Predigt zum Sonntag „Jubilate“ - 26.4.2015 Liebe Gemeinde! „Ich bin nicht gläubig“, sagte der Mann, „aber ich kann auch ohne Glauben rechtschaffen leben, ja, ich möchte sagen: ich lebe sogar christlich!“ Von einer Frau konnte man hören: „Ich war seit meiner Konfirmation nur noch bei Beerdigungen in der Kirche. Aber meine Erfahrung ist: Wenn man einmal von Jesus gehört hat, dann fällt es leicht, sein Leben so führen, wie er es uns gelehrt hat.“ Viele Christen, Theologen darunter, machen sich immer wieder Gedanken darüber, ob ein Christ seinen Glauben, wenn er ihn wirklich hat, auch wieder verlieren kann? Muss ein Christ vielleicht auch einmal um seinen Glauben ringen? Hinter all diesen und ähnlichen Äußerungen und Gedanken steht die Frage, ob wir Jesus Christus unser Leben lang brauchen, um eine Christin, ein Christ zu werden und zu bleiben? Die Verse, die uns heute zu bedenken verordnet sind, geben eine klare und deutliche Antwort. Wir hören auf Verse aus dem Johannesevangelium im 15. Kapitel: Textlesung: Jh. 15, 1 - 8 Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater der Weingärtner. Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen; und eine jede, die Frucht bringt, wird er reinigen, dass sie mehr Frucht bringe. Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie müssen brennen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. Darin wird mein Va- ter verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger. Liebe Gemeinde! Wie gesagt, klare und deutliche Worte: „Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt.“ Und sicher ha- ben Sie das bemerkt: Jesus sieht den Glauben der Christen nicht als etwas an, was wir irgendwo in uns haben, wie einen Besitz. Glaube ist lebendig. Glaube bringt Früchte und allein an diesen Früch- ten lässt er sich erkennen. Und wie bei einem Weinstock die Rebe, so müssen auch wir verbunden bleiben mit unserem Herrn. Von ihm fließt uns Kraft und Lebenssaft zu. Wer sich vom Weinstock trennt, der kann keine Früchte mehr treiben. - In einer Bibelstunde diskutieren die Teilnehmer über die Frage, ob nicht ein Mensch, auch ohne Christ zu sein, mit seinen Mitmenschen so umgehen kann, wie es Christus uns vorgelebt und gebo- ten hat, also treu, geduldig und voller Liebe. Einer berichtet: Er hätte einen Arzt, der wäre erklär- termaßen Atheist, aber er würde sich so aufopferungsvoll und so engagiert um seine Patienten kümmern. Ein überzeugter Christ könnte das nicht besser machen. Eine andere erzählt von ihrer Freundin: Die wäre in der DDR aufgewachsen und weder getauft noch konfirmiert. Außerdem hätte sie auch keinen Bezug zur Kirche oder zur Bibel. Trotzdem wäre sie eine so herzensgute Frau, so liebevoll und freundlich zu jedem Menschen, der ihr begegnet. Da kenne sie Christinnen und Christen, die so viel Nächstenliebe niemals aufbringen würden! Was soll man zu solchen Berichten sagen? Mir fallen dazu zwei Gedanken ein. Der erste ist dieser: Warum sollte Jesus, der lebendige Herr, nicht auch an und in Menschen arbeiten und durch sie Früchte bringen, die gar nicht an ihn glauben, jedenfalls nicht bewusst. Wie es Menschen gibt, die nur meinen, sie wären gläubige Christen, so kann es doch auch solche geben, die gläubig sind und es gar nicht wissen. Aber der zweite Gedanke zu der Frage, wie manche Menschen scheinbar oder wirklich ohne eine Beziehung zu Christus doch christliche Früchte treiben können, scheint mir persönlich noch plau- sibler. Auch wenn uns dieser Gedanke jetzt sicher etwas verstört und sich nicht gut anhört: Aber wer sagt denn, dass diese Menschen ihre Liebe und Freundlichkeit gegenüber jedermann ihr Leben lang durchhalten? So ein Leben ist lang. Die Begegnungen mit dem engagierten Arzt dauern dage- gen nur Minuten oder ein paar Stunden im Verlauf eines Jahres. Und selbst der Kontakt mit der Freundin, die wir als so liebevoll empfinden, währt nur relativ kurze Zeit, wenn wir uns vielleicht ein-, zweimal die Woche sehen. Was wissen wir schon vom ganzen Leben dieser Menschen? Aber nicht nur von ihrem Leben heute, wissen wir wenig. Von dem, was sich da vielleicht noch verän- dert im Laufe der Jahre, die kommen, wissen wir - gar nichts. Was sich jetzt noch schlechter anhört und noch mehr verstören kann: Das ist ja auch bei wirklich überzeugten Christinnen und Christen nicht anders! Auch sie können durch die Erfahrungen, die sie machen, die Erlebnisse, die sie haben, ihren Glauben verlieren und damit ihre Verbindung zum Weinstock Christus, durch den sie die Früchte ihres Glaubens bringen konnten. Mir fällt der OP-Pfleger ein, der einmal aus christlichen Motiven diesen Beruf gewählt hat. Nach wenigen Jahren ist er soweit, dass er kündigt und sich beim Arbeitsamt wegen einer Umschulung meldet. Einem Seelsorger sagt er: Er hätte über seiner Arbeit in OP und Intensivstation seinen Glauben an einen gütigen Gott verloren. So viele Menschen hätte er leiden und sterben sehen oder mit bleibenden Behinderungen behaftet. Er könne einfach nicht mehr in der Pflege von Kranken ar- beiten. Und ich muss an die junge Frau denken, die in einer Familie aufgewachsen ist, die wir „fromm“ nennen würden. Früher hat sie alles von Jesus erwartet, viel gebetet und in der Bibel gele- sen. Als dann aber ihre Ehe - sie hatte gedacht, sie wären füreinander bestimmt - nach nur einem Jahr so schmerzhaft scheiterte, da hat nicht nur ihr Mann sie verlassen, sondern auch ihr Glaube. Seitdem betet sie nicht mehr und ihre Beziehung zum Weinstock Christus ist abgerissen. Liebe Gemeinde, was kann, was soll uns das sagen? Nicht mehr und nicht weniger als das: Der Glaube, jedenfalls der, aus dem auch Früchte kommen und der diesen Namen verdient, ist niemals ein fester Besitz! Viel kann geschehen in so einem Leben: Aus einem Saulus kann ein Paulus wer- den. Allerdings auch aus einem Paulus ein Saulus! Es gibt Zeiten, in denen uns der Glaube leicht fällt und wir gerne seine Früchte hervorbringen. Es können aber auch Zeiten kommen, in denen wir die Verbindung mit Christus ganz verlieren und uns alles, was wir früher einmal geglaubt haben, dumm und unvernünftig erscheint und wir selbst nicht mehr begreifen, wie wir einmal haben Chris- ten sein wollen. Aber trotzdem, dieses Wort Jesu gilt: „Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“ So kann es im Leben einer Christin, eines Christen nur da- rum gehen, die Beziehung zu Jesus Christus niemals aufzugeben. Das kann sehr schwer sein, den- ken wir an den ehemaligen OP-Pfleger oder die ehemals so fromme junge Frau. Das kann jeden treffen, denken wir nur an die Zeiten in unserem eigenen Leben, in denen wir durch dunkle Tage und Wochen gegangen sind und der Zweifel an uns genagt hat und die Verzweiflung so nah war. Aber vielleicht durften wir ja auch erleben, dass wir zu unserem Herrn zurückgefunden haben. Und vielleicht werden der OP-Pfleger und die junge Frau einmal auch wieder die zerbrochene Verbin- dung zu Christus aufnehmen können. Jedenfalls dürfen wir zwei Dinge nie vergessen: „Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt“, sagt Je- sus. Es gibt kein dauerhaft christliches Leben ohne die Verbindung zu ihm. Wenn wir nicht an ihm, dem Weinstock bleiben, können wir unsere Liebe zu unseren Mitmenschen besonders wenn Trauer, Leid und Krankheiten kommen, nicht durchhalten. Vielleicht für eine kurze Zeit kann das gelingen, nicht aber für all die Jahre unseres Lebens, von denen wir nicht wissen, was sie noch alles für uns bereithalten. Die Liebe, die nicht von Jesus Christus gespeist wird, hat einen kurzen Atem. Die Treue, die nicht von seiner Treue herkommt, hält nicht alles aus. Und nur wer seine Geduld erfährt, kann mit anderen so geduldig sein, wie er mit uns. Das zweite, woran wir immer denken sollen, will sich uns mit diesem Wort Jesu einprägen: „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren.“ Vielleicht nehmen wir es mit dieser Verheißung nicht gar zu genau: Nicht all unsere Wünsche werden sich erfüllen, aber an Jesus Christus zu bleiben, auch wenn es einmal mü- hevoll ist und uns sehr schwer fällt, hat auch seinen Lohn. Das wissen vielleicht am besten die Menschen, denen Jesus Christus schon einmal für eine Zeit fremd geworden ist und die ihn dann doch wiedergefunden haben. Es liegt etwas Wunderbares darin, wieder „als Rebe am Weinstock“ mit ihm verbunden zu sein. Es macht sehr froh, nach langen Wochen, in denen wir an unserer Seele gedarbt haben, wieder beten und unseren Gott wieder loben zu können. AMEN