Predigt zum Buß- und Bettag - 19.11.2008 Textlesung: Jes. 1, 10 - 17 Höret des HERRN Wort, ihr Herren von Sodom! Nimm zu Ohren die Weisung unsres Gottes, du Volk von Gomorra! Was soll mir die Menge eurer Opfer? spricht der HERR. Ich bin satt der Bran- dopfer von Widdern und des Fettes von Mastkälbern und habe kein Gefallen am Blut der Stiere, der Lämmer und Böcke. Wenn ihr kommt, zu erscheinen vor mir - wer fordert denn von euch, dass ihr meinen Vorhof zertretet? Bringt nicht mehr dar so vergebliche Speisopfer! Das Räucherwerk ist mir ein Gräuel! Neumonde und Sabbate, wenn ihr zusammenkommt, Frevel und Festversammlung mag ich nicht! Meine Seele ist feind euren Neumonden und Jahresfesten; sie sind mir eine Last, ich bin’s müde, sie zu tragen. Und wenn ihr auch eure Hände ausbreitet, verberge ich doch meine Augen vor euch; und wenn ihr auch viel betet, höre ich euch doch nicht; denn eure Hände sind voll Blut. Wascht euch, reinigt euch, tut eure bösen Taten aus meinen Augen, lasst ab vom Bösen! Lernet Gutes tun, trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten, schaffet den Waisen Recht, führet der Witwen Sache! Liebe Gemeinde! Gewiss, solche Worte erwarten wir am Buß- und Bettag! Das lässt man sich schon einmal sagen bei diesem Anlass. Schon nächsten Sonntag ist ja wieder Trost dran und sanftere Töne. Vielleicht haben wir aber auch gedacht: Hier werden ja die Herren von Sodom und das Volk von Gomorra angesprochen! Waren das nicht diese üblen Leute, für die Abraham erfolglos Fürbitte ge- halten hat? Diese Frevler, die so schlimm waren, dass man innerhalb der Mauern ihrer Städte nicht einmal 10 Gerechte finden konnte? Nun, mit denen wird uns ja wohl niemand vergleichen wollen! Jedenfalls fällt es uns genauso schwer, die Worte des Propheten auf uns zu beziehen, wie es wohl schon damals für die Führer in Jerusalem und das Volk von Juda schwer war, sich unter diese har- ten Vorwürfe zu stellen. Darum ist es jetzt nicht leicht, diese Verse für uns zu sagen, so dass wir sie verstehen und an uns herankommen lassen. - Aber sollen wir so tun, als gingen uns diese Worte des Jesaja überhaupt nichts mehr an? Damit würden wir auch behaupten, wir brauchten keinen Buß- und Bettag mehr - heute. Warum aber wären wir dann jetzt hier? Was Jesaja meint, ist noch recht leicht und rasch auf den Punkt gebracht: Gott will keine Opfer und keine äußerlichen Bußübungen - er will Menschen, die ihre Mitmenschen nicht bedrücken und ihnen Böses tun, sondern sich für ihr Wohl genauso einsetzen, wie für das eigene. Dabei sind uns die besonders ans Herz gelegt, die selbst zu arm, zu schwach oder zu bedrückt sind, um sich selbst zu helfen. Ganz einfach eigentlich, nicht wahr? Und das sollen nun Worte sein, die mit uns reden und auch uns zurechtbringen wollen? Mir ist hier eingefallen, was mir einmal ein Kirchenvorsteher erzählt hat (keiner aus unserer Ge- meinde!), nachdem er im Heiligabendgottesdienst an drei Jahren hintereinander die Kollekte für Brot für die Welt eingesammelt hatte: Ein gemeindebekannter Geschäftsmann war in jedem Jahr wieder, jedesmal schon lange bevor der Klingelbeutel bei ihm ankam, aus seiner Bank aufgesprun- gen und hatte demonstrativ einen 200-Euro-Schein in der Hand geschwenkt. Sehr peinlich wäre das gewesen. Aber anscheinend nur für den Kollektensammler und die anderen Christvesperbesucher. Für den Geschäftsmann selbst nicht. Und an eine Frau musste ich denken, die sich in vermeintlich christlicher Demut immer gern zu de- nen gehalten hat, denen ein Rüchlein von „asozial“ und von „Randsiedler“ ihrer Kirchengemeinde anhing. Sie kümmerte sich scheinbar rührend um diese Menschen. Wer aber genauer hinsah, der bemerkte bald, dass sie alles, was sie tat, nicht für diese Menschen getan hat, sondern für sich selbst: Sie wollte ein Bild von sich aufbauen, das von Güte und Herzensgröße sprach. Es ging ihr immer mehr um ihr eigenes Ansehen als um das Wohl der Schwachen, denen sie sich in ihrer Fürsorge fast aufdrängte. Sobald die Menschen allerdings einen zu großen Aufwand erforderten und unbequem wurden, wurden sie fallengelassen und sie suchte sich neue Opfer. Manche Mit- christen in der Gemeinde haben das sehr wohl durchschaut, sie selbst allerdings hat viele Jahre nicht davon abgelassen, sich nur mit dem Kopf und einer gewissen Berechnung zu engagieren. Aber ich muss gar nicht von anderen Menschen erzählen. Auch unter uns gibt es das: Unser Han- deln sieht gut aus - und ist doch eigentlich recht fragwürdig und nicht echt. Wir opfern wirklich et- was - für das Auge des äußerlichen Betrachters jedenfalls - und holen für uns selbst doch eigentlich mehr heraus, als wir geben. Zumindes ist das unser Wille! Das ist Gott gegenüber so, aber auch Menschen gegenüber. Ich möchte einiges davon in ein paar Fragen ansprechen. Lassen sie uns heute am Buß- und Bettag, bevor wir mit Empörung reagieren, einmal ehrlich wahrnehmen, wie es sich vor diesen Worten bei uns verhält: Was soll mir die Menge eurer Opfer? spricht der HERR. - Wascht euch, reinigt euch, tut eure bösen Taten aus meinen Augen, lasst ab vom Bösen! Lernet Gutes tun, trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten, schaffet den Waisen Recht, führet der Witwen Sache! Haben wir noch nie gedacht, Gott müsste uns doch eigentlich auch einmal vor den vielen anderen bevorzugen - wo wir uns doch so für seine Sache einsetzen? Wenn wir gebetet haben, war da in uns nicht schon manchesmal der Gedanke, ja, sogar das ausgesprochene Wort, dass wir doch wirklich gute Kirchgänger wären und auch den Bibelkreis oder die Frauenhilfe besuchen? Und überhaupt: Unsere christliche Lebensführung in einer Zeit, in der die Menschen immer mehr abfallen von allem, was ihnen früher heilig war - haben wir das unserem Gott noch nie als ein großes persönliches Verdienst vorgehalten? - Was aber wollten wir damit sagen? Denn ist das wirklich ein Opfer, wenn wir für Gottes Sache eintreten? Ist das nicht unsere innerste Überzeugung und unser selbstverständlichstes Bedürfnis als Christen? Und ist das wirklich eine christliche Großtat, wenn wir in den Gottesdienst gehen oder zum Bibelkreis und in die Frauen- hilfe? Kam da denn noch nie etwas zurück, so dass wir hier eine offene Rechnung aufmachen könnten? Und ist der Glaube denn ein erzwungenes, uns nur belastendes Ding? Ist es nicht eine große Freude, von Gott zu wissen, von der Vergebung der Schuld durch Christi Blut und von einem Ewigen Leben das uns um seinetwillen erwartet? Hätten wir nicht allen Grund das Gute zu tun, ohne jeden verdienstlichen Gedanken? Geben wir nicht eigentlich immer nur zurück von dem, womit wir zuvor so reichlich beschenkt worden sind? Und wenn es um Menschen geht, ist es da anders? Greift heute nicht auch da der Gedanke immer mehr um sich - und auch bei uns - was die Menschen „bringen“, wozu sie „zu gebrauchen“ sind und wie sie unser Einkommen, unser Ansehen oder unseren Einfluss steigern können? Was wir nicht laut zu sagen wagen, ist doch längst in unserer Gesellschaft verwurzelt - und es sind wenige, die dagegen angehen. Wir fragen mehr und mehr nach der Verwertbarkeit der Menschen. Und um- gekehrt: Wenn sie nichts mehr leisten können oder uns nichts mehr nützen, lassen wir sie fallen und schieben sie ab - in die Isolation, die Einsamkeit oder ins Altenheim. Vor diesem Hintergrund ist es dann schnell ein „Opfer“ wenn wir uns für die Armen und die Alten einsetzen, für die Stummen re- den und für die Schwachen stark machen. Es ist aber kein Opfer, sondern die selbstverständlichste Tat von Christen, die selbst mehr Gnade als andere erfahren haben, wenn sie anderen Menschen zu einem würdigen Leben helfen. Es ist kein Opfer, wenn wir, die mehr materielle und vielleicht geis- tige Gaben geschenkt bekommen haben als andere, ihnen damit dienen. Es ist vielmehr das Selbstverständlichste von der Welt für Menschen, die glauben und wissen, dass auch sie ihre Ret- tung einem anderen verdanken. Und es ist kein Opfer, wenn wir an offensichtlich verkehrten gesell- schaftlichen Verhältnissen arbeiten: Dass die Menschen endlich wieder als Gottes Geschöpfe und seine Kinder gesehen werden, die sein Antlitz Gottes tragen und unsere Geschwister sind. Es ist unsere schuldigste Pflicht, aber auch unser ohne jede Berechnung erstatteter Dank an Gott, wenn wir für die Besserung der Welt und unserer Gesellschaft eintreten und keine Ruhe geben, bis alle Menschen zu ihrem Recht kommen! Liebe Gemeinde, das waren vielleicht nun doch recht harte Worte zum Bußtag. Aber vielleicht konnten wir sie doch hören und aufnehmen. Vielleicht gehen sie nun auch mit uns in die kommende Zeit, geben uns zum Nachdenken auf und bewegen uns, dass wir uns ehrlich vor diesen Worten prüfen und dann unsere Schlüsse ziehen: Was soll mir die Menge eurer Opfer? spricht der HERR. - Wascht euch, reinigt euch, tut eure bösen Taten aus meinen Augen, lasst ab vom Bösen! Lernet Gutes tun, trachtet nach Recht, helft den Un- terdrückten, schaffet den Waisen Recht, führet der Witwen Sache! AMEN