Predigt zum Ostersonntag - 4.4.2010 Liebe Gemeinde! Der lange Winter ist nun endlich vergangen. Auch die Wochen der Passion mit ihren ernsten und oft auch bedrückenden Gedanken für uns Christinnen und Christen liegen hinter uns. Es ist Ostern - und wir sind in die Kirche gekommen, um eine frohe, fröhliche und befreiende Botschaft zu hören! Wir wollen hören und sehen, ob der für heute vorgeschlagene Predigttext aus dem 1. Korintherbrief des Paulus eine solche Botschaft für uns hat: Textlesung: 1. Kor. 15, 1 - 11 Ich erinnere euch aber, liebe Brüder, an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht, durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr’s festhaltet in der Gestalt, in der ich es euch verkündigt habe; es sei denn, dass ihr umsonst gläubig geworden wärt. Denn als erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift; und dass er begraben worden ist; und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift; und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen. Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen. Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln. Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden. Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Ge- meinde Gottes verfolgt habe. Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist. Es sei nun ich oder jene: so predigen wir, und so habt ihr geglaubt. Liebe Gemeinde, ich weiß schon ... mir ist es ähnlich gegangen beim ersten Lesen: Es scheinen kaum fröhliche, froh machende und befreiende Gedanken in diesen Worten enthalten zu sein! Sie sind so wenig für das Herz, diese Worte und für den Bauch, wie man heute sagt. Sie wollen durch Argumente überzeugen - nicht durch ansteckende Freude und Begeisterung, die den Schreiber überwältigt hat, so dass er davon einfach weitererzählen muss. Und besonders der erste Teil dieses Briefabschnitts kann uns nur schwer Freude vermitteln, ja, er kann uns nicht einmal überzeugen: Wenn wir hören, wer Jesus alles nach seiner Auferstehung gesehen hat, Kephas, die Zwölf, fünfhundert Brüder auf einmal ... Was wissen wir? Ob das wohl alles stimmt, ob es bewiesen und belegt ist? Und selbst wenn, dann würde uns das heute doch nicht sagen, dass der Auferstandene auch in unserer Nähe ist und schon gar nicht, ob auch wir einmal auferstehen werden! Das aber, unsere eigene Auferstehung, unser eigenes Leben aus dem Tod und nach dem Tod ist es, was uns wirklich interessiert! Dass dieses Leben hier nicht alles ist, sondern in eine herrliche ewige Zukunft mündet, das wäre für uns heute die schönste Freude, die Osterfreude, die wir ganz tief in unseren Herzen ersehnen. Aber wie kriegen wir diese Freude? Lassen wir doch einmal den ersten Teil, in dem der Apostel sagt, wer alles den Auferstandenen gesehen hat, links liegen und wenden wir uns dem zweiten Teil zu: „Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden“, schreibt Paulus hier. Aber das muss man schon erklären, um es recht zu begreifen: Die „unzeitige Geburt“ ist eigentlich eine Fehlgeburt! Stellen Sie sich vor, einer bezeichnete heute irgendjemand anderes als Fehlgeburt! Da gäbe es eine Beleidigungsklage, die sich gewaschen hat. Nun nennt Paulus sich auch noch selbst so - und er nimmt damit auf, was wohl seine Gegner (in Korinth) über ihn gesagt haben. Aber er ist nicht beleidigt, so genannt worden zu sein. Im Gegenteil, er bestätigt ja, dass er sich selbst auch für das hält, was sie von ihm sagen: „Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe.“ Aber das hat nun auch noch eine andere Seite: „...durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.“ Ob- wohl ich eine Fehlgeburt war und man mich mit Recht so genannt hat, bin ich doch von Gott zum Apostel berufen worden! Ihm war ich nicht zu schlecht, nein, gerade mich wollte er haben! Vielleicht denken wir hier einmal wieder an die ja wirklich unglaubliche Sache, die schon in der Bibel und dann in unserem christlichen Glauben einmalig ist: Immer wieder ruft Gott gerade die Menschen in seinen Dienst oder in seine Nähe, die - ich will es mit diesem Wort aussprechen - „Fehlgeburten“ sind! Da können wir unsere Suche wirklich ganz weit vorn im ersten Buch der Bibel beginnen, immer wieder werden wir fündig: Kain, der seinen Bruder umgebracht hat, wird durch das „Kainsmal“ geschützt, dass keiner ihm tut, wie er getan hat. Jakob, der seinen Vater und Bruder um den Segen betrogen hat, wird der Stammvater der 12 Stämme Israels. Mose, ein Mann der sich nach seinem Vorleben überhaupt nicht für die Führerschaft des Volkes Israel eignet, ein Mann, der selbst nicht reden kann, sondern dazu der Hilfe seines Bruders Aaron bedarf, wird von Gott auserwählt, die Kinder Israel aus Ägypten zu befreien. Über König David, der für eine schöne Frau deren Mann dem Tod preisgibt, über einige Propheten, die sich Gottes Ruf entziehen wollen kommen wir schließlich ins Neue Testament mit seinen vielen fehlbaren und sicher nicht gottgefäl- ligen Personen der Geschichten und Gleichnisse von und um Jesus: Der Verlorene Sohn, die über- führte Ehebrecherin, die von unserem Herrn in Schutz genommen wird, die beiden Zöllner Zachäus und Matthäus, die Jünger, die von Jesus Fensterplätze im Himmel verlangen, Judas, der Verräter und Petrus, der Verleugner ... und noch so viele andere vor Paulus und auch nach ihm, wenn wir die Apostelgeschichte aufmerksam lesen. Immer ist es dasselbe: Gott wendet sich den Unzulänglichen, den fehlerhaften, sündigen und ganz und gar nicht moralisch handelnden oder untadelig lebenden Menschen zu. Und wenn wir die Bibel ein wenig besser kennen, fällt uns jetzt gewiss das Wort Jesu ein: „Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken! Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten“ (Mk.2,17). Und warum Gott und sein Christus gerade die Fehlbaren und Schwachen ruft, das hat mit einem Wort zu tun, das gerade für uns evangelische Christen seit Martin Luther eine ganz besonders wichtige Rolle spielt - Paulus nennt dieses Wort hier gleich zweimal: „Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist.“ Wenn es auch ein wenig altertümlich scheint, von „Gnade“ zu reden, so wissen wir doch alle, was gemeint ist: Gottes zuvorkommende Liebe! Oder wie es Lu- ther vielleicht ausgedrückt hätte, dass Gott uns annimmt und freispricht von aller Schuld, ohne dass wir irgendein Werk tun oder irgendeine Leistung vollbringen müssten. Und so eben ist es bei Pau- lus gewesen und bei den vielen anderen, die ich vorhin aufgezählt habe: Sie haben nicht die Gnade Gottes, haben nicht seine Liebe in irgendeiner Weise auf sich gezogen, im Gegenteil: Unsere menschliche Liebe hätte sich solche Menschen gewiss nicht als Freunde oder nur als Gegenüber für ein Gespräch oder als Gäste in unserem Haus ausgesucht. Gott aber tut das, nicht nur hin und wied- er, sondern eigentlich immer! - Und er tut das auch mit und bei uns! - Ja, da sind wir nun endlich bei uns und unserem Ostergottesdienst zurück. Fragen wir jetzt noch einmal nach der Freude ... ich glaube, wir haben eben alle gesehen, worin sie nun doch liegen könnte: Wir mögen sein, wie wir wollen, uns mögen Sünden ohne Zahl und Schuld ohne Maß belasten, es mag in der Welt keinen einzigen Menschen geben, der uns liebhat ... Gott liebt uns und ruft uns zu sich! Er spricht uns frei von allem, was uns quält, er will uns in seiner Nähe haben, er hat Aufträge für uns, die gerade wir erfüllen können, er schüttet seine Gnade über uns aus und nimmt uns an. Liebe Gemeinde, wenn wir jetzt noch einmal in den ersten Teil der Worte aus dem 1. Korinther- brief schauen, die uns für heute zu bedenken vorgelegt sind und dort lesen: „Dass Christus gestor- ben ist für unsre Sünden nach der Schrift; und dass er begraben worden ist; und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift; und dass er gesehen worden ist“ ... von sehr vielen Menschen, dann fällt es uns jetzt vielleicht nicht mehr ganz so schwer, das zu glauben. Ich finde, dass Gott uns und allen Menschen mit seiner Gnade, seiner zuvorkommenden Liebe entgegenkommt ist ein noch viel größeres Wunder als das andere, dass er seinen geliebten Sohn Je- sus Christus nicht im Tod gelassen hat und dass er auch uns einmal durch die Auferstehung zum ewigen Leben in seiner Herrlichkeit führen will. - Vielleicht spüren Sie jetzt doch ein wenig Os- terfreude? Denn die will Gott uns heute schenken! AMEN