Predigt zum Sonntag „Kantate“ - 22.5.2011 Textlesung: Mt. 21, 14 - 22 Und es gingen zu ihm Blinde und Lahme im Tempel, und er heilte sie. Als aber die Hohen- priester und Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schri- en: Hosianna dem Sohn Davids!, entrüsteten sie sich und sprachen zu ihm: Hörst du auch, was diese sagen? Jesus antwortete ihnen: Ja! Habt ihr nie gelesen (Psalm 8,3): „Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet“? Und er ließ sie stehen und ging zur Stadt hinaus nach Betanien und blieb dort über Nacht. Als er aber am Morgen wieder in die Stadt ging, hungerte ihn. Und er sah einen Feigenbaum an dem Wege, ging hin und fand nichts daran als Blätter und sprach zu ihm: Nun wachse auf dir niemals mehr Frucht! Und der Feigenbaum verdorrte sogleich. Und als das die Jünger sahen, verwunderten sie sich und fragten: Wie ist der Feigenbaum so rasch verdorrt? Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr Glauben habt und nicht zweifelt, so werdet ihr nicht allein Taten wie die mit dem Feigenbaum tun, sondern, wenn ihr zu diesem Berge sagt: Heb dich und wirf dich ins Meer!, so wird’s geschehen. Und alles, was ihr bittet im Gebet, wenn ihr glaubt, so werdet ihr’s empfangen. Liebe Gemeinde! Diese ganze Geschichte - oder sind es nicht eher zwei Geschichten? - wirkt auf uns seltsam und zusammenhanglos. Darum geht es hier wieder einmal nicht ab, ohne dass ich zwei Dinge erkläre, die nur aus der damaligen Zeit heraus verständlich sind. Das erste ist dies und wir kommen ihm auf die Spur, wenn wir fragen: Warum entrüsten sich die Hohenpriester und Schriftgelehrten eigentlich so und warum regen sie sich über die Kinder auf, die „Hosianna“ schreien? Das hatten die religiösen Führer des Volkes doch längst gewusst, dass Jesus Blinde und Lahme heilen konnte und immer wieder geheilt hatte! Ist das nur der Neid, dass sie nicht dieselben Wunder tun konnten? Ärgern sie sich, dass sie nicht so beliebt sind wie Jesus? Ganz gewiss war das auch beteiligt. Auch Geistlichen heute, Pfarrern und Kirchenleuten und wohl auch vielen anderen Menschen wäre das nicht gleichgültig, wenn andere - in ähnlicher Po- sition - so viel mehr erreichen, leisten und vollbringen als sie selbst. Aber es ist noch etwas an- deres im Hintergrund der Entrüstung der jüdischen Oberen. Ein einziges Wort führt uns auf die Spur. Achten Sie einmal darauf, wie ich jetzt betone, was ich vorhin schon gelesen habe: „Und es gingen zu ihm Blinde und Lahme im Tempel, und er heilte sie.“ Dazu müssen wir wissen, dass Lahme und Blinde und auch Kinder, besonders wenn sie sich nicht leise verhielten, nichts im Tempel verloren hatten! Ganz schlimm klang es in den Ohren der Hohenpriester und Schrift- gelehrten allerdings, wenn die Kinder Jesus auch noch als „Sohn Davids“ begrüßen und ihm - als würde mit ihm der lang ersehnte Messias erscheinen - ihr „Hosianna“ zurufen. Jetzt verstehen wir, was die Religionsführer meinen, wenn sie Jesus fragen: „Hörst du auch, was diese sagen?“ Das war Anmaßung für sie, dass Jesus sich eine solche Anrede gefallen ließ, ja, es war Gotteslästerung in ihren Ohren! Und Jesus wird ihren Zorn noch vergrößert haben, wenn er antwortet: „Ja! Habt ihr nie gelesen: ‘Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet’“? Denn der Psalm, den er hier zitiert, spricht für die Juden vom Messias und von der Heilszeit, die anbricht, wenn er zu seinem Volk kommt. Jesus bestätigt also den An- spruch, dieser Messias zu sein. Darüber entrüsten sich die Hohenpriester und Schriftgelehrten. Aber schauen wir jetzt nach dem zweiten, der Geschichte vom „Verdorrenden Feigenbaum“, wie sie im Matthäusevangelium heißt: Auf den ersten Blick scheint sie gar nichts mit der Heilung der Lahmen und Blinden und den Hosianna-Rufen der Kinder zu tun zu haben. Auch zum Ärger der jüdischen Oberen darüber sehen wir keine Beziehung. Hier führt uns zum Verständnis, wenn wir die Sache mit dem Feigenbaum einmal nicht so sehr als ein rätselhaftes und eigentlich ziemlich unangebrachtes Wunder Jesu betrachten, sondern als ein vergleichendes Zeichen, das uns etwa dies sagen möchte: Wie der Feigenbaum, der nur mit Blättern, aber ohne Frucht dastand, so sind auch die Hohenpriester und Schriftgelehrten: Sie bringen keine Frucht, dass sie erkennen würden, dass die Heilszeit, die Zeit des Messias mit Jesus angebrochen ist. Weil sie das nicht erkennen wollen, darum trifft sie Jesu Verdammungsurteil: Sie werden unfruchtbar sein und verdorren wie der Feigenbaum - sie werden umkommen und ohne Früchte bleiben. Wenn wir diese Verse nun begreifen und auf uns wirken lassen, wenn wir ihren Sinn verstehen und auf uns übertragen, dann könnte uns bange werden: Wenn damals schon die Zeit des Mes- sias angebrochen ist, wenn mit Jesus schon vor bald 2000 Jahren die Heilszeit begonnen hat, wie deutlich äußert sich das eigentlich bei uns und in den Jahren, die wir in dieser Welt haben? Kann man unserem Leben den festen Glauben an den Messias Jesus Christus wirklich ablesen? An- dernfalls droht uns ja womöglich das gleiche wie den jüdischen Oberen damals!? Ich will die Verse, die uns heute zu bedenken aufgegeben sind, nun gar nicht verharmlosen. Ich will ihnen nichts von ihrer Schärfe nehmen und schon gar nicht sagen: Das galt nur den Reli- gionsführern damals. Ich will einfach nur deuten und fragen, was die Sache mit dem verdorrenden Feigenbaum uns vielleicht nahe bringen will: Müsste in unserem Leben nicht schon etwas davon zu erkennen sein, dass Jesus Christus der Herr ist, unser Herr? Müssten das die Menschen nicht an der Art spüren, wie wir denken und uns verhalten: Dass uns die Gebote Gottes bestimmen, dass wir nicht - so wie es heute bis in die höchsten Kreise unserer Gesell- schaft verbreitet und üblich ist - lügen und täuschen, sondern den geraden Weg gehen, treu und verlässlich sind und an dem orientiert, was Gott will und nicht nur uns selbst, sondern auch den Mitmenschen dient? Dass wir in dem, was wir äußern und reden wahrhaftig bleiben, den Leuten nicht nach dem Mund reden, sondern auch das, was ihnen unangenehm ist - ohne zu verletzen - ansprechen? Umgekehrt wollen wir auch selbst die Wahrheit annehmen und vertragen und uns nicht herauswinden, wenn uns einer mit Recht Wortbruch, Täuschung, falsche Aussagen oder das Ar- beiten mit der halben Wahrheit vorwirft. Dass wir schließlich immer bemüht sind, alles zum Besten zu kehren, den Ausgleich und den Kompromiss zu suchen und nicht Gräben zwischen den Menschen vertiefen und Mauern aufbau- en, über die dann von beiden Seiten keiner mehr hinüberkommt. So und auf diese Weise würden wir ein deutliches Zeugnis dafür abgeben, dass mit und durch uns schon sichtbar und spürbar die Heilszeit angebrochen ist. Denn wenn wir so denken, uns so verhalten und so reden und handeln, dann geht schon hier in dieser Welt ein Stück Himmel auf, dann gelten für uns schon die Gesetze der neuen Zeit, die mit Jesus begonnen hat und sich am Tag Gottes für alle Welt durchsetzen wird. Wir sollten das nicht gering achten, dass wir meinen und sagen: Was ist unser kleines Handeln, unser wahrhaftiges Reden und unser Halten der Ge- bote denn unter so viel Unwahrhaftigkeit, Lüge und Bosheit, wie wir sie heute allenthalben erleben? Denken wir an das Senfkorn, mit dem Jesus einmal die Heilszeit vergleicht, das zunächst das kleinste unter den Samenkörnern auf Erden ist und das doch „große Zweige treibt, sodass die Vögel unter dem Himmel unter seinem Schatten wohnen können“ (Mk. 4,31f). Auch unserem kleinen Beitrag dazu, dass sich das Reich Gottes schon in unserer Welt durchsetzt, ist eine große Wirkung verheißen. Aber hören wir noch auf den Schluss der Verse, die uns heute zu bedenken vorgelegt sind. Es ist sozusagen noch ein Hinweis auf eine Hilfe, die wir in Anspruch nehmen dürfen, wenn wir uns bemühen, mit unserem Leben gute Früchte für die Sache Jesu Christi zu bringen. Es ist eine Hilfe, die wir oft unterschätzen: „Wenn ihr Glauben habt und nicht zweifelt, so werdet ihr nicht allein Taten wie die mit dem Feigenbaum tun, sondern, wenn ihr zu diesem Berge sagt: Heb dich und wirf dich ins Meer!, so wird’s geschehen. Und alles, was ihr bittet im Gebet, wenn ihr glaubt, so werdet ihr’s empfangen. Ich will auch diese Worte über das Gebet nicht schmälern oder gar als völlig unrealistisch erklä- ren. Ich will auch hier nur deuten und fragen: Was Jesus uns hinter diesen Worten sagen will, hat sicher nichts mit dem zu tun, was hier im Vordergrund angesprochen ist: Wer von uns will denn einen Feigenbaum verdorren lassen oder einen Berg ins Meer werfen wollen? Geht es hier nicht eigentlich darum, dass wir dem Gebet zum Vater im Himmel wieder mehr zutrauen? Vielleicht können wir es so sagen: Wenn wir glauben, dass am Ende unseres Lebens nicht das Nichts steht, wenn wir glauben, dass sich am Ende der Welt - früher oder später - die Heilszeit Gottes, die mit Jesus schon angebrochen ist, endgültig offenbart, dann werden wir auch das Vertrauen finden, das von Gott schon in dieser Welt wunderbare Dinge erwartet ... und empfängt! AMEN