Predigt zum Palmsonntag - 16.3.2008 Textlesung: Hebr. 12, 1 - 3 Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns ständig umstrickt, und lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. Gedenkt an den, der soviel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst. Liebe Gemeinde! Lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns ständig umstrickt ... Es ist Palmsonntag. Die Karwoche beginnt. Wenn es eine Zeit im Jahr gibt, um über die „Sünde“ zu re- den, dann es ist die heute beginnende Woche! Unser Herr, dem sie heute noch huldigen und Palm- zweige und ihre Kleider auf den Weg legen, wird leiden „um unserer Sünde willen“. Er, der Freude hätte haben können, wird in Gethsemane die schrecklichste Einsamkeit ertragen und vor den Ho- henpriestern und Pilatus schlimmsten Hohn und Verachtung der Menschen erfahren. Dann wird er sein Kreuz nehmen und man wird ihn daran schlagen und er muss wie ein Verbrecher Schande und äußerste Verlassenheit erleben und dann sterben - um uns von Sünde und Tod zu erlösen. Er wird zum Opfer werden, auf dass wir Frieden und das Leben hätten. Wirklich: Eine geeignetere Zeit für uns, um über unsere Sünde nachzudenken, gibt es nicht! Nun weiß ich wohl: „Sünde“ ist kein öffentliches Thema in unserer Zeit. Ja, nicht einmal im priva- ten Bereich sprechen wir ja darüber. Selbst zwischen so vertrauten Menschen, wie es Eheleute sind, wird Sünde und Schuld gern ausgeklammert. Und ich frage mich, ob wir Christen wenigstens noch im Zwiegespräch mit Gott, in unserem Gebet darüber reden? Woran mag das liegen? Vielleicht hat ein so gewichtiges Thema in unserer oberflächlichen Zeit einfach keinen Platz mehr? Vielleicht gibt es für uns auch zu viele - gern genutzte - Gelegenheiten, um die Gedanken an Sünde und dergleichen an den Rand zu schieben und zu verdrängen? (Ich könnte mir auch denken, dass bestimmte religiöse Gruppen unserer Tage vielleicht zu viel von „Sündigkeit“ und „Schuld des Menschen“ gesprochen haben und es noch tun. Wenn man etwas zu stark betont, dann kann es leicht geschehen, dass die Leute in eine (berechtigte!) Abwehrhaltung verfallen und am Ende gar nichts mehr davon hören wollen: „Ihr redet immer nur von Sünde - sprecht doch auch einmal von der ‘frohen Botschaft’!“) Mag es nun sein, wie es will, die „Sünde“ ist ja deshalb nicht aufgehoben oder verschwunden - und sie ist schon gar nicht vergeben - nur weil wir nicht mehr über sie sprechen! Ich bin vielmehr der Überzeugung: Die Sünde, die Schuld des Menschen - unsere persönliche Schuld! - ist das (heimli- che) Thema unserer Zeit! Sie ist die Macht in unserer Gesellschaft und in unserem persönlichen Leben, die im Verborgenen regiert, befiehlt, bedrückt und versklavt! Und sie hat diese Macht, gera- de weil sie nicht mehr besprochen, bekannt und vergeben wird! Aber, was ist das eigentlich: „Sünde“? Ein Pfarrer hat es seinen Konfirmanden einmal so erklärt: „Sünde“ kommt von „Sund“, hat er gesagt, „und Sund, das ist eine tiefe Stelle zwischen zwei Landzungen. Oben an der Ostseeküste gibt es so etwas. Sünde trennt also - im Glaubensleben trennt sie Gott und den Menschen. Mir gefällt diese Erklärung. Mit diesem Begriff von „Sünde“ kann man leben und glauben: „Sünde ist die Trennung zwischen Gott und Menschen, zwischen Gott ... und mir!“ Nun liegt in diesem Verständnis von „Sünde“ auch noch das: Diese Trennung hat nicht Gott her- beigeführt, sondern ich habe das getan! Nicht er wollte ohne mich leben, sondern ich wollte es ohne ihn, allein machen! Und ich will es ja immer noch und immer wieder! Wenn wir nun schon mitten drin sind in diesem Thema, dann reden und denken wir auch einmal ehrlich weiter, schonungslos, ohne schönzufärben oder falsche Zimperlichkeit: Wir wollen natürlich unser Leben nach eigenem Willen gestalten! Gott soll uns nicht hineinreden. Wir haben ihm den Herrgottswinkel unserer Tage - oder unserer Woche - reserviert. Allenfalls! Vielleicht gehört das Gebet am Morgen ihm, und hoffentlich kann er auch ein Dankeswort darin hören!? Ein Gottes- dienst hie und da ist unser Tribut an unseren Schöpfer. Ein „Ach, Gott!“ hin und wieder über Tag, wenn wir uns über irgendetwas erschreckt haben, muss er sich auch gefallen lassen. Und sonst? Sonst? Ja, eigentlich nichts mehr sonst - oder nicht mehr viel! Am deutlichsten wird vielleicht unsere „Trennung von Gott“, wenn wir einmal die Zeiten verglei- chen, die wir diesem Gott widmen und die wir für Tätigkeiten und Arbeit in Beruf, in der Freizeit, im Alltag und am Sonntag haben: Wie viel wenden wir auf für Spazierengehen, die Fahrt in den Betrieb, das Hobby, die Autowäsche, den Urlaub und seine Vorbereitung ... Wie viele Stunden (Minuten?) in der Woche schenken wir Gott? Und wir wissen schon, was wirkliche Nähe zu Gott bedeutet, bedeuten könnte: Nicht nur die Bitte um Begleitung durch den Tag oder das müde Stoß- gebet vor dem Einschlafen am Abend; den ganzen Tag über gibt es tausend Gelegenheiten mit Gott ins Gespräch zu kommen und zu bleiben und das was wir tun vor ihm zu bedenken. Vielleicht so: „Was will Gott jetzt von mir? Was ist es, was dieser Mensch jetzt von mir braucht? Wem kann ich helfen? Womit kann ich diesem oder jenem eine Freude machen? Wer wartet auf einen Besuch, auf einen Anruf, einen Brief?“ Ja, der ganze Tag ist eine einzige Gelegenheit, Gott zu dienen, ihm zu danken für mein Leben, seinen Willen zu hören und ... zu tun! Gut, es mag ja während der acht oder neun Arbeitsstunden unseres Tages schwer sein, Gott den Raum zu geben, der ihm zusteht. Aber was ist mit den zweiten acht Stunden unserer freien Zeit, wie viel davon ist für ihn reserviert und über wie viel haben wir „Entspannung“ oder „Unterhal- tung“ geschrieben? Und - seltsam ist das - wenn in unseren Tagen die Wochenarbeitszeit doch im- mer weniger Stunden einnimmt und die Freizeit immer mehr wächst, so ist doch die Entfremdung von Gott in der Gesellschaft und in unserem persönlichen Leben kaum noch aufzuhalten: Ihm, der uns gemacht hat, kommt der Zeitgewinn für Ruhe, Besinnung und Entspannung jedenfalls nicht zu- gute! Und was ist aus der Bibellese früherer Jahre geworden? Wer nimmt - wenigstens einmal im Monat - die Bibel zur Hand? Wie viele gehen - in den Gemeinden, in denen er angeboten wird - zu einem Bibelkreis, um dort über geistliche Fragen nachzudenken? Es ist schon so - und ich spreche es noch einmal aus: Wir leben in Sünde! Wir sind getrennt von Gott - die meiste Zeit. Wir haben diese Trennung selbst gewollt und betrieben. Warum? Weil wir tun und lassen wollen, was uns selbst in den Sinn kommt. Weil wir unser Leben, wie wir denken, alleine meistern können. Weil wir eigen- sinnig und eigensüchtig sind, nicht teilen wollen, niemandem etwas gönnen und immer fürchten, Gott könnte uns Wege gehen heißen, die nicht bequem sind und wir könnten durch sein Geheiß är- mer werden und verlieren. Was machen wir also? Wir biegen uns das Leben, Gottes Anspruch und Willen zurecht, bis er uns passt und sagen vielleicht: „Es ist doch heute schon viel, wenn ich bete und wenn ich manchmal in die Kirche gehe - damit bin ich durchaus die Ausnahme.“ Das mag ja nun stimmen, aber es bleibt doch bei Gottes berechtigter Forderung nach meinem ganzen Leben, meiner Arbeit und Freizeit, meinem Sonntag und meinem Alltag! Es gehört alles - von Rechts wegen - ihm! Er hat mich ge- schaffen, ihm zu danken und zu dienen - an den Menschen - nicht nur mit ein bisschen Beten, ein paar Gottesdiensten im Jahr, einigen frommen Gedanken hin und wieder ...! Ich will auch das ganz hart ausdrücken: Selbst wenn ich der letzte wäre, der irgendetwas von allem tut, was Gott gefällt und was er haben möchte. Selbst wenn außer mir keiner mehr beten würde und ich der einzige in dieser Kirche wäre, selbst dann bliebe Gottes Anspruch an mich bestehen: Mein ganzes Leben will er haben, meine Liebe, meinen Gehorsam ... Warum? Weil das halt eine sehr persönliche Sache ist und bleibt! Gott fragt mich nicht, was ich von meinen Mitmenschen halte, ob ich sie besser oder schlechter finde als mich. Er fragt mich: Was bin ich dir wert, dein Gott, dein Herr, dein Schöpfer? Und wir wissen das auch! Denn - so habe ich das vorhin ausgedrückt: Die „Sünde“ ist das heimliche Thema unseres Lebens! Sie ist die Macht, die uns regiert und diktiert! Es scheint so zu sein, dass wir nicht so tun können, als wäre zwischen uns und Gott alles in Ordnung! Das quält uns, wenn wir seinen Ruf überhören. Das lässt uns nicht zur Ruhe kommen, wenn wir ihn wieder und wieder hinausdrängen aus unserer Zeit. Das bedrückt und belastet uns, wenn wir Gott die Ehre verweigern, die ihm zusteht. Vielleicht ist die Stimme, die wir dann in uns hören, ja unser Gewissen? Diese Stimme jedenfalls schweigt erst dann, wenn wir endlich damit anfangen zu tun, was sie uns gebietet! Und glauben sie doch bloß nicht, die Leute um uns herum, die doch so offensichtlich und oft sogar ausgesprochen „keinen Gott brauchen und keine Kirche und keinen Glauben“ ... meinen sie nur nicht, sie wären fertig mit der „Sünde“! Auch in ihnen ist sie mächtig! Auch an ihnen arbeitet sie! Denken sie doch nur daran, wie sehr sich diese Menschen immer meinen rechtfertigen zu müssen: „Ich gehe nicht zu Kirche, aber ich bin doch deshalb kein schlechterer Mensch!“ - „Die in den Bi- belkreis rennen, scheinen es ja nötig zu haben!“ Ich bin gewiss, auch solche Menschen werden einmal die Stunde erleben, da sie erkennen müssen: Ich kann meine Sünde nicht länger verdrängen! Ich kann nicht länger fern von Gott leben! Ich halte es nicht mehr aus - getrennt von Gott! Liebe Gemeinde, eigentlich ist unser Leben doch ein rechter Kampf mit der Sünde, mit dem schlechten Gewissen, mit dem Zwang, uns immer rechtfertigen zu müssen ... Aber es gibt Hilfe. Hören wir noch einmal die Worte des Hebräerbriefs: „Lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns ständig umstrickt, und lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. Gedenkt an den, der soviel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.“ Es gibt einen besseren Kampf als den mit der Sünde, dem Gewissen, dem Zwang zur Rechtferti- gung ... Geduld lässt uns den Kampf bestehen. Und in der Nähe Jesu Christi bleiben im Glauben und auch beharrlich bei allem, was unseren Glauben stärkt: Das Beten, das Lesen der Heiligen Schrift, der Gottesdienst und die Gemeinschaft mit den anderen Christen. Die nötige Kraft und der Mut, in diesem Kampf zu siegen, werden uns immer wieder von daher zuwachsen, dass wir aufse- hen zum Kreuz unseres Herrn, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der die Sünde, die Trennung zwischen mir und meinem Gott aufhebt. AMEN