ansehen wenig gilt. Aber wir wollen und können so kurz nach Weihnachten Jesus selbst nicht vergessen: Auch in ihm, in seinem Anfang im Viehtrog, in den kurzen Jahren seines Lebens auf dieser Erde und in seinem unschuldigen Leiden und Sterben am Kreuz von Golgatha wird eines ja ganz besonders deutlich sichtbar: In Gottes Plan zur Rettung der Menschen und der Welt spielen die Geringen, die Schwa- chen, die Ohnmächtigen die größere Rolle als die Mächtigen und Einflussreichen. Wohl hätte Jesus seine Macht ausspielen können, wohl hätte er den oberen Weg der Stärke gehen können, aber er verzichtet darauf und gibt sich in die Hände der Menschen, die ihn in Leiden und zu Tode bringen. Liebe Gemeinde, wenn es bei diesem Tod geblieben wäre, dann müssten wir die Fragen, ob es gut ist, vor Gott schwach zu sein und ob die Geringen und Ohnmächtigen wirklich von ihm berufen sind, ein für alle Mal mit Nein beantworten! Diesen Jesus Christus aber hat Gott nicht im Tod ge- lassen. Er ist auferstanden! Gott hat damit sein Ja zu ihm und zu allen gesagt, die im Vertrauen auf Gott den unteren Weg gehen, auf Gott und nicht auf die eigene Stärke bauen und darauf verzichten, ihre Macht auszuspielen und ihr Leben „machen“ und in die eigenen Hände nehmen zu wollen. Aber schauen wir jetzt hinein in die Geschichte des Glaubens, die Geschichte der Christenheit seitdem: Wer hat denn die Menschheit weiter vorangebracht - jedenfalls moralisch und menschlich: Die Großen, die Mächtigen, die über viel Geld, Einfluss und viele Soldaten verfügt haben oder die Kleinen, die Schwachen, die aber stark waren im Glauben und im Vertrauen auf Gott? Beispiele?: Paulus fällt mir zuerst ein, der von sich sagt: „...wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich nicht töricht; denn ich würde die Wahrheit sagen.“ (2.Kor. 12,6) Sein Ruhm aber ist ein anderer, davon spricht er hier: „Wenn ich mich denn rühmen soll, will ich mich meiner Schwachheit rüh- men.“ (2.Kor. 11,30) Und er sagt auch, was Gott ihm getan hat, dass er nie vergisst, wer ihn stark macht: Mir ist „gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe.“ (2.Kor. 12,7) Wie wir heute wissen, litt Paulus an einer schweren chronischen Erkrankung. Aber er kann ja sagen zu seiner Schwäche: „Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.“ (2.Kor. 12,10) Und stark durch Gott war Paulus! Er hat die Welt verändert und trotz schlechter Gesundheit, trotz aller persönlichen Schwäche den Glauben an Jesus Christus, das Christentum verbreitet, zu dem sich heute weit über 2 Milliarden Menschen bekennen und das damit die größte der Weltreligionen ist. Auch Martin Luther fällt mir ein, der kleine Mönch aus Wittenberg, der doch eigentlich nur ein abgeschiedenes, gottgefälliges Leben führen wollte, in dem er die Vergebung der Schuld und sein Seelenheil finden konnte. Das hätte er selbst vor dem Anschlag der 95 Thesen nie für möglich ge- halten, dass er einmal gegen die römische Kirche, gegen den Papst und das Konzil aufstehen und anpredigen würde! Aber er hat es getan und hat sogar vor dem Reichstag, der Versammlung der Mächtigen des Reiches und vor dem Kaiser standgehalten: „Hier stehe ich und kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen.“ Er, der kleine, schwache Mönch entdeckt das Evangelium wieder und verändert die religiöse Landkarte Europas. Das neue alte Bekenntnis zur Gerechtigkeit allein aus Glauben und aus der Gnade Gottes gewinnt bis heute etwa die Hälfte der Christenheit! Und noch manchen anderen kleinen und vor der Welt unbedeutenden Menschen könnten wir nennen, der in seiner Schwäche und ohne großen persönlichen Einfluss doch die Welt mehr zum Guten verändert hat, als die politisch und wirtschaftlich Mächtigen. Und gerade unter diesen Menschen sind auch viele Frauen: Hildegard von Bingen fällt mir ein, die im 12. Jahrhundert lebte und sich mit eigenen Predigten und teils harscher Kritik an den Herrschenden ins politische und religiöse Leben der Zeit einmischte - und das als Frau, was im Mittelalter nicht nur ungewöhnlich, sondern eigentlich unstatthaft war. Und ich denke an Mutter Teresa, die als Engel der Armen und als Oberin der „Gemeinschaft der Missionarinnen der Nächstenliebe“ im letzten Jahrhundert in Kalkutta wirkte und dort die Ärmsten der Armen von der Straße holte, sie pflegte und viele vom Tode rettete und ihnen, wo es für die Rettung zu spät war, doch wenigstens ein würdiges Sterben ermöglicht hat. Liebe Gemeinde, noch viele Beispiele gäbe es, die wir betrachten könnten und alle würden das gleiche sagen: Die Geringen, die Schwachen und Kleinen, die aber stark sind im Glauben und im Vertrauen auf Gott, bewirken in Gottes Kraft in Sachen Menschlichkeit und Nächstenliebe weit Größeres als die Mächtigen der Welt, denen oft genug nur die Gewalt einfällt, ihre eigenen Inter- essen durchzusetzen - mit Unterdrückung, mit Soldaten und Waffen. Vielleicht kann uns das nun doch davon überzeugen, dass es wahr ist, was Paulus schreibt: „Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt...“ Sicher denken Sie jetzt auch daran, dass die kleinen Menschen, die im Glauben stark waren, ja nicht gerade ein schönes oder leichtes Leben hatten. Im Gegenteil: Es war meist ein Leben voller Entbehrungen, voller Arbeit, Anfeindung und oft hat es die Menschen in Leiden und sogar ins Martyrium geführt. Aber es bleibt dabei: Diese Menschen haben die Sache Gottes in der Welt vorangetrieben. Sie haben sich dazu berufen gefühlt, den unteren Weg zu gehen und haben gerade da die Begleitung Gottes, die Kraft des Heiligen Geistes gespürt. Und ich kann mir vorstellen, dass sie trotz allem Leid, aller Widerstände und aller Verfolgung nie bereut haben, diesen Weg eingeschlagen zu haben. Ich glaube fest, auch wir sind berufen, den unteren Weg zu gehen, damit aber den Weg, auf dem unser Herr uns vorausgeht und auf dem wir immer wieder die Kraft Gottes erfahren werden - bis wir ans ewige Ziel gelangen. „...das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist, damit sich kein Mensch vor Gott rühme. Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, damit, wie geschrieben steht: „Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!“ AMEN