Predigt zum Sonntag „Reminiszere“ - 1.3.2015 Textlesung: Mk. 12, 1 - 12 Und er fing an, zu ihnen in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog ei- nen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes. Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs hole. Sie nahmen ihn aber, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort. Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn. Und er sandte noch einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie. Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn; den sandte er als letzten auch zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen. Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein! Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg. Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben. Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen (Psalm 118,22-23): „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen“? Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, dass er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon. Liebe Gemeinde! Es ist nicht schwer zu deuten, dieses Gleichnis: Der Besitzer des Weinbergs ist Gott. Der Weinberg ist Israel. Die Weingärtner sind die Oberen des Volkes, der Hoherat, die Pharisäer und die Schrift- gelehrten. Die Knechte, die der Weinbergbesitzer immer wieder schickt, sind die Propheten und der Sohn und Erbe schließlich ist kein anderer als der Erzähler des Gleichnis’, Jesus. Sie werden ihn tö- ten und vor den Weinberg werfen. Aber er wird durch ein Wunder Gottes, dabei dürfen wir an Jesu Auferstehung denken, zum Eckstein eines neuen Baus werden, in dem die wohnen, die an Jesus Christus glauben. - Das ist in aller Kürze die Deutung des Gleichnis’ und wir verstehen gut, dass es den Führern des Volkes nicht gefallen hat. Aber was sollen wir, Christinnen und Christen 2000 Jahre später, mit diesem Gleichnis anfangen? Hat es auch uns etwas zu sagen? Und was? - - - Da ist ein Mann, wir wollen ihn Erik nennen, der in seiner Kindheit und Jugend sozusagen mit Je- sus aufgewachsen ist. Seine Mutter war, was man eine fromme Frau nennt. An Eriks Bett hat sie je- den Abend für ihr Kind gebetet. Morgens hat sie im Losungsbuch gelesen und dabei den Mann und die Kinder einbezogen. Der Kirchgang war ihr sonntägliche Übung. Am Geburtstag wurde die Taufkerze entzündet und für die bisherige Bewahrung und den Segen im Leben des Sohnes ge- dankt. Eriks Konfirmandenunterricht hat die Mutter mit Interesse und ihren Fragen begleitet. Ob er denn alles verstanden hat, was sie im Unterricht behandelt haben. Die Konfirmation war dann wirk- lich das Ereignis, in dem die Familie gefeiert hat, dass Erik als mündiger Christ in die Gemeinde Jesu Christi aufgenommen worden war. Von da an allerdings hat sich Erik immer mehr von dem entfernt, was ihm im bisherigen Leben vertraut und irgendwie auch hilfreich gewesen war. Damit, dass er immer seltener die Hände faltete fing es an. Als er dann nach dem Abitur und dem Studium eine wirklich gut dotierte Stelle antreten konnte, gingen seine Gedanken immer weniger zu Jesus und den Fragen des Glaubens. Er verlernte auch das Danken für den so deutlich sichtbaren Segen, der doch auf seinem Leben lag. War das denn nicht allein seine Leistung, dass er es soweit gebracht hatte? Wenn die Mutter ihn auf die Ver- änderung in seinem Wesen angesprochen hat, setzte er immer ein süffisantes Lächeln auf. Irgend- wann hat die Mutter dann aufgehört, ihrem Sohn Fragen zu stellen, die er doch nicht hören wollte über Dinge, die ihm doch ganz offenbar nicht mehr wichtig waren. An diesem Punkt ist die Geschichte heute. Weiter kann ich sie noch nicht erzählen. Haben Sie die Züge an dieser Geschichte erkannt, die ähnlich sind wie im Gleichnis von den Weingärtnern? Ich habe noch eine zweite Geschichte zu erzählen, die entwickelt sich sozusagen genau in der ande- ren Richtung. Aber das gibt es ja Gott sei Dank auch. Ich will von einer Frau erzählen, ich nenne sie Gisela. Sie kam als 15-jährige kurz nach der Wende mit ihrer Mutter und ihrem Vater aus der ehemaligen DDR in den Westen. Vom Glauben der Chris- ten war sie bis zu diesem Zeitpunkt völlig unbeleckt. Aber sie hat in der Schule eine Freundin ge- funden, die Mitarbeiterin in einer Evangelischen Kirchengemeinde war. Durch sie kam Gisela in Kontakt zu den Jungen und Mädchen eines Jugendkreises, den die Freundin leitete. Hier wurden auch Glaubensfragen besprochen und Gisela hörte zum ersten Mal in ihrem Leben von Jesus und was er für alle Menschen am Kreuz von Golgatha vollbracht hat. Im Laufe der Zeit kam sie immer mehr in Beziehung zu Jesus, fand zum Gebet und zum Glauben an ihn und ließ sich taufen. Heute - sie ist inzwischen 41 - hat Gisela eine eigene Familie, einen Mann und zwei Kinder, getauft und konfirmiert und sie ist dankbar, dass sie vor Jahren durch ihre Freundin in die Nähe Jesu geführt wurde und gläubig geworden ist. Ja, sie empfindet den Glauben an Jesus Christus eigentlich als viel wertvoller und wichtiger für sich und ihre Lieben als die viel besseren wirtschaftlichen Verhältnis- se, in denen sie im Westen leben kann. Liebe Gemeinde, beide Geschichten sind nicht frei erfunden. Immer wieder - seit bald 2000 Jahren - kommt es vor, dass Menschen, die zuerst eine gute und tiefe Beziehung zu Jesus hatten, sich aus dieser Beziehung lösen - manchmal ganz langsam und so, dass sie es selbst kaum bemerken, so wie bei Erik. Manchmal auch ganz plötzlich, wenn etwa ein Unglück geschieht oder einer eine Erfah- rung machen muss, die er nicht mit der Güte Gottes und der Liebe Jesu Christi reimen kann. Und ich bin ganz sicher, dass jetzt auch die eine oder der andere unter uns sind, die eine solche Ent- fremdung vom Glauben auch selbst schon erlebt haben oder die gerade kurz davor stehen, ihren Glauben zu verlieren. Vielleicht ist es da ja tröstlich, dass es eben auch diese ganz anderen Geschichten gibt, wie die von Gisela, die durch ihre Freundin allmählich hineinwächst in die Beziehung zu Jesus und den Glau- ben an ihn. Allerdings kann auch das ganz anders geschehen, völlig unverhofft und unerwartet. Wer in der Seelsorge steht, hatso etwas ganz gewiss schon erlebt und oft nicht nur einmal: Da hört einer bei einer - vielleicht bei einer Beerdigung - eine Predigt, die ihn aufrüttelt, die ihn zu- rückführt in die Zeit der Kindheit oder Jugend, in der er noch im Glauben an Jesus gestanden hat. Und dann ist die Sehnsucht da, wieder in die Geborgenheit, die dieser Glaube damals geschenkt hat, einzutauchen. Und wenn Gott will, lässt er sich wieder finden. Da hat eine, die irgendwann mit Jesus Christus gebrochen hat, eine Begegnung mit einem Men- schen, der den Glauben so überzeugend lebt und eine so positive Ausstrahlung hat, dass sie ganz unvermittelt wieder entdeckt, was ihr dagegen so schmerzlich fehlt: Eine Mitte im Leben, ein Halt in schweren Zeiten und eine Hoffnung, die weiter reicht als bis zum nächsten Tag. Und auf einmal ist die Tür zum Glauben wieder offen - und sie tritt ein. Vielleicht denken Sie jetzt, ich hätte mich in dieser Predigt inzwischen doch recht weit vom Gleichnis von den bösen Weingärtnern entfernt. Aber ich glaube, so ist es nicht. Zwar müssen wir uns zum Glück heute, in unseren Tagen, weniger mit Knechten, die geschlagen und verjagt werden, beschäftigen. Dagegen dürfen wir aber damals wie heute davon ausgehen, dass der Besitzer des Weinbergs, dass Gott seinen Weinberg fürsorglich und voller Liebe angelegt, einen Zaun darum gezogen und einen Turm gebaut hat, ihn zu bewachen und zu beschützen. Auch der Sohn, der von der Hand der Weingärtner den Tod erleiden muss, ist damals wie heute Schlüssel und Mitte des christlichen Glaubens. Deshalb sind wir ganz nah an diesem Gleichnis, wenn wir uns von ihm sagen lassen, dass Gott auch für uns seinen „Weinberg“ voller Liebe und Fürsorge bereitet hat, sodass wir im Glauben an seinen Sohn Jesus Christus Früchte hervorbringen können. Er schickt auch immer wieder seine Knechte zu uns, seine Boten, die uns erinnern, dass er auch solche Früchte von uns haben will. Und - wie gut ist das doch - auch wenn wir ihm irgendwann die Früchte verweigern, so wie es bei Erik aus meiner Geschichte war, dann findet Gott doch immer wieder Wege, uns wieder zu sich und zum Glauben zurückzuführen. Und wie gut ist doch auch das: Dass Gott auch heute noch Menschen, die noch nie von Jesus Christus gehört haben, für seine Sache gewinnen kann, wie es bei Gisela war, von der ich erzählt habe. Ich wünsche uns allen, dass wir gern in der Fürsorge und Liebe Gottes in seinem Weinberg leben und ihm die Früchte des Glaubens an seinen Sohn Jesus Christus nicht verweigern. Und wenn wir die Verbindung zu Jesus verloren haben, dann wünsche ich uns, dass er Mittel und Wege findet, uns wieder zum Glauben und in seine Nähe zurückzubringen. AMEN