Predigt zum Ostersonntag - 23.3.2008 Textlesung: 1. Kor. 15, 19 - 28 Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen. Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind. Denn da durch einen Menschen der Tod gekommen ist, so kommt auch durch einen Menschen die Auferstehung der Toten. Denn wie sie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus alle lebendig gemacht werden. Ein jeder aber in seiner Ordnung: als Erstling Christus; danach, wenn er kommen wird, die, die Christus angehören; danach das Ende, wenn er das Reich Gott, dem Vater, übergeben wird, nachdem er alle Herrschaft und alle Macht und Gewalt vernichtet hat. Denn er muss herrschen, bis Gott ihm »alle Feinde unter seine Füße legt« (Psalm 110,1). Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod. Denn »alles hat er unter seine Füße getan« (Psalm 8,7). Wenn es aber heißt, alles sei ihm unterworfen, so ist offenbar, dass der ausgenommen ist, der ihm alles un- terworfen hat. Wenn aber alles ihm untertan sein wird, dann wird auch der Sohn selbst untertan sein dem, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott sei alles in allem. Liebe Gemeinde! Ich möchte ihnen ein Bild vor Augen malen. Es ist ein Bild in Versen geschrieben, ein Gedicht von Martin Buber: Eine fremde (laute) Stimme spricht: Ein Seil ist über die Tiefe gestreckt, setz deinen Fuß nun darauf und, eh dein Schritt den Widerspruch weckt, lauf! Ein Seil ist über die Tiefe gespannt, versag dich unterwegs allem Hier! Schon winkt von drüben dir eine Hand: „Zu mir!“ Die vertraute (leise) Stimme spricht: Folge nicht dem heischenden Ruf! Der dich schuf, meinte zu dir: „Sei bereit für jede irdische Zeit!“ Immer schon hält dich seine Hand - bleib liebend der Welt zugewandt! Weil dieses Gedicht so schön ist und so sinnvoll, weil es aber auch recht schwer zu verstehen ist, lese ich es noch einmal: „Eine fremde (laute) Stimme ...“ - - - Ja, liebe Gemeinde, das sind Verse zu Ostern. Und die haben auch zu tun mit den Worten aus dem 1. Korintherbrief, die wir zu Beginn gehört haben und auch mit der Botschaft dieses Tages: „Chris- tus ist auferstanden!“ Dieser Jesus Christus ist für mich das „Seil“, von dem der Dichter spricht. Unser Herr ist uns über die „Tiefe“ des Todes gespannt. Und das meint die erste, die fremde, laute Stimme - und ich will es ganz persönlich sagen: Dein Herr ist auferstanden. Für dich hat er den Tod besiegt. Durch ihn winkt dir jetzt ein ewiges Leben, drüben auf der anderen Seite des Abgrunds. Lebe ganz von dieser Zukunft her. Lass dich nicht mehr von den Freuden dieses irdischen Lebens verlocken und nicht von seinen Schwierigkeiten und Problemen erdrücken. Das geht dich nichts mehr an! Drüben wartet schon der Vater. Er hat die Hand hat schon nach dir ausgestreckt und er ruft: „Zu mir!“ Wenn ich das jetzt so auslege, bekommt das Bild immer genauere Konturen. Die erste „Stimme“ spricht sozusagen immer deutlicher. Sie will uns fast beschwören: Halte dich heraus aus dem welt- lichen Betrieb: deine Heimat ist da droben, sie ist dir sicher, was hältst du dich noch auf mit irdi- schen Sorgen und Fragen der Welt, die doch vergeht. Ob Friede wird oder ob der Globus explodiert - nicht deine Sache. Ob unsere Kinder noch in einer lebenswerten Umwelt alt werden oder ob der Boden, die Flüsse und die Wälder sterben - nicht dein Problem. Und auch, ob dein Mitmensch durch dich ein Stück Liebe erfährt, ein wenig Hilfe, Beistand und Sinn oder ob er neben dir zu Fall kommt und ohne Orientierung, ohne Erfüllung und Glück das Ziel seiner Lebensreise verfehlt - was kümmert es dich? Du bist erwählt! Die Verheißung der ewigen Zukunft steht fest für dich. Du kannst sie nicht mehr verlieren. Darum flieg’ mit deinen Gedanken schon hinüber. Betrete das Seil über der Tiefe. Wende dich nicht einmal um. „Versag dich unterwegs allem Hier! Schon winkt von drüben dir eine Hand: „Zu mir!“ Liebe Gemeinde, wie wirkt diese Stimme auf sie? Ist denn keiner unter uns, der ihr folgen möchte? Nicht einer? - Wirklich nicht? - - - Ich muss es bekennen: Manchmal fällt es mir schwer, diese gar so laute Stimme zu überhören, ihr nicht zu gehorchen. Ich bin doch gewiss: Nach diesem wartet ein ewiges Leben in der Nähe Gottes auf mich! Ich stehe doch in diesem Glauben, dass Jesus das „Seil über der Tiefe“ ist. Mir wurde doch auch dieses Vertrauen geschenkt: Sein Opfer für mich, sein Tod und seine Auferstehung sind mein sicherer Weg nach drüben. Was ist das doch oft so ermüdend, noch hier auszuhalten. Wie oft packt einen die Sehnsucht: Wenn es doch schon soweit wäre, „Jerusalem, du hochgebaute Stadt, ich wollt’, ich wär’ in dir!“ Und diese quälenden Probleme der Welt und dieser Zeit! Wie gern würde ich mich oft davonma- chen, einfach weglaufen, den Blick nach vorn und den Fuß auf das Seil ... weg von alledem, Augen nach drüben, der Vater winkt doch schon! Fort aus der Verantwortung, aus der Arbeit für andere, die oft so enttäuscht. Aber, geht das denn? Als gläubiger Christ? Kann man sich denn der Arbeit für die Mitmenschen entziehen, der Verantwortung, der Liebe zum Nächsten? O ja, man kann! Jeder kann das. Sie kön- nen das und ich kann das. In jedem Beruf und jedem Stand. Man sieht es nicht immer gleich. Da geschehen durchaus gute Taten, Werke, die nach Mitmenschlichkeit und Liebe aussehen. Aber sie sind nicht wirklich am anderen orientiert, sondern nur an sich selbst. Warum? Darum: Ich will da hinüber ... über den Abgrund! Ich will diesen Balanceakt über das Seil schaffen. Unten gähnt die Tiefe. Nur nicht abstürzen. Alles tun, was dem eigenen Weg hinüber nützlich sein könnte. Und schnell, bevor der da drüben zu rufen und zu winken aufhört. Dass er nur ja die Hand nicht zurück- zieht. Aber da ist noch die andere Stimme. Die vertraute, die leise. Sie sagt: „Folge nicht dem heischen- den Ruf! Der dich schuf, meinte zu dir: Sei bereit für jede irdische Zeit!“ Was kann das anderes heißen als: In dieser Welt hast du deine Aufgaben. An den konkreten Menschen, denen du begeg- nest. Entziehe dich ihnen nicht. Verschließe nicht die Augen davor, wie diese Zeit nunmal ist. Nimm die Menschen wahr, so wie sie sind: Die mit den Ellenbogen haben das Sagen. Es wird im- mer kälter in der Gesellschaft. Der Konkurrenzkampf tobt erbarmungslos. Die Ichsucht blüht. Wirklicher Lebenssinn geht mehr und mehr verloren. Das Klima kippt, die Natur leidet. Der Hunger breitet sich aus. Das Elend in der dritten Welt wächst, während bei uns manche viel zu viel von dem haben, was man kaufen kann. Man staffiert sein Leben mit allem möglichen Kram aus: Mit teuren Autos, Heimkino und jedem Zeitvertreib. Und inzwischen gehört der Glaube der Christen für viele ins Reich der Märchen. Ans Ende des Lebens denkt sowieso keiner. Und was danach kommt - wen kümmert es? - So ist die Welt und so sind die Menschen. Und so ist es kein Wunder - wenn man selbst von dem „Seil über der Tiefe“ weiß - dass man darauf treten möchte, möglichst bald und hinüber gehen will, auf und davon! Aber: Am Ende erst „werden sie in Christus alle lebendig gemacht werden“, sagt Paulus, „als Erstling Christus; danach, wenn er kommen wird, die, die Christus angehören; danach das Ende, wenn er das Reich Gott, dem Vater, übergeben wird, nachdem er alle Herrschaft und alle Macht und Gewalt vernichtet hat.“ Es ist noch nicht soweit! Du musst noch warten. Folge nicht diesem Ruf! Höre nicht - noch nicht - auf die Worte von drüben: Zu mir! Der dich schuf will, dass du noch hier bleibst. Darum: „Sei bereit für jede irdische Zeit!“ Liebe Gemeinde, da bin ich zurück bei diesem Bild vom Abgrund, über den sich ein Seil streckt. Da bin ich auch zurück bei der Botschaft von Ostern und bei diesen Worten des Paulus aus dem 1. Korintherbrief: „Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen. Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind.“ Das Seil ist gespannt, ein für alle Mal. Es gibt jetzt den Weg hinüber über die Tiefe. Der Herr ist auferstanden. Seine Leute sollen auch auferstehen. Es gibt das „Hinüber“. Es gibt Zukunft drüben. Keiner kann das rückgängig machen. Das Seil über der Tiefe liegt fest. Die Hand des Vaters wird uns einmal ergreifen. Er wird rufen: Zu mir. Aber: „Immer schon hält dich seine Hand - bleib liebend der Welt zugewandt!“ Dass Gott auch hier in dieser Welt meine Hand hält, ist der Widerspruch gegen jeden Wunsch, sich „davonzumachen“. Darin liegt der Grund, in der Welt und bei den Menschen - so wie sie sind! - auszuhalten. Das gibt den Mut, die Hoffnung niemals fahren zu lassen. Daher kommt die Ausdauer, bis zum Schluss, dieser Erde und ihren Men- schen zu dienen - bis wir am Ende unseres Lebens einmal am Anfang des „Seils“ über der „Tiefe“ stehen. Dann wird die Zeit sein, daraufzutreten. Erst dann! „Immer schon hält dich seine Hand!“ Ich finde, darin liegt sehr viel Trost: Seine Hand, die Hand des Vaters, winkt nicht nur von drüben. Hier - in dieser Welt, in dieser Zeit - hält er dich! Wenn du mit deinen geringen Kräften gegen Hunger und Not dieser Erde angehst - hält er dich. Wenn du in die Sinn- und Glaubenslosigkeit deines Mitmenschen wieder und wieder deinen Herrn hineinver- kündigst und hineinlebst - hält er dich. Wenn du bei allem Egoismus, allem Konsumgeist und aller Lebensgier dieser Zeit beim Teilen, Dich-Verschenken und beim Leben auch für die anderen bleibst - hält er dich. Und wenn du auch nur wenige Früchte erntest, und wenn durch dich vielleicht auch nur ein Mensch zum Nachdenken und vielleicht zur Umkehr gelangt ... da ist deine Aufgabe in die- ser Welt, bei ihren Menschen, in dieser Zeit, hier, heute! Ostern heißt: „Ein Seil ist über der Tiefe gespannt.“ Es liegt fest für dich, bis zu dem Tag, an dem Gott dich endgültig rufen wird. Darum: „Sei bereit für jede irdische Zeit! Immer schon hält dich seine Hand - bleib liebend der Welt zugewandt!“ AMEN