Predigt zum 4. Sonnt. nach Trinitatis - 27.6.2010 Textlesung: Röm. 14, 10 - 13 Du aber, was richtest du deinen Bruder (oder deine Schwester)? Oder du, was verachtest du deinen Bruder (oder deine Schwester)? Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden. Denn es steht geschrieben (Jesaja 45,23): „So wahr ich lebe, spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen, und alle Zungen sollen Gott bekennen.“ So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben. Darum lasst uns nicht mehr einer den andern richten; sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder (oder seiner Schwester) einen Anstoß oder Ärgernis bereite. Liebe Gemeinde! Wir leben gerade in bewegten Zeiten mit gleich einigen Krisen: Zuerst die Bankenkrise, dann die Finanzkrise, die hat wieder eine Wirtschaftskrise hervorgebracht. Inzwischen ist unsere Währung unter Druck, viele Euro-Länder sind hochverschuldet, manche stehen unmittelbar vor dem Staats- bankrott ... Außerdem - und mit ausgelöst durch die genannten Krisen - gibt es in der Politik eine Vertrauens- und Kommunikationskrise - unsere Regierung steht vor einer Zerreißprobe, heißt es. In solchen unruhigen Zeiten entstehen Ängste: Vor der wirtschaftlichen Zukunft, die ja immer mit unserer persönlichen Zukunft zu tun hat. Wird es eine Geldentwertung geben, eine Inflation? Wird unsere Altersvorsorge zunichte gemacht? Wird die Rente, die Pension reichen? Und ganz selbstverständlich werden für diese beängstigenden Entwicklungen Schuldige gesucht und - wie wir meinen - auch gefunden: Die Banker, die Bankenaufsicht, die Spekulanten, die un- fähigen Politiker dieser oder jener Partei, die Regierungen der bankrotten Länder und so weiter. Die Auskunft, die uns Paulus in den Versen gibt, die wir heute bedenken, macht uns da wenig zu- frieden: Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden. Wir sollen also keinem an- deren Menschen Schuld zuweisen, niemanden verachten und schon gar nicht verurteilen, denn:„So wahr ich lebe, spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen, und alle Zungen sollen Gott bekennen.“ Gott behält sich vor, die Schuldigen zu benennen und ihnen das Urteil sprechen. Wie gesagt, das macht uns nicht zufrieden und ist ganz und gar nicht in unserem Sinn. Es würde uns viel besser gefallen und es wäre doch auch viel einfacher, wenn wir sagen könnten: Dieser oder jener böse Bankmensch hat es verursacht, dass die Bankenwirtschaft derart abgestürzt ist. Oder: Es ist der Spekulant X, der jetzt die Talfahrt des Euro ausgelöst und damit die Inflation in Europa wahrscheinlich, zumindest doch möglich gemacht hat. Und schließlich tut uns das auch gut, auf einen Menschen aus unserer Regierung zeigen zu können und es auszusprechen: Der oder die ist schuld! Er oder sie hat die Weichen falsch gestellt oder zu lange gezögert, ehe er oder sie die richtigen Schritte eingeleitet hat. - Aber noch einmal: Das sollen wir nicht tun, weil „jeder (und jede) von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben“ muss!? Sind wir in der Wirtschaft und Politik, also in den ganz großen Zusammenhängen, ja vielleicht noch unsicher, wer letztlich verantwortlich für die Fehler ist, aus denen die Krisen entstanden sind, so ist es uns doch in unserer kleinen persönlichen Umgebung keine Frage, wer schuld daran ist, dass die Dinge schief laufen, dass Menschen zu Schaden gekommen sind, Chancen vertan, Unglück und böse Folgen heraufbeschworen wurden. In unserem Bereich kennen wir uns schließlich gut aus! Wir wissen es ganz genau, warum die Ehe unserer Nachbarn kaputtgegangen ist ... das war er, der sich diese viel Jüngere genommen hat ... das war sie, die ihrem Mann das Leben vergällt und den Haushalt hat verlottern lassen. Und wir wissen auch ganz genau, wer der Unfallverursacher war, der die junge Frau aus unserer Gegend in den Rollstuhl gebracht hat: Das war dieser Mann aus Soundso, der betrunken und ohne Führerschein und viel zu schnell gefahren ist. Schließlich können wir auch noch bei vielen Ärgernissen, die von unserer Stadt- oder Gemeindeverwaltung ausgehen und bei manchem, was in unserem Verein oder unserer Kirchengemeinde falsch läuft, sagen, wer die Schuldigen dafür sind - ganz konkret ... mit Namen! - Aber wir sollen es nicht: „Darum lasst uns nicht ... einer den andern richten“, sagt Paulus und er fügt auch gleich hinzu, woran wir nun auch verstehen sollen, warum keiner einem oder einer anderen das Urteil sprechen soll: „... sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder (oder seiner Schwester) einen Anstoß oder Ärgernis bereite.“ Dazu fallen uns gewiss einige Sprüche ein, die wir schon einmal gehört haben, Worte und Gedank- en ... auch biblische darunter: „Jeder kehre zuerst vor seiner eigenen Tür“, zum Beispiel oder: „Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen!“. Vielleicht auch: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein (Jh. 8,7b)“ oder das, was Paulus im selben Römerbrief weiter vorne über alle Menschen geschrieben hat: „Denn es ist hier kein Unterschied: sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten (Röm. 3,22cf). Aber gleich regt sich bei uns Protest: Sitzen wir denn im Glashaus, wenn wir die Banker und Spe- kulanten gierig nennen und sie für ihr unverantwortliches Tun verurteilen? Wir sind doch nur kleine Leute, Sparer, die jetzt um ihr bisschen Geld fürchten. Und wir haben auch unsere Ehepart- ner nicht verlassen und keinen schlimmen Unfall verursacht! Und so weiter und so weiter ... Das ist sicher alles wahr und richtig. Trotzdem: Schauen wir auf uns. Keine und keiner von uns ist vollkommen oder auch nur annähernd so, wie sie oder er sein sollte und wie Gott sie oder ihn ge- meint hat. Das heißt: Wenn andere vielleicht in großem Stil an der Börse gezockt haben, so haben wir es vielleicht hie und da bei den Angaben für den Steuerbescheid nicht so genau genommen. Und wenn ein anderer seine Frau im Stich gelassen und wieder ein anderer betrunken einen schweren Unfall verschuldet hat, so gibt es doch bei uns das eine oder andere Geheimnis, das unser Partner nicht wissen soll und den Moment, in dem wir auf der Fahrt zum Arbeitsplatz neulich unaufmerksam waren und es fast ein böses Unglück gegeben hätte. Liebe Gemeinde, es geht nicht um die Schwere der Sünde. Es geht nicht darum, ob es offenkundig ist, was einer getan oder gelassen hat oder ob es verborgen geblieben ist. Es geht darum, dass wir alle nicht frei sind von Fehlern, von Bosheit und von Schuld. Und schließlich - und wahrhaftig nicht zuletzt! - geht es darum, dass Gott seinen Sohn für uns alle in die Welt gesandt hat, dass er für uns alle in Leiden und Tod geht und für uns alle am Kreuz sich selbst als Opfer darbringt. Es bleibt eine schwierige Sache, sich mit einer Schuldzuweisung und einem Urteil über andere zurückzuhalten, besonders wenn alles so klar scheint und so unbestreitbar wie bei den vorhin gen- annten Personen, die hinter den Krisen unserer Tage oder dem schlechten Verhalten und den bösen Taten in unserer Umgebung stehen. Aber es ist ja nun nicht so, dass wir alles, was an Bösem und Schuldhaftem geschieht, ganz ohne Widerspruch und ohne Kommentar hinnehmen sollen! Aber es ist etwas anderes, ob wir sagen: Hier haben die Spekulanten sich falsch verhalten oder da hat ein Mensch sein Versprechen gebrochen, das er einmal vor dem Altar Gottes gegeben hat, als wenn wir diese Menschen verdammen, sie abschreiben und ihnen alle Strafen des Himmels und der irdischen Gerichte wünschen. Und sicher hat niemand etwas dagegen, wenn wir das Gespräch mit denen suchen, die unserer Meinung nach falsch gehandelt und Schuld auf sich geladen haben. Im Ge- genteil: Das ist vielleicht das Allerbeste, was wir tun können. Im Gespräch nämlich mit denen, die uns schlecht und sündhaft vorkommen, werden wir ganz gewiss auch die eine oder andere Frage hören, wie es denn mit unserem Tun und Lassen bestellt ist, was wir denn an Schuld mit uns her- umtragen und wo wir andere bedrückt, belastet, gekränkt oder verletzt haben. Dass wir’s nicht vergessen: Genau so gut wie das Gespräch mit den Menschen ist auch das Gespräch mit Gott - auch über die, deren Handeln uns schlecht und unmöglich erscheint. Aber bitte nicht anklagend oder mit unserem festen Urteil im Hintergrund unseres Betens! Eher so: „Lieber himmlischer Vater, zeige den Menschen, die andere in Leid und Unglück gestürzt haben, einen Weg heraus aus ihrer Schuld. Schenke ihnen einen neuen Anfang, die Vergebung derer, die sie ges- chädigt oder verletzt haben, dass sie vor dir und den Menschen aufatmen können und zu neuem, schuldbefreiten Leben finden.“ Und am Ende jedes dieser Gebete darf eines nicht fehlen: „Gott, zeige mir, wo ich anderen das Leben schwer mache, wo ich sie mit meinen Taten, meiner Rede, meiner Art beschwert, verletzt, geschädigt oder gekränkt habe und hilf mir, dass ich die Dinge in Ordnung bringen kann und ihre und deine Vergebung erfahre, um Jesu Christi willen!“ Ich glaube fest, andere Menschen zu verdammen und zu verurteilen, wird weder ihre falschen Taten und die damit verbundene Schuld aufheben, noch das Verhältnis zu diesen Menschen irgendwie verbessern. Vielmehr glaube ich, andere anzunehmen, so wie Gott uns alle in Jesus Christus angenommen hat und immer daran zu denken, dass wir nicht weniger Sünder sind als sie, ist der bessere Weg, dass die anderen und wir selbst zu einem christlichen Miteinander und zu einem Leben finden, das Gott gewollt hat. AMEN