Predigt zum 16. Sonnt. nach Trinitatis - 19.9.2010 Textlesung: 2. Tim. 1, 7 - 10 Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Be- sonnenheit. Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes. Er hat uns selig ge- macht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratsch- luss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt, jetzt aber offen- bart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium. Liebe Gemeinde! Wenn es stimmt, dass Gott uns nicht den Geist der Furcht gegeben hat, dann kann der gute Geist Gottes, der ja wie der Wind ist, in unseren Tagen nicht sehr beständig wehen. Denn diese Zeit ist vol- ler Furcht. Nur ein paar Dinge, vor denen sich die Menschen fürchten, will ich nennen: Junge Leute haben Angst, dass sie in der Schule versagen, keine Lehrstelle bekommen, nicht das Fach studieren können, das ihnen liegt und dass sie überhaupt den guten Start ins Leben verpassen ... Menschen im mittleren Alter plagt die Furcht vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, sie machen sich Sorgen um die eigene Zukunft und die der Kinder und Enkel, sie denken mit Schrecken daran, dass ihre Rente einmal nicht reichen wird, dass Armut droht und sozialer Abstieg ... Und die Alten fürchten sich vor der Zeit, in der sie sich nicht mehr allein versorgen können, krank werden und gepflegt werden müssen und dann ihren Lieben zur Last fallen ... Am Ende warten viel- leicht auch noch Jahre der Einsamkeit auf sie? Und alle, ob jung oder alt haben Furcht vor den Folgen des Raubbaus an der Natur, des Klima- wandels, von Unfällen in Kernkraftwerken und vor der hemmungslosen Gier von Spekulanten, die heute in der Lage sind, die Weltwirtschaft in die Krise zu führen und die Stabilität von Währungen zu bedrohen. - Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus der Fülle der Ängste, die wir alle mehr oder weniger haben und die uns das Herz schwer machen und die Freude am Leben verderben. Paulus meint hier aber noch eine ganz andere Furcht, die heute leider auch sehr verbreitet ist - und sie hat besonders eng mit unserem Glauben zu tun. An dieser Empfehlung verstehen wir, welche Furcht Paulus meint: „Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn ...“ Schon die eben genannten Ängste, Befürchtungen und Sorgen passen nicht zu Menschen, die von Je- sus Christus wissen und Gott ihren Vater nennen. Hier aber ist nun noch angesprochen, was sich be- sonders schlecht mit unserem Glauben als Christinnen und Christen verträgt. Ich will auch hierfür einige Beispiele geben, die leider oft weit über das hier genannte „Schämen“ hinausgehen: Zuerst fällt mir unsere verbreitete Schweigsamkeit ein, wenn es darum geht, offen davon zu sprechen, dass wir an Gott glauben und Jesus Christus als den Herrn der Welt und unseres Lebens sehen. Oft bringen wir es nicht einmal fertig, unseren Kindern davon zu reden. Aber ist es denn miteinander ver- einbar, wenn junge Mütter und Väter, die doch einmal konfirmiert worden sind, nicht von Anfang an mit ihren Kindern beten? Und passt es denn nicht wirklich schlecht zusammen, wenn sich Eltern auf der einen Seite zu Jesus Christus bekennen, ihren Söhnen und Töchtern aber auf der anderen Seite nicht von Gott, von Jesus Christus und ihrem eigenen Glauben erzählen, sie nicht zum Kinder- gottesdienst schicken und auch sonst wenig oder nichts für ihre religiöse Erziehung tun. Aber dieses Schweigen gibt es in allen Altersgruppen: Wenn uns etwa der Gottesdienst unserer Ge- meinde wichtig ist, warum laden wir unsere Lieben, unsere Freunde und Nachbarn nicht immer wied- er dazu ein? Und wenn wir doch aus unserem Glauben immer wieder Hoffnung und Kraft gezogen haben, warum stehen wir den Menschen, denen gerade Hoffnung und Kraft fehlen, nicht mit Worten des Trostes bei? Schließlich sprechen wir auch wenig davon, dass wir wissen, dass alle unsere Gaben von Gott her kommen und wir sie ihm danken müssen. Immer wieder reden wir mehr darüber, wie kundig und fähig wir doch sind und wie „hart wir aber auch gearbeitet haben“, um dieses oder jenes im Leben zu erreichen. Wann sprechen wir dann einmal von Gott, der doch - wie wir genau wissen! - der Geber aller guten Gaben ist? Dann kommt mir aber auch die Feigheit in den Sinn, die viele durchaus engagierte Christinnen und Christen heute lähmt, sodass sie den nötigen Auseinandersetzungen aus dem Weg gehen, das klärende Wort nicht sagen und nicht den Mut aufbringen die Wahrheit auszusprechen. Das ist am Arbeitsplatz so, wo wir nicht für den eintreten, der - vielleicht sogar zu Unrecht! - vom Vorgesetzten gemaßregelt wird. Das ist in unseren nachbarschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen so, wo wir es „um des lieben Friedens willen“ nicht fertigbringen, auch einmal über ein Verhalten zu reden, das uns am anderen nicht gefällt, weil es nicht nur christliche, sondern auch menschliche Werte mit Füßen tritt. Das ist leider aber auch in Kirche und Gemeinde so, dass wir z.B. als KirchenvorsteherInnen den Mut nicht finden, die Pfarrerin oder den Pfarrer darauf aufmerksam zu machen, wenn sich allgemein im Gemeindeleben oder in Kreisen und Gruppen Umgangsformen eingeschlichen haben, die sich nicht mehr mit den Geboten, mit unserem Glauben und unserem Bekenntnis reimen lassen. Und es ist sicher so, dass auch unser persönlicher Lebenswandel oft etwas ganz anderes zeigt als das, wovon unsere Lippen sprechen und was wir als Christinnen und Christen doch im Herzen haben sollten. Wir sind verwechselbar mit denen, die doch erklärtermaßen nicht glauben. Unsere Art zu leb- en, unsere Beziehungen zu den Menschen und wie wir mit ihnen umgehen, unterscheidet sich oft so gar nicht von dem, was wir an denen beobachten können, die Jesus Christus nicht kennen. Scheuen wir uns, die zu sein, die wir unserem Glauben nach sein müssten ... sein wollten ... und sein könnten? Liebe Gemeinde, ich habe Sie jetzt mit einigen harten Worten und Gedanken konfrontiert. Jetzt soll aber auch zur Sprache kommen, was Paulus uns empfiehlt, damit wir über uns, wie wir heute viel- leicht noch sind, hinauskommen. Denn dem „Geist der Furcht“, der sich vielleicht unter uns breit ge- macht und unser Denken, Reden und Handeln zum Schlechten hin beeinflusst hat, stellt Gott einen anderen Geist entgegen: „Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ Und dieser Geist steht sozusagen immer bereit! Er ist da, genauso wie sein Gegenspieler, der Geist der Furcht!. Immer wieder, an jedem Scheideweg unseres Lebens, aber auch in jeder einzelnen Situation des Alltags können wir uns entscheiden: Tue ich dies oder das, gehe ich den leichten, breiten Weg oder den engen, steilen und vielleicht steinigen Pfad. Mit den Beispiele von vorhin geredet: Bekenne und zeige ich vor den Leuten, dass ich zu Jesus Christus gehöre und werde ich meiner Verantwortung für den Glauben auch in meiner Erziehung an den Kin- dern und Enkeln gerecht? Schweige ich, wenn ich den Mund für den Mitmenschen aufmachen müsste, der gerade fälschlich beschuldigt oder angegriffen wird oder trete ich für ihn mit einem of- fenen, klaren Wort ein? Bin ich feige, wenn ich dem Nachbarn eigentlich einmal eine Rückmeldung zu seinem schlechten Verhalten geben oder den Pfarrer auf Missstände in der Gemeinde hinweisen müsste - oder fasse ich mir ein Herz, weil ich weiß, dass es einfach auch zum christlichen Miteinander gehört, einmal begründete Kritik vorzutragen, um den anderen zu mahnen und zurechtzubringen. Wenn wir jetzt denken, das hört sich ja alles gut an, ist aber doch im Leben ganz schön schwierig, dann sage ich: Ja! Es ist nicht leicht, den „engen Pfad“ zu gehen. „Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn..., sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes“, sagt Paulus. Ja, es bedeutet Leid, den steilen und steinigen Weg zu wählen. Darüber müssen wir uns im Klaren sein und darüber werden wir auch nicht hinweggetäuscht. Aber auf diesem Weg zu gehen, hat ganz wunderbare Folgen und eine ewige Verheißung. Ich lese noch einmal, was Paulus dazu schreibt: „Gott hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt, jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium.“ Liebe Gemeinde, wie könnte man schöner zusammenfassen, was unser Glaube ist? „Selig gemacht durch Jesus Christus ... nicht nach unseren Werken, sondern nach der Gnade ... der Tod hat keine Macht mehr ... unvergängliches Leben ohne Ende ...“ Wirklich: Das ganze Evangelium! Alles, was wir Christen glauben in einem Satz! Ich denke, wenn das unser Glaube ist, dann kann es uns doch nicht allzu schwer fallen, uns diesem Glauben entsprechend zu verhalten in unserem Denken, Reden und Handeln. Wir werden nicht schweigen, wo wir den Mund auftun sollten. Wir werden nicht feige sein, wo wir durch Gottes Kraft mutig sein können. Wir werden ansprechen, was von unserer christlichen Überzeugung her angespro- chen werden muss. Das alles aber wird nicht deshalb geschehen, weil wir von Gott dafür etwas emp- fangen wollen, sondern darum, weil wir dankbar dafür sind, dass er uns in Jesus Christus schon alles geschenkt hat, was uns zu einem erfüllten Leben in dieser und dem ewigen Leben in Gottes neuer Welt führt. Und was ist mit den anderen Ängsten, die uns in dieser Zeit das Herz schwer machen: Den guten Start ins Leben zu verpassen ... Verlust des Arbeitsplatzes ... Armut droht und sozialer Abstieg ... sich nicht mehr allein versorgen können, krank werden und gepflegt werden müssen ... Jahre der Einsamkeit ... Raubbau an der Natur ... Gier von Spekulanten, Krise der Weltwirtschaft ...? Alles das wird uns weiter Gedanken und Sorgen machen, ängstigen aber muss es uns nicht, denn es kann Gottes Ver- heißung des Lebens in dieser und einmal der ewigen Welt nicht aufheben. Wir wollen uns auf dieses Wort verlassen: Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. AMEN