Predigt zum Gründonnerstag - 20.3.2008 Textlesung: Hebr. 2, 10 - 18 Denn es ziemte sich für den, um dessentwillen alle Dinge sind und durch den alle Dinge sind, dass er den, der viele Söhne zur Herrlichkeit geführt hat, den Anfänger ihres Heils, durch Leiden vollendete. Denn weil sie alle von einem kommen, beide, der heiligt und die geheiligt werden, darum schämt er sich auch nicht, sie Brüder zu nennen, und spricht (Psalm 22,23): »Ich will deinen Na- men verkündigen meinen Brüdern und mitten in der Gemeinde dir lobsingen.« Und wiederum (Jesaja 8,17): »Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen«; und wiederum (Jesaja 8,18): »Siehe, hier bin ich und die Kinder, die mir Gott gegeben hat.« Weil nun die Kinder von Fleisch und Blut sind, hat auch er's gleichermaßen angenommen, damit er durch seinen Tod die Macht nähme dem, der Gewalt über den Tod hatte, nämlich dem Teufel, und die erlöste, die durch Furcht vor dem Tod im ganzen Leben Knechte sein mussten. Denn er nimmt sich nicht der Engel an, sondern der Kinder Abrahams nimmt er sich an. Daher musste er in allem seinen Brüdern gleich werden, damit er barmherzig würde und ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu sühnen die Sünden des Volkes. Denn worin er selber gelitten hat und versucht worden ist, kann er helfen denen, die versucht werden. Liebe Gemeinde! Das sind nun wirklich keine leicht verständlichen Worte! Nachdem ich einige Zeit über diesen Ge- danken gebrütet habe, möchte ich sie so zusammenfassen und auf den Punkt bringen: Weil wir Menschen aus Fleisch und Blut sind, musste auch der Christus Gottes Fleisch und Blut annehmen. Weil wir dem Tod unterworfen sind, musste auch der Sohn Gottes dem Tod unterworfen sein, um uns vom Tod und der Macht des Teufels, der Gewalt über denn Tod hat, zu erlösen. Jesus Christus musste uns Menschen gleich werden, damit er selbst erfährt, wie das Leben eines Menschen ist, wie sich das Leid anfühlt und welchen Versuchungen Menschen ausgesetzt sind. Durch sein eigenes Leid und seinen Widerstand gegen die Versuchung konnte er die Sünden der Menschen abtragen und denen helfen, die in Leid und Versuchung dieser Welt stehen. Vielleicht ist das Anliegen des Abschnitts aus dem Hebräerbrief jetzt ein wenig deutlicher gewor- den. Es bleibt aber ein sehr schwieriger Text und es bleiben sperrige Gedanken. Wenn wir nun nach der wichtigsten Frage suchen und damit nach dem Grund, warum dieser Briefabschnitt überhaupt geschrieben worden ist, dann müssen wir sagen: Die Gemeinde, an die der Hebräerbrief gerichtet ist, hat es offenbar besonders beschäftigt, warum der Sohn Gottes sich so erniedrigt, dass er für die Menschen leidet und stirbt. Und wenn wir einen Augenblick darüber nachdenken, dann werden wir erkennen: Diese Frage ist auch uns nicht fremd! Wo erfahren wir in dieser Welt denn sonst noch etwas Ähnliches? Wir werden lange nachdenken müssen, um auf irgendein Beispiel zu kommen, wo ein Mensch sich so selbstlos verhalten hat, dass er auch nur auf das eigene Wohl und den eigenen Vorteil verzichtet hätte. Und gar ins Leid oder den Tod haben wir noch keinen gehen sehen. Gewiss, es wird z.B. von Pater Maximilian Kolbe berichtet, dass er für einen Mitgefangenen Hun- ger und Tod auf sich genommen hat. Aber - und damit will ich seine Opferbereitschaft nicht schmä- lern - er war sozusagen angezündet von dem, der das Urbild eines Menschen ist, der sich für andere dahingibt: Jesus Christus. Er aber, der Sohn Gottes, ist und bleibt das Opfer, die Sühne für die Sün- den aller Menschen. Und für uns bleibt die Frage: Wie konnte der Mensch, der Gottes Sohn war, sich so tief erniedrigen, dass er seine Herrlichkeit aufgab, um für zu leiden und zu sterben und so durch sein Opfer unsere Sünde aufzuheben und uns das Leben zu verdienen? Wie das geschehen ist, was die Stationen seines Leidensweges waren, das gehört an den Karfreitag und den Gottesdienst morgen. Wir wollen heute noch ein wenig über diese Frage nachdenken: Was hat den Sohn Gottes, Jesus Christus, im tiefsten Grunde getrieben, dass er sich in Leiden und Ster- ben für uns sündige Menschen opfert? Ich habe eine kleine wahre Geschichte gefunden, die uns vielleicht dabei hilft, die Antwort zu fin- den: Im 19. Jahrhundert lebte im Kaukasus ein Fürst namens Schamil. Er regierte ein kleines Bergvolk und galt als unbestechlich, gerecht und sehr klug. Seine Mutter, die ihn auf seinen Kriegszügen begleitete, liebte er innig. Eines Tages wurde Schamil gemeldet, dass wichtige Geheimnisse an den Feind verraten worden seien. Der Täter blieb unentdeckt. Dieser Vorfall wiederholte sich. Schamil verfügte, dass ein solcher Verräter, würde er entdeckt, mit hundert Geißelhieben auf nacktem Rücken bestraft würde. Er wollte solchem Verrat aus den eigenen Reihen Einhalt gebieten. Eines Tages wurde ihm gemeldet, dass der Täter entdeckt sei. Es war seine geliebte Mutter. Drei Tage ging Schamil mit sich zu Rate. Gerechtigkeit und Liebe stritten miteinander in seinem Herzen. Beiden musste er genügen, aber wie? Schließlich wurde die Mutter in Fesseln vorgeführt, um die hundert Geißelhiebe zu empfangen. Als der Henker die Hand erhob zum ersten Schlag, sprang Schamil vor, legte seinen Mantel ab und sprach: „Schlagt mich, ich trage ihre Strafe!“ So tat er der Gerechtigkeit und der Liebe genüge und empfing die Strafe. (Heinz Gerlach: Salz zum Würzen, 1983) Liebe Gemeinde! Zwar ist in dem Abschnitt aus dem Hebräerbrief, den wir heute bedenken, kein einziges Mal von „Liebe“ die Rede und doch ist sie die Antwort, warum Christus seinen Himmel verlässt, um für uns zu leiden und zu sterben. Und allein die Liebe kann auch erklären, warum Christus sich für unsere Sünde und Schuld, unsere ganze verkehrte Art opfert. Er tut das, weil er uns als seine Schwestern und Brüder liebt und weil er nicht unseren Tod, sondern unser Leben will! Aber es liegt noch viel mehr darin: Jesus Christus weist sich mit seiner Liebe auch als der Sohn Gottes aus, denn Gott ist die Liebe! Und wie anders hätte Gott uns zeigen können, wie groß seine Liebe ist und dass sie auch wirklich uns kleine Menschen meint, als dass sein eigener Sohn unsere Gestalt annimmt und in unser menschliches Leben hineingeht? Und durch diese Liebe, der Jesus Christus bis in den Tod treu bleibt, hat er uns den Grund des Glaubens und der Hoffnung geschenkt: Wenn nicht einmal der Tod von der Liebe Gottes trennt, was soll uns denn dann von ihr scheiden können? Nichts und niemand! Unsere Zukunft heißt nicht Tod und Vergessen, sondern Leben in Fülle - hier und einmal ewig. Schließlich hat uns Christus auch ein Beispiel gegeben, dass wir wie er in allem Leid, allen Versu- chungen standhaft bleiben können. Die wenigsten von uns sind so stark, dass sie für andere leiden und sich opfern würden, aber es kann uns gewiss gelingen, in allen Entscheidungen unseres Lebens immer auch danach zu fragen, wie sich wohl Christus in dieser Entscheidung verhalten, was er ge- sagt und wie er gehandelt hätte. Mit dieser Frage in allen Situationen, an allen Kreuzwegen und in allen Krisen unseres Lebens, sind und bleiben wir ganz nah bei dem, der unser Herr ist und der Sohn Gottes, der uns liebhat. „Weil nun die Kinder von Fleisch und Blut sind, hat auch er's gleichermaßen angenommen, damit er durch seinen Tod die Macht nähme dem, der Gewalt über den Tod hatte, nämlich dem Teufel, und die erlöste, die durch Furcht vor dem Tod im ganzen Leben Knechte sein mussten. ... Daher musste er in allem seinen Brüdern gleich werden, damit er barmherzig würde und ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu sühnen die Sünden des Volkes. Denn worin er selber gelitten hat und versucht worden ist, kann er helfen denen, die versucht werden.“ Ich bin ganz gewiss, dass Jesus Christus, der sich für uns in den Tod gegeben hat, uns nah ist und hilft, überall da, wo wir Leid, Trauer, Schmerz und Versuchungen bestehen müssen. AMEN