Predigt zum 4. Adventssonntag - 20.12.2009 Textlesung: Phil. 4 , 4 - 7 Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Eure Güte lasst kund sein allen Menschen! Der Herr ist nahe! Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden! - Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Liebe Gemeinde! In vielen Gemeinden (und ja auch bei uns) hätten die Predigthörerinnen und -hörer heute nach der Lesung dieser Verse denken können, die Predigt wäre schon zu Ende: „Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft ...“ Mit diesen Worten, dem so genannten „Friedensgruß“ (Kanzelgruß) beschließen nämlich alle, die im Dienst der Verkündigung stehen, meist ihre Predigt. Und ich finde den Gedanken, dass nach den ersten drei Versen, die wir eben gehört haben, eigen- tlich alles gesagt ist, gar nicht so abwegig. Denn was lesen wir dort?: Freuet euch in dem Herrn, se- id gütig zu den Menschen, sorgt euch nicht und seid dankbar gegenüber Gott! Wenn das keine guten Empfehlungen für uns sind! Und sie passen auch noch wunderbar in diese Tage kurz vor dem Fest! Denn das wünschen wir uns doch wirklich - nicht nur, aber besonders zur Weihnacht: Freude, ein paar Tage, an denen Liebe und Güte regieren, einmal keine Sorgen haben, und auch das ehrliche Empfinden der Dankbarkeit für das große Wunder des Heiligen Abends! Wenn sich das erfüllte, dann fehlte wirklich nur noch der Friedensgruß, um das Fest und unsere Erwartung abzurunden. Aber ... ob sich das wohl erfüllt? Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen, die Sie vielleicht auf dem Weg zu einem Weihnach- tsfest, das Sie froh macht und wie Sie es sich ersehnen, begleiten kann: In der Lazarusgemeinde am Rande der Großstadt war schon im September eine Initiative aus den Reihen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entstanden, in der Weihnachtszeit einmal gerade an die zu denken, die kein schönes Fest erwarten konnten. Zuerst wollte man an Heiligabend für die Obdachlosen ein festliches Essen und ein weihnachtliches Programm im Gemeindehaus anbieten. Das hatte aber schon die katholische Nachbargemeinde auf dem Plan. Dann dachte man an eine Geschenke-Aktion für arme Kinder des Stadtteils. Das war einigen aus der Initiativgruppe dann aber doch zu kommerziell und irgendwie zu weltlich. Also suchte man weiter nach einer Idee, was man denn über die Weihnachtstage sinnvoll und mit christlichem Hintergrund für Menschen tun konnte, die sonst die frohe Botschaft nie erreichte. Ein 19-jähriger mit Namen Markus kam schließlich auf den Gedanken, über seinen Vater, der als Aufseher in einem Jugendgefängnis arbeitete, den Kontakt zur Gefängnisdirektion zu knüpfen. Viel- leicht gab es dort jugendliche Straftäter, die über Weihnachten Freigang hatten, aber nicht wussten, wohin sie hätten gehen können. Und wirklich gab es einen solchen jungen Mann, er hieß Kevin, der als Wiederholungstäter wegen Diebstahl einsaß. Seine Reststrafe waren nur noch vier Monate, darum konnte sich die Gefängnisleitung dazu entschließen, den 20-jährigen über Weihnachten freizugeben, allerdings mit der Auflage, sich im Haus und in der Familie von Markus’ Vater aufzuhalten. Kevin war im Heim aufgewachsen, seine Eltern waren schon vor vielen Jahren bei ei- nen Unfall ums Leben gekommen; so wäre es - ohne die Einladung - sein drittes Weihnachten im Gefängnis geworden. Die Initiative bemühte sich, noch andere Weihnachtsgäste zu bekommen und zu vermitteln, aber es war nicht möglich, weitere zu finden. So war es also nur Kevin, der über die Festtage bei einem der ihren erwartet wurde - alle anderen sollten ihn aber beim Gottesdienst am 2. Feiertag in der Kirche kennenlernen. Markus’ Vater, der über die Feiertage dienstfrei hatte, brachte Kevin am Tag vor Heiligabend mit nach Hause. Markus sollte sich insbesondere seiner annehmen. Und da stand Kevin jetzt im Flur, mit Turnschuhen an den Füßen und einer Sporttasche in der Hand. Er war eher schmächtig gebaut, schaute sich verlegen und unsicher um und wirkte überhaupt nicht wie einer, der aus dem Gefängnis kam und entsprach darum gar nicht Markus’ Erwartungen, was ihn nun selbst in Verlegenheit brachte: Wie sollte er Kevin begrüßen? Worüber sollten sie überhaupt reden? Markus hatte ja wenig Ahnung, was denn die Themen waren, die junge Straf- gefangene interessierten. Sollte Markus vielleicht danach fragen? - Jetzt sagte er jedenfalls erst einmal: „Hallo, Kevin, ich bin Markus.“ Was in den nächsten Tagen über Heiligabend und Weihnachten geschah, war dann so ganz anders als geplant, erwartet - und befürchtet: Kevin schien sich in Markus’ Familie sehr wohlzufühlen. Er genoss sichtlich die weihnachtliche Atmosphäre und den freundlichen Umgangston, der im Haus herrschte. Beim Tischgebet, wie es in der Familie üblich war, tat er zwar nicht mit, wartete aber so lange mit dem Essen, bis auch die anderen damit begannen. Überhaupt zerstreuten sich schnell sämtliche Bedenken, ob man dem jungen Mann, der bisher gewiss wenig Berührung mit religiöser Lebensführung gehabt hatte, ein Weihnachten in einer christlichen Familie zumuten könnte. Kevin war bei allem gerne dabei, ja, er schien es wie lange Entbehrtes in sich aufzunehmen. Eigentlich sollte er ja erst am 2. Feiertag mit in den Gottesdienst kommen. Heiligabend sollte er mit Markus’ Vater zu Hause bleiben. Aber er bat darum, schon in die Christvesper am Heiligen Abend mitgehen zu dürfen. Später in der Weihnachtsstube, als Markus’ Mutter die Weihnachtsgeschichte verlas und sie einige Lieder sangen, saß er zwar nur still da, war aber doch sehr aufmerksam dabei und sich- tlich angerührt von dem, was er sah und hörte und was er so gewiss noch nie erlebt hatte. Als Mar- kus ihm dann ein Geschenk überreichte, traten Kevin Tränen in die Augen. Beim Gespräch mit den anderen Mitgliedern der Weihnachtsinitiative nach dem Gottesdienst am 2. Weihnachtstag war Kevin seltsam wortkarg. Es schien so, als wollte er möglichst schnell wieder zurück in Markus’ Familie. Umso gesprächiger war er dann wieder am Nachmittag und am Abend, der ja der letzte Abend seines Weihnachtsbesuchs sein sollte. Als Markus’ Vater Kevin am nächsten Morgen wieder ins Jugendgefängnis zurückbringen wollte, stellte Kevin die Frage, die seine große Freude an den Erlebnissen über diese Weihnachtstage in nur vier Wörtern zusammenfasste: „Danke! - darf ich wiederkommen?“ (Manfred Günther) Liebe Gemeinde! Freuet euch in dem Herrn, seid gütig zu den Menschen, sorgt euch nicht und seid dankbar ge- genüber Gott! - Sie haben Recht, es ist noch nicht die ganze Freude „in dem Herrn“ gewesen, von der in der Geschichte, die wir eben gehört haben, die Rede war. Und die „Dankbarkeit gegenüber Gott“ kam wohl auch nicht so richtig vor. Aber können wir das denn auch von einem jungen Men- schen erwarten, der wahrscheinlich bisher ganz wenig von dem gehört und erfahren hat, was wir im Konfirmanden- und Religionsunterricht lernen und wohin uns doch auch schon die religiöse Erzie- hung im Elternhaus geführt hat. Aber warum soll es denn nicht eine „Freude im Herrn“ geben, die selbst nicht weiß, an wem sie sich freut? Und warum sollte Gott nicht auch den Dank hören und annehmen, der sich an Menschen richtet, die sich anderen in seinem Sinn und Auftrag zuwenden? Aber wir wollen an der Geschichte nicht weiter herumklügeln. Wir wollen lieber auf das hören, was sie uns sagen will: Das Weihnachtsfest hat immer noch und immer wieder die Kraft, Menschen im Innersten anzurühren. Sie schenkt große Freude, sie begeistert und stimmt uns füreinander mild und gütig. Sie schließt uns auf - einer für den anderen, nicht nur in der Familie, auch in der Gemeinde, sogar für Menschen, die wir gar nicht gekannt haben und deren Lebensgeschichte nicht gut war. Aber sie kann eben auch verändern: Den einen dazu, Kontakt mit der Sache Gottes aufzunehmen und - wie es bei Kevin war - zu vertiefen. Die anderen auf die Weise, dass sie sich auch auf solche Menschen einlassen, die straffällig geworden sind oder sonstwie am Rande der Gesellschaft leben. Schön wäre es, wenn die Freude, die Güte untereinander und dass wir uns keine Sorgen um uns selbst mehr machen, uns nicht nur an Weihnachten für ein Paar Tage beseelt und verwandelt, son- dern mit uns geht durch alle Tage des Jahres, durch die guten und die schweren. Noch schöner wäre es, wenn wir immer wüssten, wem wir dafür dankbar sein sollen und wenn wir diesen Dank auch zeigen, in unserem Denken, Sprechen, Beten und Handeln. So würde es allezeit wahr, was wir im Philipperbrief lesen: Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Eure Güte lasst kund sein allen Menschen! - Und wenn das wahr würde, dann fehlte uns wirklich nur noch eins: Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN