Predigt zum 1. Christtag - 25.12.2011 Textlesung: 1. Jh. 3,1 - 6 Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen - und wir sind es auch! Darum kennt uns die Welt nicht; denn sie kennt ihn nicht. Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. (Und ein jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, der reinigt sich, wie auch jener rein ist. Wer Sünde tut, der tut auch Unrecht, und die Sünde ist das Unrecht. Und ihr wisst, dass er erschienen ist, damit er die Sünden wegnehme, und in ihm ist keine Sünde. Wer in ihm bleibt, der sündigt nicht; wer sündigt, der hat ihn nicht gesehen und nicht erkannt.) Liebe Gemeinde! Eigentlich ist diese Botschaft so wunderbar, so unglaublich auch und so befreiend: „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen - und wir sind es auch!“ Eigentlich! Wenn da nicht diese Einschränkung wäre: „Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden.“ Da fragen wir dann schon: Sind wir nun Gottes Kinder oder sind wir es nicht? Und wenn wir es ganz genau neh- men, dann fragen wir noch weiter: Liebt uns Gott denn nun wie ein Vater oder liebt er uns nicht? Und wenn wir lange genug über diese Fragen nachgedacht haben, sind wir ganz verwirrt und keinen Schritt weiter. Denn diese Gedanken scheinen einfach nicht zusammenzupassen: Wir sind Gottes Kinder - sind es aber auch noch nicht. Und: Der Vater hat uns seine Liebe erwiesen - sie ist aber noch nicht offenbar geworden. Wie löst sich das nur auf? Und noch etwas fragen wir uns heute: Was hat das alles mit Weihnachten zu tun? Wir könnten es uns einfach machen und sagen: Das passt eben alles nicht zusammen, weil es nicht sein kann, dass wir etwas sind und doch nicht sind: Kinder Gottes nämlich. Und es kann eben auch nicht sein, dass Gott uns liebt, diese Liebe aber noch nicht sichtbar geworden ist. Und zu der Frage, was das mit Weihnachten zu tun hat, könnten wir auch sagen: Nichts, rein gar nichts! - Ja, das alles könnten wir sagen. Müssen wir aber nicht - und ich sage Ihnen auch warum: Weil wir solche vermeintlichen Widersprüche sehr gut kennen! Und weil wir ihnen sehr häufig be- gegnen und oft gar nicht mehr bemerken, dass sie Widersprüche sind. Hören Sie einmal ein paar Beispiele aus dem Leben. Ganz bestimmt kennen Sie so etwas auch und Sie haben auch schon ähnlich gesprochen: Eine Frau sagt zu ihrer Nachbarin: „Meine Tochter wird in zwei Jahren Abitur machen und dann studieren.“ Jetzt könnte die Nachbarin antworten: „Woher willst du das denn wissen? Sie geht doch erst in die 11. Klasse!“ - Sie wird aber nicht so antworten, weil sie - wie wir alle - es gewohnt ist, so zu reden und so zu denken: Wenn es heute auch noch nicht so ist, so wird es doch einmal so sein. Dabei denken wir sozusagen im Hinterkopf immer mit, dass selbstverständ- lich auch etwas dazwischen kommen kann. In unserem Beispiel: Die Tochter kann krank werden oder umsatteln und noch einen anderen Ausbildungsweg beschreiten. Auch sonst kann noch einiges dazwischenkommen, weswegen dann nicht eintritt, was die Mutter ihrer Nachbarin hier erzählt. Ein anderes Beispiel. Ein Bauer sagt zu seiner Frau: „Das Frühjahr war für den Weizen sehr güns- tig, es wird eine gute Ernte geben.“ Jetzt könnte die Frau erwidern: „Warte erst einmal ab, wie es in diesem Jahr mit dem Wetter weitergeht!“ Sie erwidert das aber nicht, weil es ganz klar ist, dass Unwetter oder Trockenheit die Ernte verringern oder gar vernichten könnte. Ein drittes Beispiel sollen ein paar Äußerungen sein, wie wir sie so über Tag tun, denen allesamt durch die Entwicklung und die Ereignisse in der Zukunft widersprochen werden kann: „Ich fliege in diesem Jahr nach Teneriffa in Urlaub!“ - „Mein Sohn wird im nächsten Jahr heiraten!“ - Im März wechselt meine Kollegin in die Hauptfiliale unserer Firma!“ - „Ich werde im Laufe dieser Woche auf den Friedhof ans Grab meiner Mutter gehen!“ - „Zu Silvester werden wir wie in jedem Jahr einen Karpfen haben!“ Liebe Gemeinde, ich denke, Sie haben verstanden, was ich sagen will: Wir reden oft von einer Wirklichkeit, die noch gar nicht eingetreten ist, so, als wäre sie schon gelebte und erlebte Gegen- wart! Und genauso macht es hier Johannes, wenn er uns schreibt: „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen - und wir sind es auch!“ Und mit diesem Satz ist es ähnlich: „Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden.“ Und was unser Reden und das, was Johannes schreibt, im tiefsten Grund verbindet, ist ... die Hoffnung! Die Mutter hofft, dass ihre Tochter Abitur macht und studie- ren wird. Der Bauer hofft, dass die Ernte gut wird. Die Heirat des Sohnes im nächsten Jahr - Hoff- nung! Der Wechsel der Kollegin, der Gang ans Grab der Mutter, das Karpfenessen an Silvester... Alles Hoffnung! - Und bei Johannes? Er spricht über die Hoffnung der Christen: Wir werden ein- mal Gottes Kinder heißen! Und: Gott liebt uns und diese Liebe wird sich einmal durchsetzen. Ist das also die gleiche Hoffnung, die sich in dem ausspricht, was wir so reden und was wir bei Jo- hannes lesen? Kann bei der Hoffnung, die Johannes meint, genauso dies oder das dazwischen kommen, dass die Zukunft nicht eintritt, die er uns ausmalt? Liebe Gemeinde, hier eben liegt der große, der alles entscheidende Unterschied! Bei dem, was wir so hoffen und wünschen und uns in Worten und Gedanken ausmalen, kann alles auch ganz anders kommen - und es kommt auch immer wieder anders. Bei der Hoffnung, die Johannes uns macht, wird alles genauso eintreffen, wie er es vorhersagt. Denn es ist eine Hoffnung, hinter der Gottes Wille und sein Versprechen steht. ER sagt uns zu: Ihr werdet meine Kinder sein, darum sind wir es auch heute schon. ER will uns seine Liebe erweisen, darum sind wir gegenwärtig schon bei ihm geliebt. Bei der Hoffnung, die sich auf Gott gründet, kommt nichts dazwischen. Was er für die Zu- kunft verspricht, steht heute schon da. Deswegen ist es nicht verstiegen zu sagen, was Johannes schreibt: „Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir Gott gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“ Soweit dürfen wir sogar gehen, dass wir so sprechen: „Wir wissen...“, was doch eigentlich immer unsere Hoffnung bleibt, solange wir leben. Und auch das dürfen wir sagen: „Wir werden Gott gleich sein und ihn sehen“, weil uns heute schon versprochen ist, Gottes Kinder zu heißen und sozusagen zu seiner Familie zu gehören: Jesus unser Bruder, wir alle Geschwister, Gott unser Vater! „Jesus unser Bruder“, das führt uns nun zu der Frage, was das alles denn mit Weihnachten zu tun hat? Dabei ist es sicher zu oberflächlich, wenn wir davon ausgehen, dass Weihnachten ja das Fest der Kinder oder des Kindes ist. Das haben wir nur im Laufe der Jahrhunderte daraus gemacht (- und das Fest wird ja noch heute immer süßlicher und kitschiger und immer mehr zu einem Fest, in dem die Weihnachtsgeschichte wie ein Kindermärchen wirkt). Ursprünglich ist Weihnachten aber eigentlich gar nicht das Fest des Kindes Jesus, sondern das Fest der Geburt des Sohnes Gottes in der Welt, des Erlösers, des Herrn, der die Sünde der Menschen am Kreuz von Golgatha bezahlen wird. Und genau da sind wir wieder bei der Hoffnung und beim Versprechen Gottes, das sich schon erfüllt hat, wenn es noch gar nicht Wirklichkeit geworden ist: Das Kind in der Krippe ist dieses Versprechen Gottes, denn von ihm sagt der Engel in der Weihnachtsgeschichte: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ (Lk.2,10f) Noch aber liegt nur ein Kind im Futtertrog des Stalls von Bethlehem! Noch ist das nicht der Heiland, nicht der Christus, nicht der Herr, in der Stadt Davids! Und er ist es doch! Denn die Freude, die al- lem Volk widerfahren wird, ist nicht mehr aufzuhalten! Dieses Kind wird zum Retter der Men- schen, zum Herrn und Heiland heranwachsen, das ist nicht nur Hoffnung, das ist Gewissheit. Denn Gott hat es versprochen! So ist Weihnachten eigentlich das schönste und beste Beispiel dafür, was wir auch an den Worten des Johannes abgelesen haben: Dass es mit der Hoffnung auf Gott und sein Wort anders ist als mit allen menschlichen Hoffnungen. Aus dem Kind im Stall wird der Herr unseres Lebens und der Welt werden. Da kann nichts dazwischen kommen. Und wir feiern heute kein Kinderfest oder ein Fest des Kindes Jesus, wir feiern, dass auf Golgatha wahr wird, was der Engel in der Heiligen Nacht verkündigt: „...euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids!“ Und genauso ist auch heute schon wahr und wirklich, was wir bei Johannes lesen: „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen - und wir sind es auch!“ AMEN