Predigt zum Drittl. So. i. Kirchenjahr - 6.11.2011 Textlesung: Lk. 11, 14 - 23 Und er trieb einen bösen Geist aus, der war stumm. Und es geschah, als der Geist ausfuhr, da re- dete der Stumme. Und die Menge verwunderte sich. Einige aber unter ihnen sprachen: Er treibt die bösen Geister aus durch Beelzebul, ihren Obersten. Andere aber versuchten ihn und forderten von ihm ein Zeichen vom Himmel. Er aber erkannte ihre Gedanken und sprach zu ihnen: Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet, und ein Haus fällt über das andre. Ist aber der Satan auch mit sich selbst uneins, wie kann sein Reich bestehen? Denn ihr sagt, ich treibe die bösen Geis- ter aus durch Beelzebul. Wenn aber ich die bösen Geister durch Beelzebul austreibe, durch wen treiben eure Söhne sie aus? Darum werden sie eure Richter sein. Wenn ich aber durch Gottes Fin- ger die bösen Geister austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen. Wenn ein Starker gewappnet seinen Palast bewacht, so bleibt, was er hat, in Frieden. Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt und überwindet ihn, so nimmt er ihm seine Rüstung, auf die er sich verließ, und verteilt die Beute. Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut. Liebe Gemeinde! Es ist manchmal doch recht schwierig, aus einem Bibeltext einen Gedanken herauszulesen, der über das hinausführt, was uns erzählt wird und was damals geschehen ist. Dabei möchten wir doch gern von einem Gottesdienst - und darin besonders von der Predigt - etwas mitnehmen, was uns eine Hilfe zum Leben heute geben kann, eine Verhaltensregel für uns als Christinnen und Christen, einen Anstoß uns so oder so zu verändern, dass wir dem, wie unser Herr uns haben will, immer ähnlicher werden. Aber wo ist dieser Gedanke in diesen Versen? Wir erfahren, dass Jesus böse Geister austreiben konnte - wir können das nicht. Wir hören, dass Je- sus hier einen „stummen Geist“ ausgetrieben hat und alle, die es sehen, sich verwundern - wir wun- dern uns darüber nicht. Die Leute sagen von Jesus, dass er mithilfe Beelzebuls, des obersten der bö- sen Geister den stummen Geist ausgetrieben hätte - auch das erstaunt uns nicht, denn sie haben Je- sus immer wieder verdächtigt, mit dem Teufel im Bund gewesen zu sein. Und wenn sich Jesus jetzt verteidigt, wenn er seine Gegner geschickt davon überzeugen will, dass er nicht durch Beelzebul, sondern durch Gottes Finger die bösen Geister austreibt, dann ist das für uns nicht neu, es entspricht vielmehr dem, was wir als Christinnen und Christen schon lange von unserem Herrn wissen und glauben: Mit Jesus Christus ist Gottes Sohn zu uns gekommen und das Reich Gottes auf Erden ist angebrochen. Vor dem Hintergrund alldessen, was wir schon wissen und glauben, bleibt von diesen zehn Versen aus dem Lukasevangelium eigentlich nur der letzte, an dem uns etwas Neues, Beherzigenswertes aufgehen könnte, etwas, das wir jetzt besprechen und dessen Botschaft wir mit nach Hause und in unseren Alltag nehmen könnten: „Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.“ Vielleicht denken wir jetzt ja auch zu diesem Vers, das, was er sagt, wäre doch nicht neu und das hätten wir doch schon lange gewusst. Außerdem meinen wir sicher, wir hätten uns immer so ver- halten wie es Jesus mit diesem Vers von uns verlangt: Dass wir immer auf seiner Seite gestanden und mit ihm gesammelt haben... Lassen wir die Antwort noch eine Weile offen. Ich will zwei kleine Geschichten erzählen - von Menschen wie du und ich sie sind: In einer Straße in einem kleinen Dorf ist Nachbarschaftsstreit seit 20 Jahren! Zwischen den beiden Familienvätern aus Hausnummer 17 und 20, also zweier Häuser, die schräg gegenüber liegen, ist damals der Streit ausgebrochen. Längst hat er auf die ganzen beiden Familien übergegriffen. Auch die heute erwachsenen Kinder grüßen einander nicht und selbst das erst zweijährige Kind der äl- testen Tochter aus Nr. 17 wird schon vor den Leuten aus Nr. 20 abgeschirmt, als hätten sie den bö- sen Blick. Dabei könnte wahrscheinlich keine der Töchter und keiner der Söhne aus beiden Fami- lien Näheres über die Ursache des Streits sagen und schon gar nichts darüber, wer ihn letztlich vom Zaun gebrochen hat. Was die Angelegenheit nun aber besonders schlimm und unverständlich macht, ist die Tatsache, dass beide Familien sich recht eng zu ihrer Kirchengemeinde zugehörig fühlen - und nicht etwa zu konfessionell unterschiedlichen! Nein, sie halten sich zur evangelischen Ortsgemeinde, besuchen regelmäßig deren Gottesdienste und andere Gemeindeveranstaltungen - der Familienvater aus Nr. 20 ist sogar seit vielen Jahren Kirchenvorsteher. „Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut“, sagt Je- sus. Wie kann das sein, dass Christen wie die Familien aus den Häusern Nr. 17 und 20, Menschen also, die doch „mit IHM sind“ in zwei Jahrzehnten nicht den Mut zu einem Neuanfang finden? In einem Streit, dessen Anlass - wenn es diesen überhaupt wirklich konkret gegeben hat - inzwischen längst verjährt wäre und von dem die meisten aus den beiden Streitparteien weder Genaues wissen noch eigentlich betroffen sind. Mit Jesus Christus sein, hieße auch, so wie er mit uns allen täglich neu anfängt, bereit zu sein, auch mit den Mitmenschen an jedem neuen Tag neu anzufangen. Dieser neue Tag hätte hier 20 Jahre lang an jedem neuen Morgen begonnen. Und wenn da Schuld im Weg gestanden hätte, dann hätte man Vergebung gewähren müssen. Hier ist die zweite Geschichte - sie spielt eigentlich überall, in Ehen, in Familien, in Vereinen, am Arbeitsplatz, in Nachbarschaften, unter Freundinnen und Freunden: Da sagt ein Mann gegen 11 Uhr am Sonntagmorgen zu seiner Frau, die gerade vom Gottesdienst nach Hause kommt: „Du immer mit deiner Kirche! Bis du mit dem Essen fertig bist, wird’s wieder ½ 1 sein - und ich hatte doch etwas vor heute Nachmittag!“ Und die Frau schweigt, sagt nicht, dass ihm ein Kirchgang vielleicht auch wieder einmal gut täte oder dass er doch auch ein Christ sein will. - Da unterhalten sich zwei junge Eheleute darüber, ob sie abends am Bett ihres zweijäh- rigen Kindes nicht ein Abendgebet sprechen sollten. Das Gespräch geht so aus, dass sie es lieber noch aufschieben wollen - bis das Kind in die Schule kommt vielleicht oder bis es selbst danach fragt. - Im Kegelverein klingt der wöchentliche Vereinsabend gerade mit ein paar Witzen des im- mer gut gelaunten Horst aus. Jetzt ist ein Witz dran, der wieder einmal gegen die Kirche geht und auch den Christenglauben berührt. Kegelschwester Sonja mag solche Witze überhaupt nicht. Sie findet sie unangebracht und fühlt sich davon auch als Christin beleidigt. Sie will und müsste jetzt etwas sagen - sie sagt aber nichts. - Der Chef schaut von der Personalakte auf und meint zu seinem Angestellten: „Sie wollen eine Gehaltserhöhung? Sie sind Mitglied der Evangelischen Kirche. Wenn Sie mehr Geld brauchen, dann treten Sie doch erst einmal aus, dann sprechen wir uns wie- der!“ Der Angestellte überlegt, ob er nun sagen sollte, dass er nicht nur aus Gewohnheit in der Kirche ist, sondern weil ihm ihre Sache wichtig ist. Aber er verlässt stumm das Büro des Chefs. Diese Geschichte hat noch viele andere Facetten. Immer aber werden Gelegenheiten verpasst, sei- nen Standpunkt zu erklären, sich zu dem zu stellen und zu bekennen, was einem doch wichtig ist. Und immer werden Menschen diesem Wort nicht gerecht: „Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut“. Denn mit Jesus Christus zu sammeln hieße, immer da, wo es nötig ist, das Wort zu sagen, das die eigene Position klarstellt, Flagge zu zeigen, herauszutreten aus dem Kreis derer, die sich halt Christen nennen, weil sie doch einmal getauft und konfirmiert wurden und deutlich zu machen, dass sie Christen nicht nur dem Namen nach, sondern aus Überzeugung sind. Vor allem: Ist das denn so schwer? Steht da Strafe drauf, wenn wir von der Religionsfreiheit Gebrauch machen? Wird der Mann seine Frau zurechtweisen oder gar schlagen, wenn sie ihn erinnert, dass er selbst auch wieder einmal zur Kirche gehen könnte? Und wem scha- det es denn, wenn wir mit dem Abendgebet am Bett unseres Kindes so früh wie möglich anfangen? Und im Kegelverein sind andere vielleicht auch froh, wenn einer einmal laut sagt, was er von be- stimmten Witzen hält und es hört vielleicht auf damit. Und schließlich der Chef... Ich bin über- zeugt, er hätte selbst gern ein wenig mehr Widerstand bei seinem Angestellten gespürt, der aber er- weist sich als nicht besonders standhaft und seinen Prinzipien und Überzeugungen nicht treu - un- geeignet für größere Aufgaben im Betrieb und keiner Gehaltserhöhung wert. Liebe Gemeinde, doch ich glaube fest, wir können von diesem letzten Wort aus den Versen, die wir heute bedenken sollten, einiges mit nach Hause und in unseren Alltag nehmen. Noch besser wäre es, wenn wir es auch beherzigten: „Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut“. AMEN