Predigt zum Sonntag „Exaudi“ - 4.5.2008 Textlesung: Röm. 8, 26 - 30 Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sol- len, wie sich’s gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen. Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt. Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind. Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Geschwistern. Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch ver- herrlicht. Liebe Gemeinde! Aufs erste Hören ist das schon befremdlich: „Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch beru- fen ...“ Ist das wirklich so gemeint? Sind wir ausersehen ... die einen zum Heil, die anderen zur Verdammung? Ist die Entscheidung über den Ausgang unserer Zeit in dieser Welt schon gefallen: Leben oder Tod? Und auch noch ewig? „Vorherbestimmt“!? Ich bin ganz offen, als ich dieses Wort gelesen habe, hatte ich gar keine rechte Freude mehr, eine Predigt zu diesen Versen zu verfassen. Wenn alles schon von vorneherein festgelegt ist, wofür denn dann das ganze Leben, der christliche Glaube und ... Jesus Christus? Warum musste er ans Kreuz gehen, wenn er uns doch nicht retten kann von dem Schicksal, das vielleicht von Anfang der Welt für uns bestimmt ist? - - - Warum hört die Predigt nun hier nicht auf? Warum bleibe ich auf der Kanzel (am Pult)? Weil ich da etwas entdeckt habe, ganz am Ende dieser Zeilen. So beginnt der Satz: „Die er aber vorherbes- timmt hat ...“ So geht er weiter: „... die hat er auch berufen!“ Und so steht es am Schluss: „... die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.“ Besonders die letzten beiden Wörter machen es doch deutlich: Er hat verherrlicht! Das steht nicht mehr aus, das ist schon geschehen. Von hier aus gesehen und gelesen, stellt sich alles ganz anders dar: Wir sind verherrlicht. Wir sind gerecht gemacht. Wir sind berufen. Und ... wir sind eben genau dazu „vorherbestimmt“. Das ist jetzt keine theologische Klügelei, sondern eine ganz klare, praktische Sache. Die ersten Empfänger und Leser des Paulusbriefs an die Römer sind darüber gewiss nicht gestolpert. Das war ihnen die selbstverständlichste Wahrheit, dass sie Berufene sind, denn sie hatten den Ruf Jesu Christi - vielleicht vermittelt durch die Missionstätigkeit des Paulus - gehört. Und sie waren gerecht geworden durch ihren Glauben und hatten sich taufen lassen auf Jesus Christus, ihren Herrn. Und verherrlicht? Ja, das waren sie auch! Sie wussten, dass ein ewiges Leben auf sie wartet. Sie hatten die Kraft ihres Glaubens erfahren und warteten auf die Wiederkunft Christi in Herrlichkeit! Nein, das hätte sie nicht gestört und nicht befremdet, wenn ihnen nun noch jemand sagt oder schreibt (wie hier der Apostel): Ihr seid vorherbestimmt! Na, Gott sei Dank, hätten sie vielleicht erwidert. Oder: Zum Leben bestimmt, aber nicht zum Tod. Oder: Schon heute sehen und erleben wir doch ein Stück des neuen, herrlichen Lebens, das auf uns Christen wartet! Aber war das wirklich eine „Herrlichkeit“, damals als Christin, als Christ sein Leben zu führen? Die Menschen durften oft nicht offen sagen, dass sie Christen waren. Es gab Verfolgungen, man musste sich im Geheimen treffen, in Rom zum Beispiel in den Katakomben, den unterirdischen Grabanlagen. Viele mussten wegen ihres Glaubens ihr Leben lassen. War das „Verherrlichung“? Und wir? Unsere Situation ist ganz und gar anders, gewiss. Wir dürfen unser Christentum offen zeigen. Wer sich heute als Christin, als Christ bekennt, riskiert nichts - zumindest bei uns in Europa. Im Gegenteil: In der Verfassung ist uns ausdrücklich Religionsfreiheit garantiert. Und wir wollen das auch sehen und vor allem, Gott dafür dankbar sein. Trotzdem, es gibt auch ganz andere Erfahrungen. Ich frage: Wie reimt sich das mit der „Herrlich- keit“, wenn uns ein schweres Schicksal auferlegt ist? Wenn wir die Arbeit verlieren oder ein Mensch in unserer Nähe. Wenn wir krank werden und alt und uns nicht mehr allein helfen können. Und es kommen in unseren Tagen ja immer mehr Dinge hinzu, die uns Angst machen und uns die Hoffnung nehmen, wenn wir an unsere Zukunft denken und die unserer Kinder: Die einschneiden- den Folgen der Globalisierung. Die Gefahren der Gentechnik, die sich ja anscheinend nicht mehr aufhalten lässt. Der Klimawandel, der schon heute immer verrücktere Wetterkapriolen schlägt. Und noch so manches mehr gibt es, das es uns schwer macht, davon zu reden und das wirklich zu glau- ben: Wir lebten in Herrlichkeit. Liebe Gemeinde! Es wird Zeit, dass wir jetzt auch die vielen guten Gedanken hören und wahrnehmen, von denen wir weiter vorn in diesen Versen des Paulus lesen. Gehen wir diesen Gedanken doch jetzt einmal en- tlang: Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. - Wie oft sind wir doch schon auch geis- tlich zu neuen Kräften gekommen - und wussten gar nicht wie und wodurch. Manchmal haben wir uns abends voller Sorgen und im Kummer niedergelegt und morgens sind wir erfrischt und mit neuem Mut aufgestanden. Das macht Gottes Geist. Und Gott tut das für die Menschen, die zu ihm gehören. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen. - Wie oft kommen wir doch über der täglichen Arbeit und Last gar nicht mehr zum konzentrierten Beten. Wir möchten ja vielleicht schon, aber es geht einfach nicht. In unserem Kopf ist ein großes Durcheinander. Wir können nicht abschalten. Nicht einmal unsere Wünsche und Hoffnungen können wir aussprechen. Wir sind zu müde für das Gespräch mit Gott. - Und doch beten wir ... nicht mit eigenen Worten: Gottes guter Geist tritt für uns ein. Das ist kein schlechtes Beten, denn wer, wenn nicht Gott selbst, weiß, was wir uns wünschen und was wir ihm gern sagen möchten ... Und auch nach solchen Gebeten können wir spüren, dass wir gehört werden, dass etwas sich ändert ... die Situation ... und wir selbst. Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt. - Es ist sogar so: Gott, der unser kennt und unser Herz ansieht, dem ist nichts verborgen, vor dem liegt alles, was in uns ist und uns bewegt, offen und zu lesen wie ein Buch. Und nicht nur die Wünsche, die wir haben und nicht nur die Sorgen und der Kummer, auch die Tiefe unseres Glaubens, die Stärke unserer Hoffnung, alle Schuld unseres Lebens und alle zerplatzten Träume. Er weiß, mit wie vielen Talenten er uns ausgestattet hat und was wir daraus gemacht haben. Alles was uns ausmacht, ist vor seinen Augen. Was wir sind und haben, was wir wollen und wonach wir uns sehnen, aber noch viel mehr, was wir wirklich brauchen. Und besonders hier vertritt er uns, denn er liebt uns und will das Beste für uns. Und hier eben will uns der letzte Satz bestärken, den uns Paulus heute sagt: Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind. - Davon dürfen wir ausgehen: Gott liebt uns. So ist es sein Ratschluss über uns. Und alles, wenn wir neue Kraft kriegen nach schwerer Zeit, wenn der Mut, der uns schon ausgegangen war, auf einmal wiederkehrt, wenn unser Beten und manchmal unser Stammeln doch so ganz deutlich gehört wird und eine Antwort bekommt, wenn wir bei allem Kummer und Schmerz, allen Sorgen, aller Krankheit und allem Leid doch auch immer wieder Stunden erleben, die voll Freude sind - dann erfahren wir es: Wir sind berufen! Unser Leben hat ein Ziel, unser Weg durch die Zeit kommt einmal an ... „Herrlichkeit“ wartet auf uns, denn „die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.“ Ich musste über den Bibelversen, die uns für heute zum Betrachten und Bedenken vorgelegt sind, an einen Gedichtvers von Rainer Maria Rilke denken, den ich vor langer Zeit gehört habe: Sie sind wie Wächter bei verhängten Schätzen, die sie bewahren, aber selbst nicht sahn, - (Stun- denbuch: Von der Armut und vom Tode ...) Für mich ist hier von uns Christen die Rede. Es ist uns geschenkt, wissen zu dürfen, dass eine Her- rlichkeit hinter der Tür beginnt, durch die wir am Ende unserer Tage treten. Oder sagen wir es im Bild des Dichters: Einmal hebt sich der Vorhang, der uns heute noch diese wunderbare ewige Zu- kunft verhängt. Dann werden wir sehen, was wir heute noch glauben. Aber es ist uns auch zugemutet, die letzte Tür noch nicht öffnen zu dürfen oder anders gesagt: Der Vorhang bleibt unser Leben lang geschlossen, nicht einmal ein Spalt ist da, durch den wir heute schon sehen können. Aber, liebe Gemeinde, ist das nicht doch ein großer Segen, ja, eine Herrlich- keit, Wächter dieser Schätze sein zu dürfen? AMEN