Predigt zum 16. Sonntag nach Trinitatis - 2.10.2011 Liebe Gemeinde! Sie erwarten sicher von einer Predigt - auch von dieser heute - dass sie tröstet und nicht Ängste schürt, dass sie Mut und Hoffnung macht und nicht herunterzieht, dass sie den Glauben stärkt und uns nicht in Zweifel führt. Und ich wollte heute auch eine solche Predigt halten und ich den- ke, am Ende werden Sie auch noch aus dieser Predigt Trost, Mut und Hoffnung ziehen können und - so Gott will - wird auch Ihr Glaube gestärkt. Aber ich meine, ich kann heute einmal nicht von Anfang an nur positiv und aufbauend sprechen. Das hat mit dem Predigttext zu tun, der uns für heute zu bedenken vorgeschlagen ist. Den kann ich einfach nicht unvermittelt vor diese Pre- digt stellen, denn er antwortet auf Gedanken, die wir erst einmal ansprechen müssen, um sie recht zu verstehen und so auf uns wirken zu lassen, dass sie uns stärken, helfen und trösten. Da- rum will ich diesen Text erst später lesen. Aber genug der Vorrede, ich beginne jetzt diese Pre- digt und mache dabei aus meinem Herzen keine Mördergrube: Dem einen oder der anderen von Ihnen wird es ähnlich gehen wie mir: Ich empfinde diese Zeit und diese Welt immer wieder und immer mehr als bedrohlich und furchterregend. Da sind die zahlreichen Naturkatastrophen, die in den letzten Monaten geschehen sind, die Erdbeben, Vul- kanausbrüche, Hurricans und Taifune, Tsunamis und Überflutungen riesiger Gebiete, die im ja- panischen Fukushima auch noch einen atomaren Supergau im Gefolge hatten. Aber diese schrecklichen Ereignisse haben sich gar nicht nur in der Ferne abgespielt. Auch bei uns in Deutschland hat es schlimme Stürme gegeben, Tornados sogar, Starkregen, Hagel, Flutwellen und Erdrutsche. An vielen Orten wurden viele Straßen, Häuser und Existenzen zerstört. Aber es gibt auch manches, was mich ängstigt, das kann ich nicht der Natur zuschreiben, das ist von Menschen gemacht: Die Banken-, Finanz- und die Schuldenkrise, die inzwischen zu einer Krise Europas und unserer Währung geworden ist. Wie wird es weitergehen? Kommt schon bald der Tag, an dem die Weltwirtschaft zusammenbricht? Schließlich finde ich auch beunruhigend und erschreckend, was in der Politik, was unter den Po- litikerinnen und Politikern bis hin zu den Kreisen unserer Regierung geschieht: Politische Ent- scheidungen sehen mir allzu oft nur wie der Weg des geringsten Widerstands aus und nicht als wären sie vor dem Gemeinwohl und der Zukunft verantwortet. Meist dienen sie eher denen, die in unserer Gesellschaft oben sind, den Reichen, deren Besitz damit vermehrt und geschützt wird. Die einfachen Leute, oft genug die Schwächsten der Gesellschaft, zahlen die Zeche. Selten kann ich Politikern noch abnehmen, dass sie das Beste für die Menschen wollen, deren Interessen sie vertreten sollen - wohl aber sehe ich, wie sie für ihre Karriere und ihr Einkommen arbeiten. In unserer Regierung beobachte ich große Uneinigkeit über die politisch und wirtschaftlich nötigen Schritte. Aber viel Energie fließt in die Behauptung von Positionen und Ministerien - auch wenn bei den Bewerbern jegliche Sachkenntnis fehlt. Wenn es ums eigene politische Überleben oder das der eigenen Partei geht, greift man sogar nach populistischen Parolen und schert sich nicht mehr um Anstand und Moral. Ich denke, das reicht, um die Gefühle und die Furcht zu beschreiben, die ich derzeit empfinde. Und - noch einmal - ich glaube, ich bin damit nicht allein. Wir wollen jetzt auf Worte aus den Klageliedern hören. Sie stehen dort im 3. Kapitel: Textlesung: Klgl. 3,22-26.31.32 Die Güte des HERRN ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein En- de, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß. Der HERR ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen. Denn der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt. Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen. Denn der HERR verstößt nicht ewig; sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte. Liebe Gemeinde! Jetzt nachdem ich vor der Lesung dieser Verse auch einmal über meine (und vielleicht ja auch Ihre) Gefühle und Ängste gesprochen habe, wenn ich an die Katastrophen in der Welt und die Verhältnisse in Politik und Wirtschaft denke, sind es doch drei Gedanken an diesem Predigttext, die mich trösten können und meine Befürchtungen kleiner werden lassen: Der erste Gedanke steht hier: „Gottes Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu.“ Was sagt uns das? Mir sagt es: Auch wo wir denken, es wird immer schlimmer auf der Welt, es gibt immer mehr schreckliche Naturereignisse und immer weniger vertrauens- würdige Menschen in unseren Parlamenten und Regierungen - und selbst wenn wir das nicht nur so empfinden, sondern wenn es auch tatsächlich so sein sollte - wir sind dazu nicht von Gott verurteilt oder gar verdammt! Wie jeden Tag neu die Sonne aufgeht und doch auch unsere Le- benskraft nach einem guten Schlaf wieder frisch und neu ist, so ist Gottes Barmherzigkeit mit seiner Welt und seinen Menschen täglich neu! Er kann, ja, vielleicht will er uns sogar schon bald nach Jahren der Angst und des Erschreckens vor der Gewalt der Natur und den vielfältigen Kri- sen der Gegenwart wieder eine Zeit der Ruhe schenken. Vielleicht gelingt uns mit seiner Hilfe dann der Wiederraufbau, dort wo Naturkatastrophen gewütet haben und wir können uns auch im Bereich von Politik und Wirtschaft besinnen und neu orientieren und durch den Gebrauch unse- res Wahlrechts Menschen mit einem Mandat beauftragen, die es zum Wohl der Gemeinschaft und besonders der Schwachen in der Gesellschaft ausüben. Der zweite Gedanke ist dies: „Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen.“ Ich muss zugeben, wenn ich diesen Vers lese, fühle ich mich fast ein wenig er- tappt! Denn die Geduld, die geht mir immer wieder einmal verloren. Dabei weiß ich doch, dass zum Leben im Glauben an Gott die Geduld genauso gehört, wie die Liebe und das Vertrauen zu ihm. Kann ich denn erwarten, dass meine Wünsche und Hoffnungen, auch wo sie berechtigt sind, in Kürze, ja, möglichst gleich erfüllt werden? Um das in die Ängste und die unguten Ver- hältnisse hineinzutragen, über die ich vorhin gesprochen habe: Wenn eine Region der Welt einen schrecklichen Sturm oder ein Erdbeben erlebt hat, dann wird es Jahre, vielleicht Jahrzehnte dau- ern, bis die Folgen in der Landschaft beseitigt sind. Wenn eine Finanzkrise viele Länder so tief in Schulden und wirtschaftliche Schwierigkeiten getrieben hat, wie es etwa in Südeuropa im Au- genblick der Fall ist, dann wird das in wenigen Monaten nicht zu bereinigen sein. Und wenn wir über eine Politik klagen, die nicht mehr zuerst an den Bürgern orientiert ist und über Politiker, die nur an sich selbst und ihre Karriere denken, dann wird es uns in einer Wahlperiode nicht ge- lingen, die Parteienlandschaft entsprechend zu verändern und andere Politiker in die Ämter und die Regierung zu wählen. Alles das braucht Zeit. Und es braucht Geduld. Diese Geduld aber ha- ben wir oft nicht mehr und wenn wir sie noch aufbringen, ist uns das - je länger es dauert - um so schmerzlicher. Eine andere Seite an diesem Gedanken ist allerdings, dass wir die Geduld in Glaubensdingen doch eigentlich schon früh in unserem Leben gelernt haben oder besser: haben lernen müssen. Als wir krank waren und zu Gott um Genesung gebetet haben - waren die Schwäche und die an- deren Zeichen der Krankheit dann am nächsten Tag gleich von uns genommen? Oder hat es nicht noch quälende Wochen oder gar Monate gedauert, bis wir wieder Kraft und die alte Frische in den Armen und Beinen gespürt haben? Und bei so vielen anderen Dingen, die wir von Gott erfleht und erbeten haben, war es nicht anders: Wir mussten Geduld haben, manchmal viel Geduld. Gewiss, nicht immer hatte unser Gebet Erfolg. Manche Wünsche, manche Hoffnungen wurden nie erfüllt. Und dennoch - und das ist ganz wichtig! - haben wir im Laufe unseres Lebens gelernt, dass Geduld zum Leben im Glauben an Gott gehört. Und das ist der dritte gute und tröstliche Gedanke in diesen Versen: „Denn der HERR verstößt nicht ewig; sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte.“ Das mag ja nun seltsam klingen, aber ich meine dies an diesem Vers: Der Herr verstößt und er be- trübt! Manchmal meinen wir ja, wir müssten Gott freihalten von solchen Vorstellungen, als kön- ne er auch „verstoßen“ oder „betrüben“. Aber er tut es! Wir wissen nicht warum, aber manchmal geschehen uns ganz schlimme Dinge, die wir nicht auf andere Menschen schieben können und als gläubige Christen auch nicht auf das „blinde Schicksal“. Nein, noch einmal, Gott tut auch solche Dinge an uns. - Aber was ist daran „gut“ und „tröstlich“? Eben genau das, dass es Gott ist, der uns auch diese schlimmen Dinge schickt! Dass er hinter al- lem - auch dem Schweren und Leidvollen - steht, das über uns kommt. Denn wäre es anders, müssten wir ein blindes Geschick dafür verantwortlich machen, dann wüssten wir nicht, dass es auch - wenn Gott will - wieder ein Ende damit haben kann und wird und diese Verheißung stimmt: „Denn der HERR verstößt nicht ewig; sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte.“ So aber können wir gewiss sein, dass der Tag kommt, an dem unser Leid und unsere Trauer von uns genommen wird, wir unsere Last ablegen und wieder auf der Höhe des Lebens und an der Hand des Vaters sichere Schritte machen dürfen. Liebe Gemeinde, ich wünsche Ihnen und mir in allem, was uns widerfährt und was uns er- schreckt und ängstigt, die Hoffnung, dass sich das alles auch mit Gottes Hilfe ändern kann, denn seine Barmherzigkeit ist noch nicht zu Ende, sondern alle Morgen neu! Ich wünsche Ihnen und mir den langen Atem der Geduld, die Zeit hat und warten kann, bis von Gott her geschieht, was gut ist und uns allen gut tut und was wir uns erhofft haben und ich wün- sche uns, dass wir die Wahrheit dieses Wortes erfahren: „Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen.“ Schließlich wünsche ich Ihnen und mir, das feste Wissen, dass alles, auch das, was uns nicht ge- fällt, was uns schmerzt und traurig macht, was leidvoll ist und uns schwer auf der Seele liegt, von Gott herkommt. Nur dieses Wissen kann uns Vertrauen schenken, dass Gott alles das auch wieder von uns nehmen wird, weil er nicht ewig verstößt, sondern sich wieder erbarmt nach sei- ner großen Güte. AMEN