Predigt zur Jahreslosung 2008 - 1.1.2008 Christus spricht: Ich lebe, und ihr sollt auch leben. Jh. 14,19 Liebe Gemeinde! Das geht wohl den meisten so, die diese Losung zum ersten Mal hören - und mir ist es auch so ge- gangen: Wir denken an unseren Abschied von der Welt. Unsere Gedanken gehen hin zum Sterben und zum Tod. Und je nach dem, wie stark unser Glaube und unsere Hoffnung ist, fragen wir uns, was dann wohl für uns kommt ... wird es das Leben sein, die Begegnung mit unserem lebendigen Herrn, das Wiedersehen mit unseren Lieben, die Ewigkeit in der Nähe Gottes? Dabei spricht Jesus hier gar nicht von diesem zukünftigen Leben! Als er das sagt, damals, ist er ja noch gar nicht ins Leid, ans Kreuz, ins Grab gegangen und dann auferstanden und aufgefahren zu unserem Vater. Und von der Welt nach dem Tod hat er auch immer nur in irdischen Bildern ge- sprochen: Von einer Tischgesellschaft vielleicht, einer Hochzeit, einem großen Fest ... Nie hat er gesagt: So und so wird das dann sein. Warum? Weil er es auch nicht wusste! Weil er nur davon ge- redet hat, dass diese neue herrliche Welt Gottes kommen wird, aber nicht wie und wann. Ja, er hat sogar deutlich ausgesprochen, dass er davon nichts weiß - es ist erst fünf Wochen her, da war in un- seren Kirchen davon zu predigen (Totensonntag): „Von dem Tage aber und der Stunde weiß nie- mand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.“ (Mk. 13, 32) Was meint Jesus also, wenn er das sagt: Ich lebe, und ihr sollt auch leben? Achten wir darauf: Er sagt dieses Wort nicht über die zukünftige Welt! Warum richtet er es aber an seine Jünger, die an seiner Seite sind, ihm gegenüber sitzen und doch ganz offensichtlich leben und atmen und eine solche Verheißung des Lebens in der Welt gar nicht brauchen? Es muss um das Wie dieses Lebens gehen; um seine Qualität, seinen Sinn und seine Fülle. Und - das wird damals nicht anders gewesen sein als heute - diese Fragen und Gedanken haben es schwer bei uns. Wir tun sie immer wieder gern ab und wenden uns stattdessen dem Leben zu, das in und von dieser Welt ist, das man messen, in Zahlen und in seiner Länge ausdrücken kann: So viele Jahre habe ich, bald kommt mein soundsovielter Geburtstag, so lange lebt dieser Mensch schon und nach der Statistik hat er noch diese Spanne zu erwarten. - Dieses Leben aber hat Jesus nicht gemeint. - - - Ich möchte uns ein paar Beispiele vor Ohren und Herzen führen, wie sehr und wie stark wir in un- serem Denken und Reden an diesem zähl- und messbaren Leben hängen: Neulich hat ein Mann zu seinem Kollegen am Arbeitsplatz gesagt: „Die Hartz IV-Empfänger sollen sich mal nicht so haben. So lange sie doch leben können von dem Geld, das sie kriegen!“ - Ich frage mich: Ist das schon das Leben, dass man sich kleiden kann, eine Wohnung hat und jeden Tag satt zu essen? Gehört zum Leben nicht z.B. auch eine Arbeit, die uns Erfüllung schenkt und das Gefühl, gebraucht zu werden? Und wie viele Menschen müssen das doch in unserer Zeit entbehren? Eine Frau beklagt sich bei ihrer besten Freundin: „Mein Mann ist gut zu mir, wir können uns alles leisten, wir haben ein schönes Haus, zweimal im Jahr fahren wir in Urlaub ... Trotzdem: Ich frage mich oft, ob das ein Leben ist - mein Leben?“ - Vielleicht gibt es eine Aufgabe, die nur diese Frau mit ihren Gaben erfüllen kann und die ihr fehlt? Oder es sind die anderen Menschen, die sie brau- chen und die ihr das Gefühl geben könnten, dass ihr Leben wertvoll ist und wichtig? Und noch etwas will ich erzählen, das ist sehr drastisch: Da sitzt eine Frau in der Intensivstation schon seit vielen Tagen am Bett ihres Mannes. Die Ärzte haben den Mann nach dem Schlaganfall wieder „ins Leben zurückgeholt“. Das waren ihre Worte nach der Operation. Jetzt sitzt die Frau schon seit bald zwei Wochen täglich viele Stunden an seinem Bett, hält seine Hand und schaut auf die Anzeigen auf den Geräten hinter ihm: Herzschlag, Blutdruck und noch einige andere Werte, die ihr nichts sagen, sind da zu sehen. Und alles - so bestätigen die Ärzte - im normalen Bereich. Aber der Mann schlägt die Augen nicht auf. Und wenn er es tut, was wird dann mit ihm sein? - Immer wieder muss die Frau in diesen Tagen mit den so zäh verstreichenden Stunden an diese Worte den- ken: „ins Leben zurückgeholt“ ... Und je länger sie dort sitzt, umso mehr Fragen kommen ihr und Zweifel, ob das ein Leben ist und ob es je wieder eines werden kann. Liebe Gemeinde, wir alle wissen es im Grunde unserer Seele, dass Leben mehr ist als etwas, was wir messen und zählen können, und wir alle kennen die Stunden in denen wir sagen und klagen: So habe ich mir das Leben nicht vorgestellt! Und wir müssen dabei keine Not leiden und es kann äu- ßerlich bei uns alles zum Besten bestellt sein ... Dennoch empfinden wir es manchmal so - und nicht nur in schweren Stunden: Das ist kein Leben! Und wir drücken damit aus, dass wir nicht zufrieden sind mit Wohnung, Kleidung, Essen und Trinken, Auto, Urlaub, Fernsehen, dem richtigen Blutdruck und gesunden Cholesterinwerten ... Und jetzt - vor solchen Gedanken - ahnen wir und beginnen zu verstehen, was Jesus wohl meint, wenn er uns das zuspricht: Ich lebe, und ihr sollt auch leben. Liebe Gemeinde, Jesus möchte, dass wir zu einem Leben finden, in dem Sinn ist und Freude, in dem es erfüllte Stunden gibt, in denen wir wissen und erfahren, dass wir gebraucht werden und Aufgaben haben, ein Leben, das Ziele hat, für die es sich zu leben lohnt. ER hat uns - als er über diese Erde ging - ein Beispiel gegeben, wie wahres Leben aussehen kann: Er war für die Mitmenschen da. Er hat sich ihrer angenommen. Ihr Leid, ihre Krankheit, ihre Sorgen hat er zu seinen gemacht. Wo Angst war, hat er Hoffnung geschenkt. Wo Not war, hat er geholfen. Die Schwachen und Außenseiter hatten in ihm einen Fürsprecher. So hat er in der Dunkelheit der Welt ein Licht angezündet, ja, er ist selbst zum Licht geworden. - Er kann das von sich sagen: Ich lebe! Aber er spricht ja weiter: ... und ihr sollt auch leben. Unser Herr hat diesen Auftrag für uns: Dass wir uns wie er den Menschen zuzuwenden. Wie er sollen wir für unsere Nächsten da sein, ihr Leid, ihre Krankheit, ihre Sorgen nach Kräften lindern. Wo Angst ist, von der Zuversicht reden. In Nöten denen beistehen, die sich allein nicht helfen können. Für die sprechen und bei ihnen ausharren, die in Schwermut und Einsamkeit verstummt sind. So können auch wir ein Licht ins Dunkel tragen und selbst für andere zum Licht werden. Und dann erkennen wir, was das heißt: ... ihr sollt auch le- ben! Und dieses Leben wird uns froh machen! Noch haben wir Bedenken. Wollen wir ein solches Leben wirklich? Werden wir es durchhalten? Wird die Anstrengung uns nicht überfordern, die Mühe nicht zu groß? Und wo bleiben wir selbst dabei? Wo bleibt ... das andere Leben, an dem wir doch auch hängen und das uns so vertraut ist? Wir wollen auf eine kleine Geschichte hören: Es kam der Tag, da sagte das Zündholz zur Kerze: „Ich habe den Auftrag, Dich anzuzünden.“ „Oh nein“, erschrak die Kerze, „nur das nicht. Wenn ich brenne, sind meine Tage gezählt. Niemand wird mehr meine Schöhnheit bewundern.“ Das Zündholz fragte: „Aber willst Du denn ein Leben lang kalt und hart bleiben, ohne zuvor gelebt zu haben?“ - „Aber brennen tut doch weh und zehrt an meinen Kräften“, flüsterte die Kerze unsicher und voller Angst. „Es ist wahr“, entgegnete das Zündholz. „Aber das ist doch das Geheimnis unserer Berufung: wir sind berufen, Licht zu sein. Was ich tun kann ist wenig. Zünde ich Dich aber nicht an, so verpasse ich den Sinn meines Lebens. Ich bin dafür da, Feuer zu entfachen. Du bist eine Kerze. Du sollst für andere leuchten und Wärme schenken. Alles, was Du an Schmerz und Leid und Kraft hingibst, wird verwandelt in Licht. Du gehst nicht verloren, wenn Du Dich verzehrst. Andere werden Dein Licht weitertragen. Nur wenn Du Dich versagst, wirst Du sterben.“ Da spitzte die Kerze ihren Docht und sprach voller Erwartung: „Ich bitte Dich, zünde mich an ...“ („Zündholz und Kerze“, Verfasser unbekannt) Liebe Gemeinde, es geht um nicht weniger als das: Den „Sinn des Lebens“. Und jede und jeder von uns auf ganz eigene Weise und nach unseren besonderen Gaben „sind berufen, Licht zu sein“ und „für andere zu leuchten und Wärme zu schenken“. Ich lebe, und ihr sollt auch leben. Dieses Wort ruft uns unser Herr Jesus Christus heute zu und es soll uns als Losung für dieses Jahr durch die kommenden 365 Tage begleiten. Vielleicht nehmen wir neben diesem Wort auch die kleine Geschichte von heute mit. Und vielleicht hören wir ihre Botschaft immer wieder einmal in unserem Herzen, wenn wir uns fragen: Ist das mein Leben? Und vielleicht hören wir dann auch ganz leise wieder, was das Zündholz sagt: „Alles, was Du an Schmerz und Leid und Kraft hingibst, wird verwandelt in Licht. Du gehst nicht verloren, wenn Du Dich verzehrst.“ Schenke uns Gott, dass wir dann den Mut finden, so zu antworten wie die Kerze: „Ich bitte Dich, zünde mich an ...“ AMEN