Predigt zum 20. Sonntag nach Trinitatis - 6.11.2011 Textlesung: 1. Mos. 8, 18 - 22 So ging Noah heraus mit seinen Söhnen und mit seiner Frau und den Frauen seiner Söhne, dazu alle wilden Tiere, alles Vieh, alle Vögel und alles Gewürm, das auf Erden kriecht; das ging aus der Arche, ein jedes mit seinesgleichen. Noah aber baute dem HERRN einen Altar und nahm von allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar. Und der HERR roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Liebe Gemeinde! Scheinbar ist das eine ziemlich belanglose Geschichte! Was will sie uns sagen, was für uns neu wäre, unbekannt und so wichtig, dass wir es von heute mitnehmen könnten? Überdies ist die Ge- schichte ja auch recht naiv und in dem, was sie erzählt, nicht glaubhaft! Wenn Noah wirklich von allen Tieren nur immer ein Pärchen mit in die Arche genommen hatte, wie hätte er denn dann von allem reinen Vieh ein Brandopfer opfern können, ohne die Zukunft der jeweiligen Art zu gefährden? Aber wir wissen es ja: So dürfen wir nicht an diese alten Geschichten herangehen. Sie wollen uns nicht unbedingt die Wirklichkeit, sondern eine Wahrheit über Gott und die Men- schen und das Verhältnis zwischen beiden vermitteln. Nur was ist das hier in dieser uralten Erzählung? Vielleicht liegt eine Wahrheit, die uns hier aufgehen soll, darin, dass Gott sich ganz offensicht- lich freut, dass Noahs erster Gang auf der wieder trocken gewordenen Erde der ist, dass er Steine für den Opferaltar zusammensucht und Gott für die Rettung vor der Flut dankt? Und diese Dankbarkeit des Noah hat wahrhaft gewaltige Folgen: „Und der HERR roch den lieblichen Ge- ruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Men- schen willen!“ Ohne zu übertreiben, können wir jetzt sagen: Wir verdanken Noah unser Leben! Sein Dankopfer hat bewirkt, dass nie mehr der Fluch Gottes über uns gekommen ist - dass es vielmehr nach allen Gräueln, allen Kriegen, aller Überhebung und aller Lästerung gegenüber Gott immer wieder weitergegangen ist mit Gottes Geschichte mit seinen Menschen. Gewiss, das hört sich ein wenig enttäuscht und resigniert an, wenn Gott so spricht: „...das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.“ Aber können wir das nach hun- derten von Kriegen, die Menschen geführt haben, nach Millionen von Toten und einem Meer von Blut, die sie gekostet haben, nach Auschwitz, Hiroshima und Vietnam wirklich bestreiten? Und dennoch stehen wir seit Noahs Opfer unter Gottes Verheißung: „...ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe.“ Ich finde das erstaunlich, aber auch be- glückend und wunderbar! Und es ist ja doch wahr und wirklich geworden - immer wieder nach Katastrophen und Kriegen, die Menschen angezettelt, nach Leid und Schmerz, die Menschen ei- nander zugefügt haben und nach Bosheit und Gewalt, die Menschen andere Menschen haben spüren lassen. Aber es ist ja noch viel mehr, was uns bis heute aus der Freude Gottes über Noahs Dankopfer herkommt: Nicht allein, dass er uns nicht mehr von der Erde vertilgen will, nicht nur, dass er uns verspricht, uns nicht mehr zu schlagen und zu vernichten und unser Leben auszulöschen - er segnet uns sogar trotz allem Bösen, was von uns ausgeht, trotzdem wir ihn immer wieder erzür- nen, vergessen, lästern und verlassen und er gibt unserer Welt und unserem Leben eine verlässli- che Ordnung: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ Liebe Gemeinde, vielleicht ist Ihnen ja jetzt neben der Freude Gottes über Noahs Dank und ne- ben seiner segensreichen Wirkung bis heute noch etwas anderes in dieser alten Geschichte aufgefallen, etwas mehr im Hintergrund und in der Tiefe dieser alten Erzählung. Ich glaube jedenfalls, da ist noch eine zweite Wahrheit verborgen, die wir nicht übersehen sollten. Diese Wahrheit ist verblüffend und sie weist weit über sich und die Zeit des Noah hinaus: Ausgelöst wird die Zusage künftiger Verschonung durch das Handeln eines Menschen, durch Noah, den einzigen, den Gott für „gerecht“ befunden hatte (1.Mos. 7,1). Um dieses einen Gerechten willen hat Gott seiner Schöpfung durch die Flut hindurch eine Überlebenschance gegeben und sagt ihr seine beständige Treue zu. Sehen wir hier nicht schon Gottes künftiges Heilshandeln, dessen Art es immer wieder ist, aus der ganzen großen Menschheit bestimmte Menschen, ein bestimmtes Volk für seinen Heilsplan auszusondern? Denken wir nur an die Berufung Abrahams (1.Mos. 12,1ff) und später an den Bund mit dem Volk Israel (2.Mos. 34,10)? Und sicher kommt Ihnen jetzt genau wie mir auch Jesus Christus in den Sinn, den Einen, durch dessen Opfer am Kreuz Gott endgültig alle, die an ihn glauben, zum Ewigen Leben retten will und retten wird (Röm. 5,12-19). Da könnte man nun sagen: Ja, das ist schon erstaunlich! Und dann könnte man sich damit zufrie- den geben, dass es nun einmal so ist. - Aber man könnte auch fragen: Warum nur geht Gott im- mer wieder diesen Weg, dass er Einzelne aus der größeren Masse der Menschen aussucht, die uns anderen zu Wegweisern werden sollen, zu Begleitern und in Jesus Christus sogar zum Ret- ter? Eine erste Antwort auf diese Frage liegt nun sicher darin, dass wir Menschen brauchen, die in diesem oder jenem - und eben auch in Glaubensdingen - vor uns her gehen und den Weg zeigen. Wenn diese Menschen das gut und verantwortlich tun, dann entsteht daraus ein großer Segen: Es gibt zum Beispiel Kirchengemeinden, die von einem ihrer Glieder - das muss durchaus nicht die Pfarrerin oder der Pfarrer sein - so zum Glauben ermutigt und durch seine christliche Lebensart geprägt sind, dass sie zu einer wunderbaren Glaubens- und Lebensgemeinschaft zusammen- wachsen, in der keine und keiner allein gelassen ist und verloren geht. Und auch im kleineren Zusammenhang unserer Familien gibt es, wenn Gott will, oft einen Men- schen, der als Mittler zwischen den Generationen und als Mitte der Familiengemeinschaft die Familie zusammenhält und oft auch Vorbild im Glauben und im religiösen Leben ist. Ich bin ganz sicher, dass überall da, wo einzelne Menschen ganz offenbar mit der Fähigkeit be- gabt sind, andere Menschen zu führen und zu leiten und mit der Autorität, auch einmal ein deut- liches Wort zu sagen und zurechtzuweisen, Gott bis heute mit seinem Segen am Werk ist. Liebe Gemeinde, aber auch hier sind wir mit unseren Gedanken um diese Wahrheit noch nicht am Ende. Sie hat nämlich noch eine andere Seite und die betrifft jede und jeden von uns: Wenn es wirklich so ist, dass Gott sich immer wieder einzelne Menschen auserwählt, die in ihren Familien oder in anderen Gruppen und Bezügen andere leiten, führen, ermutigen und anspornen sollen und wenn es so ist, dass diese Einzelnen das nicht nur aus sich selbst, nicht nur aus dem Eigenen, sondern aus dem Segen und in der Kraft Gottes tun können, dann sollten auch wir bereit sein, dass und wenn Gott uns ruft, eine solche Aufgabe unter den Menschen zu erfüllen. Das kann in unserer Familie sein, in unserem Freundeskreis, in der Nachbarschaft, im Verein, ja, sogar an unserem Arbeitsplatz. Es soll nun nicht so sein, dass wir uns in eine solche Aufgabe hineindrängen - es geht darum, berufen zu sein - und diese Berufung und dass wir gemeint sind, werden wir hören und spüren - und wir werden ihr gerecht werden können. Wenn wir in dieser Aufgabe und in unserem Leben überhaupt immer wieder Maß nehmen am Wort und Leben des Einen, den Gott allen Menschen als Beispiel und Vorbild vor Augen und Herzen gestellt hat, dann sind wir auf dem richtigen Weg und unterwegs zu einem ewigen Ziel. - Liebe Gemeinde, nein, belanglos ist die Geschichte von Noah und dem Dankopfer nach der Flut nicht. Sie erzählt vielleicht Dinge, die uns nicht neu sind, die wir vielmehr schon in den Tagen unseres Kindergottesdienstes gehört haben und die uns vor unserem gesunden Menschenverstand fraglich erscheinen. Aber, wenn wir ein wenig tiefer schauen, kann sie uns doch auch anregen und etwas vermitteln, was über das, was sie erzählt, weit hinausweist: Da ist einmal die Dankbarkeit, die Noahs Handeln bestimmt, wenn er Gott ein Brandopfer darbringt, die Dankbarkeit, die bei Gott so viel bewirkt: Das Versprechen der Treue, Segen und die Zusage, dass die Ordnung von Saat und Ernte, Frost und Hitze, Tag und Nacht für immer bestehen soll. Und da ist diese Eigenart des Heilshandelns Gottes, dass er sich immer wieder einzelne Menschen aussucht, die in seinem Segen anderen vorangehen und sie - auch in Glaubensdingen - anleiten und führen sollen. - Wer weiß, ob da nicht auch die eine oder der andere von uns gemeint ist? AMEN