Predigt zum Sonntag „Misericordias Domini“ - 6.4.2008 Textlesung: Hebr. 13, 20 - 21 Der Gott des Friedens aber, der den großen Hirten der Schafe, unsern Herrn Jesus, von den Toten heraufgeführt hat durch das Blut des ewigen Bundes, der mache euch tüchtig in allem Guten, zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was ihm gefällt, durch Jesus Christus, welchem sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen. Liebe Gemeinde! In allen sechs Texten, die uns für diesen Sonntag „Misericordias Domini“ zu predigen und zu be- denken vorgelegt sind, geht es um Schafe, um Lämmer und um die Herde aus diesen Tieren. Vor 20 oder 30 Jahren war das auch überhaupt kein Problem, wenn die Christen, besonders als Glieder ei- ner Kirchengemeinde, mit Schafen bezeichnet und verglichen wurden. In den letzten Jahren ist das anders geworden. Immer mehr Menschen denken und sagen es auch: Ich bin doch kein Schaf! Oder deutlicher: Ein Christ ist doch nicht dumm, wie kann der Pfarrer dann von seinen „Schafen“ reden? Und manchmal hört man fast ärgerliche Töne: Dieses Gerede von den „Schäfchen in der Gemein- de“ finde ich ziemlich unpassend! Sollten wir also nicht mehr von Schafen und ihrem Hirten sprechen? - Dann dürften wir keinen ein- zigen der Predigttexte, die zu diesem Sonntag gehören, mehr vor die Menschen bringen! Und unse- ren schönsten Psalm „Der Herr ist mein Hirte ...“ und dazu noch einige weitere Psalmen würden wir auch verlieren. Sollen wir diese Texte vielleicht irgendwie bereinigen, vielleicht ähnlich, wie das im Blick auf die Frauen durch die Übertragung der Heiligen Schrift in die so genannte inklusive Sprache geschehen ist? Brauchen wir also eine Bibel, in der alle „tierischen“ Vergleiche gestrichen sind? - Das wäre ein massiver Eingriff in das Buch unseres Glaubens! Und wir würden sicher staunen, was dann alles herausfallen müsste: Angefangen von der Glucke mit ihren Küken, als die Gott beschrieben wird, bis hin zum Löwen aus Juda, wie der Seher Johannes Jesus Christus in der Offenbarung nennt. Und noch etwas müssten wir bedenken, wenn wir damit anfingen: Auch unser Gesangbuch würde anders aussehen und viele, viele Strophen kämen auf den Index. Denken wir nur an diese Verse: „Breit aus die Flügel beide ... und nimm dein Küchlein ein“ (EG 477,8) oder „Wenn ein Schaf verloren ist, sucht es ein getreuer Hirte“ (EG 353,3). Und immerhin: In über 10 Gesangbuchliedern ist von Schafen und Hirten die Rede! Was also tun? - Es wird sie sicher überraschen, aber ich schlage vor: Wir lassen alles beim Alten. Viel zu schön und zu treffend ist das Bild vom guten Hirten und seinen Schafen, als dass wir es einfach aus unserer Bibel, unserem Gesangbuch, unserem Sprachgebrauch und unseren Köpfen streichen sollten! Eines aber sollten wir tun - und zwar unbedingt! - dass wir nämlich neu erklären und verstehen, was eigentlich gemeint ist, wenn Christus als Hirte und wir als seine Schafe bezeichnet werden. Und wir wollen damit heute beginnen und dazu noch einmal auf den Satz hören, der uns für heute zu bedenken verordnet ist: Der Gott des Friedens aber, der den großen Hirten der Schafe, unsern Herrn Jesus, von den Toten heraufgeführt hat durch das Blut des ewigen Bundes, der mache euch tüchtig in allem Guten, zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was ihm gefällt, durch Jesus Christus, welchem sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Warum sagt der Verfasser des Hebräerbriefs nicht einfach: Der Gott des Friedens, der den Herrn Jesus Christus von den Toten heraufgeführt hat ...? Um das zu verstehen, muss man wissen: Dieser Verfasser ist Jude gewesen, bevor er Christ wurde. Und er schreibt an eine Gemeinde, die auch ju- denchristlich ist. Er kann also voraussetzen, dass die Leser seines Briefs sich auch im Alten Testa- ment auskennen. Und so erinnert er hier an Mose, der einst der erste „Hirte des Volkes“ genannt wurde (Jes. 63,11). Aber das ist nicht der einzige Grund, warum er nun Christus - wie einst Mose - einen Hirten nennt. Er wird vielmehr überhaupt keine Probleme mit diesem Vergleich gehabt haben und er hätte seine Leser auch ganz selbstverständlich als Schafe dieses Hirten anreden können - oh- ne dass sich irgendjemand darüber aufgeregt oder gar verlangt hätte, dass er eine solchen Vergleich doch bitte unterlässt. Und da sind wir beim Kern der Sache: Der Bezug auf Mose macht es deutlich. Der war ja wirklich ein Schafhirte! Jahrelang hat er die Herde seines Schwiegervaters Jitro gehütet. In dieser Zeit als Hirte hat er ja dann auch das Berufungserlebnis am „brennenden Dornbusch“ gehabt, eine Erfah- rung, die den Juden als Anfangsereignis der Befreiung aus Ägypten gilt. Mose wird also mit Fug und Recht Hirte genannt und der Weg zum „großen Hirten des Volkes“ ist dann nicht mehr weit. Aber es liegt für die Hebräer noch viel mehr in diesem Bild von den Schafen und ihrem Hirten! Und das war tief im Herzen der ehemals jüdischen Menschen verwurzelt. Oft genug werden sie oder ihre Vorfahren ja selbst Hirten gewesen sein. Darum wussten sie, was alles einen Hirten aus- machte und wen man einen „guten“ Hirten nennen konnte: Er sollte die Wege finden, die seine Herde gehen kann. Er musste die Wasserstellen kennen und wissen, wo in welcher Jahreszeit die besten Weiden liegen. Wenn ein wildes Tier seine Herde bedrohte, dann war Mut und Geschick ge- fordert. Hatte sich ein Lamm in unwegsamem Gelände verlaufen, dann musste er bereit sein, eine stunden-, vielleicht tagelange Suche auf sich zu nehmen. Dann brauchten die Schafe auch Pflege und die jährliche Schur war harte Knochenarbeit. Insgesamt war Hirte sein mit viel Einsatz und Mühe für die Herde verbunden. Und der Gedanke, im übertragenen Sinn bei einem guten Hirten „Schaf“ zu sein, war für die Menschen gewiss nicht abwegig oder auch nur irgendwie befremdlich. Denn ein Schaf war ja auch behütet und geborgen bei seinem Hirten. Es konnte Vertrauen haben, dass es recht geführt, immer bestens versorgt, getränkt und ernährt wird. Es war ein gutes Verhält- nis zwischen Hirt und Herde und es war ein gutes Bild für die Menschen, Schaf eines guten Hirten zu sein. Liebe Gemeinde, warum sollten wir nun ein schlechtes Bild daraus machen? Weil Schafe als dumm gelten? - Die Leser des Hebräerbriefs hätten etwas anderes gesagt! Was ist denn dumm daran, wenn ein Schaf seinem guten Hirten folgt? Es könnte doch gar nichts besseres tun als das! Weil Schafe Herdentiere sind und wir lieber individuell und für uns leben? - Da hätten wir von den Hebräern gewiss gehört, dass ihre christliche Gemeinde zum Beispiel für sie das beste und schönste war, was sie in ihrem Leben gefunden hatten. Und vielleicht würden sie uns auch ein paar Worte zu unserer Einsamkeit und unserem Mangel an Erfüllung und Freude sagen, die ja oft genug gerade von daher kommen, dass wir einer falsch verstandenen Selbstverwirklichung und einer fragwürdi- gen Individualität nachlaufen. Vor allem aber hätten uns die Hebräer auf eines hingewiesen: Dass wir als Christen nämlich nicht Schafe irgendeines Hirten sind, sondern des besten, fürsorglichsten und größten Hirten, den wir uns überhaupt wünschen können: Jesus Christus! Und das ist nun wirklich keine Herabsetzung, viel- mehr das schönste und wertvollste, was Menschen in ihrem Leben widerfahren kann. Vielleicht sind wir ja jetzt bereit, die weiteren guten Gedanken zu hören, die in diesem Vers enthal- ten sind!? - Unser Hirte ist von Gott „von den Toten heraufgeführt“. - Er hat also mit Gottes Hilfe den Tod besiegt und ein ewiges Leben verdient, auch für uns, die Schafe seiner Herde! Unser Hirte „hat durch das Blut des ewigen Bundes“ all unsere Schuld von uns genommen und uns dadurch mit Gott versöhnt und uns den Zugang zum Vater und den Weg ins ewige Leben geöffnet. Von Gott, der uns diesen guten Hirten gesandt hat, erbittet der Schreiber des Hebräerbriefs: „... der mache euch tüchtig in allem Guten, zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was ihm gefällt ...“ - Wir werden es nicht allein schaffen, dass wir den Gottes Willen tun und so leben, wie es Gott ge- fällt. Wir brauchen einen, der uns führt, der uns das gibt, was uns wirklich zum Leben nötig ist, der die gute Weide weiß und den Ort, an dem das lebendige Wasser fließt. Und wir brauchen einen, der uns zusammenhält zur „Herde“, die unsere Gemeinde ist, der uns aneinander weist und uns ermutigt, miteinander zu teilen und aufeinander zu achten, dass keiner allein und einsam sein muss. Ein solcher guter Hirte ist uns - das will uns der Schreiber des Hebräerbriefs vermitteln - geschenkt „durch Jesus Christus, welchem sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“ Meinen sie nicht auch, dass wir gute Gründe haben, das Verhältnis unserer Gemeinde zu Jesus Christus weiter mit dem einer Herde und ihres Hirten zu vergleichen? Meinen sie nicht auch, dass es bei diesem Hirten gut ist, Schaf zu sein. An wen, wenn nicht an ihn, Jesus Christus, können wir uns denn halten im Leben und im Sterben? Und wer als er kann uns denn recht führen - und sogar über dieses Leben hinaus?