Predigt zum 6. Sonntag nach Trinitatis - 31.7.2011 Textlesung: 5. Mos. 7, 6 - 12 Denn du bist ein heiliges Volk dem HERRN, deinem Gott. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind. Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker - denn du bist das kleinste unter allen Völkern -, sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat. Darum hat er euch herausgeführt mit mächtiger Hand und hat dich erlöst von der Knechtschaft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten. So sollst du nun wissen, dass der HERR, dein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barm- herzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten, und vergilt ins Angesicht denen, die ihn hassen, und bringt sie um und säumt nicht, zu vergelten ins Angesicht denen, die ihn hassen. So halte nun die Gebote und Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, dass du danach tust. Und wenn ihr diese Rechte hört und sie haltet und danach tut, so wird der HERR, dein Gott, auch halten den Bund und die Barmherzigkeit, wie er deinen Vätern geschworen hat. Liebe Gemeinde! Ob beim Lesen oder Hören - an diesen Versen können wir es wieder einmal überprüfen: Es bleiben bei uns von einem Text meist sehr einseitig bestimmte Worte hängen. Und das sind meist die negativen, harten Worte, Sätze, die uns verstören, ärgern und ungerecht erscheinen. Hier - in diesem uralten Text aus dem 5. Mosebuch - hat uns mit großer Sicherheit dieser Satz nicht gefallen: Gott „vergilt ins Angesicht denen, die ihn hassen, und bringt sie um und säumt nicht, zu vergelten ins Angesicht denen, die ihn hassen.“ Dabei haben wir all die anderen freundlichen Worte und Gedanken voller Liebe Gottes zu seinem Volk gar nicht mehr beachtet. Und das obwohl sie viel zahlreicher sind als die harten Worte: Gott hat sein Volk erwählt ... es ist ihm heilig ... nicht weil es größer wäre als andere, nur weil er es geliebt hat ... er hat seinen Eid gehalten ... herausgeführt aus der Knechtschaft, aus der Hand des Pharao ... er ist treu und hält seine Barmherzigkeit ... und er wird das auch weiter tun, wie er es den Vätern geschworen hat ... Und noch etwas haben wir gewiss nicht bemerkt: Gott will nicht dem ganzen Volk die Missetat vergelten, sondern nur dem Einzelnen, der ihn hasst und seine Gebote, Gesetze und Rechte nicht hält. So sind diese Verse nicht ein Verdammungsurteil, das ein ganzes Volk verwirft, sondern eine Liebeserklärung an dieses Volk - allerdings auch eine klare Drohung gegen die in diesem Volk, die Gott nicht die ihm gebührende Ehre geben und ihn verachten. Aber, liebe Gemeinde, ist das nicht gut zu verstehen? Meinen wir wirklich, wir hätten einen Anspruch auf Gottes Liebe, Güte und Treue, wenn wir alles tun, ihn zu erzürnen und ihm unseren Hass zu zeigen? Aber wir wollen noch einen anderen Zug dieser Worte betrachten, einen, der mir im Laufe meines Glaubenslebens immer deutlicher und wichtiger geworden ist. Hier lesen wir von dem, was ich meine: „Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völk- ern, die auf Erden sind. Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker - denn du bist das kleinste unter allen Völkern -, sondern weil er euch geliebt hat ...“ Die Erwählung Israels durch Gott hat also nicht ihren Grund darin, dass die- ses Volk so groß, so bedeutend oder so besonders wäre unter den anderen Völkern. Und wir müssen ja nur die Geschichte dieses Volkes lesen - etwa in den Büchern Samuel, der Könige oder der Chronik -, um das ganz klar und manchmal schmerzhaft zu erkennen: Keine Sünde, kein Verbrechen, keine Schandtat, die in Gottes Volk nicht genauso geschehen wären, wie etwa bei den Philistern oder den Amoritern, die Israel allerdings mit Gottes Hilfe aus Kanaan ver- treiben konnte. Im Gegenteil: Es scheint uns doch - gerade weil Israel eben das erwählte Volk ist - besonders schlimm, wenn vom Ehebruch, über Lüge, Betrug und die Anbetung von Götzen, bis hin zu Mord und Totschlag alles auch und oft genug besonders infam vorkommt, was Gottes Gebote verbieten. Warum Gott Israel erwählt hat, hat seinen Grund also einfach darin, dass er es geliebt hat. Wenn wir hier noch ein wenig weiterdenken und weitersuchen, dann werden uns zahlreiche Beispiele einfallen, die uns dieselbe doch recht seltsame Liebe Gottes zum Kleinen und Geringen vor Au- gen führen: Mose, ein Mann, der nicht einmal die freie Rede beherrscht, soll die Israeliten aus der Gefangenschaft in Ägypten führen. Josef, der zu dieser Zeit jüngste Sohn des Stammvaters Jakob (der eigentlich nicht erbberechtigte jüngere Sohn des Isaak), wird der zweite Mann in Ägypten und rettet neben dem ägyptischen Volk auch noch viele Israeliten zur Zeit der Not vor dem Verhungern. David, aus dem kleinsten Stamm Israels, einen einfachen Hirten, lässt Gott zum König über sein Volk salben. Und im Neuen Testament setzt sich das fort: „Und du Bethle- hem, Ephrata, die du klein bist in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei!“ In einem Kind schickt Gott seinen Sohn, den Erlöser, in die Welt. Die ersten Besucher an der Krippe sind einfache Schafhirten und verachtete Sterndeuter. Die Jünger dieses Jesus von Naza- reth waren Fischer und kleine Handwerker. Und selbst nach Jesu Erdenzeit wählt Gott sich für die Verbreitung seiner frohen Botschaft einfache, ja sogar fragwürdige Menschen als Missionare: Denken wir an Petrus, der den Herrn verraten hat oder an Paulus, der als Saulus ein Verfolger der Christen gewesen ist. Und apropos „fragwürdig“: Das ist nun auch noch ein Kennzeichen der Menschen, die Gott sich für ein Amt oder seinen Dienst ausgesucht hat: Mose hatte einen ägyptischen Aufseher getötet! Jakob hatte seinen Vater betrogen. Josef war hochmütig und faul und ärgerte seine Brüder mit seiner stolzen Art. David hat sich die Frau eines Soldaten genommen und diesen in die erste Frontlinie stellen lassen, wo er auch erschlagen wurde. Die Hirten, die als erste an die Krippe Je- su treten, waren wohl oft mit Recht schlecht angesehen und die Sterndeuter waren jedem rechten Juden des Götzendienstes verdächtig. Und die Missionare... Wie gesagt: Petrus und Paulus sind neben ihren Verdiensten um die Verbreitung des Christentums auch Beispiele für Verrat des Herrn und Verfolgung seiner Leute. Aber, liebe Gemeinde, das soll uns nun alles weniger erstaunen und wundern, als trösten, er- mutigen und ermuntern: Denn die Liebe Gottes zu den Kleinen, Schwachen und Geringen, seine besondere Zuneigung sogar zu den Sündern, die auf irgendeine Weise gegen sein Gesetz ge- frevelt haben, ist nicht irgendwann einmal vorbei gewesen, so wie eine menschliche Laune meist irgendwann verflogen ist. Bis heute steht Gott auf der Seite der Schwachen, der Ohnmächtigen, der Kranken, der Behinderten, der Außenseiter, der Armen und aller anderen, die nicht auf dem Sonnenbalkon der Welt, sondern mehr am Rande der Gesellschaft leben. Trost wird das für die Menschen sein, die sich manchmal vielleicht ganz von Gott vergessen und verlassen fühlen. Sie sind es nicht! Gott hat sie vielmehr unter seinen gütigen Augen und es wird der Tag kommen, da sich ihr Schicksal wendet. Ermutigung will das allen Menschen schenken, die - wie sie meinten - immer wieder vom Schicksal enttäuscht und benachteiligt wurden. Es ist vielleicht gar nicht so! Manche Entwicklung unseres Lebens erscheint uns nur, als ginge sie in die falsche Richtung. Es wird der Tag kommen, da werden wir begreifen, für was dieses oder jenes gut war, was uns erst gar nicht gefallen hat. Schließlich ist die Liebe Gottes zum Geringen Ermunterung für alle, die über der vielen Mühe, die sie sich gemacht, den zahlreichen An- strengungen, die sie unternommen haben, müde geworden sind und denken, alles wäre im Grun- de umsonst gewesen. Nichts, was gut gemeint und gut getan ist, ist je vergeblich! Der Tag wird kommen, an dem es Bedeutung erlangt, gewürdigt wird und zählt - und wir uns freuen. Wie die Worte Gottes den Israeliten galten und gelten, wie er sie aus Liebe allein erwählt und ih- nen die Treue gehalten hat, so liebt Gott auch uns und alle Menschen um Jesu Christi willen und ist auf unserer Seite - auch und gerade wenn wir Sünder sind, schwach, klein und gering. So wollen wir uns heute auch das zusagen lassen, glauben und in unser Leben mitnehmen: „Wenn ihr die Rechte Gottes hört und sie haltet und danach tut, so wird der HERR, dein Gott, auch halten den Bund und die Barmherzigkeit, wie er deinen Vätern geschworen hat.“ AMEN