Predigt zur Jahreslosung 2012 - 1.1.2012 „Jesus Christus spricht: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ 2. Kor. 12,9 Liebe Gemeinde, es ist sicher gut, wenn wir noch ein paar Verse mehr aus dem Kapitel des 2. Ko- rintherbriefs des Paulus hören, aus dem die Jahreslosung für das kommende Jahr 2012 stammt. Wir können das Wort, das uns in den nächsten 12 Monaten begleiten will, dann gewiss besser verste- hen. Ich lese aus 2. Kor. 12 die Verse 6 - 10: „...wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich nicht töricht; denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört. Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche. Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Chris- ti bei mir wohne. Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Ver- folgungen und Ängsten, um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.“ Liebe Gemeinde, das sind sehr persönliche Worte, die Paulus da ausspricht. Leicht könnten wir sie darum abtun: Nicht für uns gesagt. Wir sind nicht gemeint. Zumal diese Gedanken auch nur sehr schwer zu begreifen sind: Wenn ich schwach bin, bin ich stark. Darum will ich mich am allerliebs- ten rühmen meiner Schwachheit! Selbst wenn der Apostel jetzt noch Christus selbst bemüht, wird es nicht leichter, dass wir das verstehen: Und (der Herr) hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Die andere Seite dieser Sache ist die: Das sind nicht irgendwelche Gedanken, von denen wir hier hören: Dass die Stärke der Christen ihre Schwäche ist. Da wird vielmehr der innerste Kern der Bot- schaft beschrieben, die uns von unserem Herrn anvertraut ist. Und wenn man das begreift, dann wird man eine ungeahnte Wirkung dieses Wortes erfahren: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Und wenn Paulus hier „persönlich“ spricht, dann will er damit nicht nur unser Herz rüh- ren, sondern es ist notwendig, so zu sprechen. Denn anders als „persönlich“ kann man die Wahrheit dieser Gedanken nicht in sich aufnehmen. - Was können wir also tun? Paulus hat vor bald 2000 Jahren gelebt und seine Erfahrungen gemacht. Das ist doch schon ein ge- waltiger Abstand. Es gibt aber auch heute viele Menschen, die - genau so persönlich wie Paulus - davon berichten können, was sie mit ihrer eigenen Schwäche und der Stärke Jesu Christi erlebt ha- ben. Darum will ich einmal Menschen aus unserer Zeit zu Wort kommen lassen mit ihrem ganz persönliches Zeugnis: - Da ist zuerst eine Frau, die nach einer schweren Operation langsam auf dem Weg der Besserung ist. Hören wir, was sie uns zu erzählen hat: „Das ist vor genau acht Wochen gewesen, dass ich hier ins Krankenhaus kam. Die Diagnose, die mich hierher geführt hat, hatte ich gerade eine Woche zu- vor erfahren. Ich glaube, ich hatte sie aber noch gar nicht richtig verstanden. Jedenfalls war ich in den ersten Tagen, in denen man mich auf die Operation vorbereitet hat, innerlich noch ziemlich stark. Ich wollte das schaffen, mit der Betonung auf „ich“. Dann aber kam die Angst - und sie wurde täglich größer. Aber mit der Angst kam auch noch etwas anderes: Ich habe mich selbst immer mehr losgelassen. Dabei muss man wissen: Ich bin nie ein be- sonders frommer Mensch gewesen, aber ich habe in diesen Tagen viel gebetet, mehr vielleicht als sonst in einem ganzen Monat. Und - das war seltsam und ganz unerwartet - ich bin nach und nach ruhiger geworden, gefasster - und meine Furcht wurde kleiner. Es kam mir fast so vor, als würde ich in meinen Gebeten immer mehr von meiner eigenen Stärke verlieren, dafür aber immer größere Kraft von oben bekommen. Und je mehr dabei mein Selbstvertrauen wich, umso stärker wurde das Vertrauen in Gott. Am Morgen vor der Operation war ich so ruhig, dass nicht nur die Ärzte und das Pflegeteam gestaunt haben, sondern auch ich selbst. Als ich nach dem Eingriff aufgewacht bin, war nur ein Gedanke in mir: Ich bin hindurch und es wird alles gut. Und so war es auch. In ein paar Tagen werde ich entlassen und ich weiß, Gott wird mir noch ein paar Jahre schenken. Und noch eins weiß ich: Erst wenn wir uns selbst loslassen, nicht mehr der eigenen Kraft vertrauen, dann will Gott unser Leben in seine Hand nehmen und dann sind wir bei ihm geborgen.“ - Hier ist, was ein alter Mann von 85 Jahren aus seinem Leben zu erzählen hat: „Ich habe eine schwere Kindheit und Jugend gehabt, an die ich mich nur ungern erinnere. Aber ich bin aus meinen ersten Lebensjahren als ein Mann hervorgegangen, der sehr viel von sich selbst und von den ande- ren verlangt hat. Und ich konnte hart arbeiten und ich habe mir und meiner Familie etwas aufge- baut, das sich sehen lassen konnte. Mit dem Glauben habe ich es in den ersten 40 Jahren meines Lebens nicht so gehalten. Was brauche ich einen Gott, ich kann mit doch gut selbst helfen, waren immer meine Gedanken. Bis dieser schreckliche Unfall geschah: Einen Moment lang nicht aufgepasst... Sie mussten mich mit zerschmetterten Knochen aus meinem Auto schneiden. Ich habe überlebt, aber ein Bein hatte ich verloren. Kann man das ermessen, was das für mich hieß? Kein vollwertiger Mensch mehr sein. Immer wieder auf die Hilfe anderer angewiesen. Ich habe damals unter Tränen und Schmerzen eine bittere Lektion lernen müssen: Die eigene Kraft kann uns von einem Tag auf den anderen ausgehen. Wir sind auf andere Menschen angewiesen - und auf Gott! Ja, Gott! In den Wochen, in denen ich damals in der Reha eine Prothese angepasst bekam und die ersten Schritte mit ihr gemacht habe, hat mich der Klinikseelsorger mit täglichen Besuchen und vielen Gesprächen begleitet - unaufdringlich und hilfreich. Durch ihn ist mir nach und nach etwas deutlich geworden: Erst wenn wir uns fallenlassen, kann Gott uns auffangen. Wer sein Leben selbst in den Händen behalten will, dem wird es früher oder später zwischen den Fin- gern zerrinnen. Ich bin sehr dankbar, dass ich das damals lernen durfte, musste... Die besten Erfah- rungen meines Lebens verdanke ich diesem Wissen: Dass Gott uns, je mehr wir uns im Glauben ihm anvertrauen, umso besser bewahren und führen kann, dorthin, wo er uns das Ziel gesetzt hat.“ Wenn das nun noch nicht persönlich genug war, liebe Gemeinde, weil es nicht Ihre Erfahrungen gewesen sind, dann will ich noch etwas anderes ansprechen: Manche von Ihnen haben gewiss noch die schwersten Tage oder Wochen ihres Lebens vor Augen: Als ein Schicksalsschlag ihre ganzen Hoffnungen und Planungen über den Haufen geworfen hat und sie dachten, jetzt ist alles aus, das wird nicht wieder und ich will auch nicht mehr... Einige aber, da bin ich ganz sicher, sind gerade aus diesen schweren, leidvollen Zeiten gestärkt hervorgegangen. Und - Sie hätten es vorher nie geglaubt - Sie wollten hinterher auch diese Zeit nicht missen und das, was Sie in dieser Zeit entdeckt haben, nicht aus Ihrem Leben streichen. Und was haben Sie entdeckt? Eben dies: SEINE Kraft ist in den Schwachen mächtig. Oder das: Gott will gerade da in unser Leben eingreifen, wo wir es verloren glauben. Und noch etwas Wichtiges fällt mir ein: Das müssen doch gar nicht immer die großen Weichenstel- lungen und sogenannten Schläge des Schicksals gewesen sein, nach denen wir erst verzweifelt wa- ren, hilflos und schwach und später dann doch stark und mit neuem Mut ausgerüstet und sogar mit Dankbarkeit im Herzen: Bei den jungen Leuten ist das vielleicht die verhauene Klassenarbeit gewe- sen, nach der man endlich angefangen hat, den Stoff wirklich zu lernen und nach und nach zu be- greifen. Bei den Menschen in den mittleren Jahren kann das der lange gehegte Wunsch gewesen sein, den wir uns dann aber aus irgendwelchen Gründen versagen mussten. Erst war das ganz schwer zu ertragen, später aber kam der Tag, an dem wir gewusst haben, warum es für uns so bes- ser gewesen ist. Und die älteren Menschen schließlich, die kennen sicher besonders viele solcher Gelegenheiten, bei denen das eigene Wollen enttäuscht wurde und wir uns ganz klein und schwach gefühlt haben. Aber Sie durften auch das erfahren - und sicher mehr als einmal im Leben: Je mehr wir unser Wollen und Wünschen zurücknehmen und Gottes Willen und seiner Kraft Raum geben, umso besser für uns. Ich glaube, das meint Paulus, wenn er uns heute so persönlich anspricht: Wenn ich schwach bin, bin ich stark. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit! Und (der Herr) hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen... Ich wünsche Ihnen für das kommende Jahr gute Erfahrungen mit der Jahreslosung und mit dem Herrn, der sie uns zusagt: Jesus Christus spricht: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Amen