Predigt zum 1. Christtag - 25.12.2007 Textlesung: Gal. 4, 4 - 7 Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen. Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott. Liebe Gemeinde! Vor Tagen hat ein junger Pfarrer einen Schulgottesdienst zum Beginn der Weihnachtsferien gehal- ten. Dabei hat er in seiner kurzen Ansprache über den eben gehörten Bibeltext gesprochen, der in diesem Jahr am 1. Christtag in unseren Kirchen zu predigen dran ist. Besonders betont hat er zwei Gedanken: Dass wir die „Kindschaft bei Gott“ empfangen sollen und dass Gott unser „lieber Va- ter“ ist. Aber irgendwie hatte er - besonders während der Ansprache - das Gefühl, dass ihm viele der jungen Leute gar nicht zuhörten. Die Predigt, die er so lange vorbereitet hatte und die auch sprachlich ganz einfach gehalten war, schien über die Köpfe vieler Jugendlicher hinwegzugehen. Das hat ihn auch nach dem Gottesdienst nicht losgelassen. Am Ausgang der Kirche bittet er den Schulleiter, der sich mit einem Handschlag und einem Dankeschön von ihm verabschiedet, um ein Gespräch. Sie vereinbaren einen Termin für den Nachmittag. Beim nachmittäglichen Termin kommt der junge Pfarrer gleich zur Sache: „Ich hatte heute Morgen das Gefühl, dass meine Predigt nicht recht verstanden worden ist und nicht so gut ankam. Sie haben die Ansprache ja nun auch gehört, können sie sich denken, warum das so gewesen ist?“ Der Schulleiter überlegt einen Augenblick, dann antwortet er: „Die Predigt war nicht schlecht, ganz sicher nicht. Und vor 20 oder 30 Jahren wäre sie bei den Jugendlichen auch noch gut verstanden worden ...“ - „Ja und warum heute nicht mehr“, unterbricht ihn der junge Pfarrer, „ich habe doch versucht auch Sprachbilder und Beispiele aus unserer Zeit einzubauen!“ - „Es lag nicht an den Beispielen“, meint jetzt der Schulleiter, „es hängt mit dem Text zusammen, den sie gepredigt haben.“ - „Ja, aber ...“, will der Junge erwidern, aber der Ältere spricht weiter: „Ich weiß, sie haben den Text der Bibel gepredigt. Und da steht zum Beispiel dieses Wort: ‘Abba, lieber Vater’. Aber wir haben heute - nicht nur in unserer Schule! - viele Schülerinnen und Schüler, die nicht mehr in ‘normalen’ Familien leben. Und es sind leider gerade oft die Väter, die fehlen. Die Ehe ist irgendwann kaputt gegangen, da waren die Kinder vielleicht noch klein. Die Mütter sind allein geblieben oder haben jetzt einen neuen Partner, der eben nicht der „Vater“ ist und der das oft auch nicht sein kann oder will. Und der richtige Vater hat vielleicht auch wieder geheiratet und eine andere Familie. - Aber ich will auch noch etwas anderes aus ihrer Predigt heute Morgen he- rausgreifen: Es ging auch um die Kindschaft und „dass wir alle Gottes Kinder“ sind. Für viele unserer Schüler ist es aus den eben angesprochenen Gründen auch gar nicht mehr so schön und wünschenswert, Kind zu sein. Verstehen Sie, die Kindheit ist heute in vielen Fällen nicht mehr dieser gute, behütete und geborgene Zustand. Oft genug wollen die jungen Menschen nur eines: so schnell wie möglich aus der Kindheit herauskommen und erwachsen werden!“ Liebe Gemeinde, hier beende ich den Bericht von diesem Gespräch. Es ist alles gesagt, was auch für uns wichtig scheint und bedenkenswert: Manche Geschichten und andere Texte der Bibel wer- den heute ganz anders gehört als zur Zeit Jesu. Und manchmal ist es wohl auch so, dass unsere Ge- sellschaft sich in wenigen Jahren so entwickelt, dass bestimmte Begriffe und Gedanken der Heili- gen Schrift gar nicht mehr oder ganz anders verstanden werden - so wie hier. Wir können das nun beklagen und fragen, warum das so ist und wer daran Schuld hat ... Wir schaf- fen so aber das Problem nicht aus der Welt: Gerade junge Menschen verbinden heute damit etwas anderes als wir, wenn wir vom „Vater“ sprechen oder davon, „Kind“ zu sein. Noch dazu ist ja auch das Bild vom „Vater“ bei uns Erwachsenen genau wie bei den Kindern sehr unterschiedlich, auch wenn wir einen Vater erleben durften und je nachdem, wie der Vater war und ist oder - so ist es ja oft auch bei den Älteren unter uns - ob wir überhaupt einen kennen gelernt haben! Liebe Gemeinde, was machen wir jetzt mit diesen Erkenntnissen? - Wir wollen versuchen, sie auf die Worte anzuwenden, die über der Predigt heute und der des jungen Pfarrers, von dem ich erzählt habe, standen: „Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater!“ Lassen sie es uns heute neu und verständlich für alle sagen, was hier gemeint ist, wenn von Gott als unserem „Vater“ gesprochen wird. Wo wir in unserer Welt und Zeit auch oft keine für uns alle gültigen Vorstellungen mehr davon haben, unser Herr, dessen Geburt in unserer Welt wir heute feiern, ist nicht müde geworden, den „himmlischen Vater“ in immer neuen Bildern und Geschichten zu beschreiben. Hören wir einmal, was er von seinem, der auch unser Vater ist, sagt: Sicher fällt uns da zuerst die Geschichte vom verlorenen Sohn ein. Gott, wie er uns in dieser Ge- schichte vorgestellt wird, ist so gütig, dass er selbst den Sohn, der all sein Gut verprasst und vertan hat, wieder bei sich aufnimmt. Ja, er macht ihm nicht einmal Vorhaltungen, sondern als er ihn sieht, breitet er die Arme auf und nimmt ihn an sein Herz. Und er feiert ein Fest vor lauter Glück, dass sein Kind wieder zu ihm heimgefunden hat. Den anderen Sohn, der eher so reagiert, wie wir es tun würden, lädt er freundlich zum Mitfeiern ein: „Schau doch nicht so böse, freu’ dich mit mir! Es ist doch dein Bruder und er hat heimgefunden zu uns. Lass uns fröhlich sein.“ - Solch ein Vater ist Gott. Oder denken wir an das Gleichnis von den ungleichen Söhnen (Mt. 21,28-32): Von beiden erbittet der Vater Mitarbeit in seinem Weinberg. Der eine sagt zu, geht aber nicht hin. Der andere sagt nein, beginnt dann aber mit der Arbeit. Was wir der Geschichte entnehmen wollen ist dies: Gott lässt sei- nen Kinder ihren Willen. Er zwingt ihnen seinen Willen nicht auf. Sie sind frei, zu tun und zu las- sen, was sie wollen und was ihnen gefällt. Gott ist unermesslich großzügig zu uns Menschen. - solch ein Vater ist Gott. Und auch in der Bergpredigt spricht Jesus über eine der väterlichsten Eigenschaften Gottes (Mt. 6,26): „Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.“ Gott ist für uns da. Er hat uns schon das Leben geschenkt, er will es uns auch erhalten. Gewiss - besonders wenn wir selbst Väter und Mütter sind - sollen wir für unsere Familien sorgen und uns mühen, dass es ihnen gut geht. Aber alle Sorglichkeit, alle Furcht, alle Zukunftsangst dürfen wir getrost in Gottes Hände legen. Er sorgt für uns in diesem Leben und einmal in seiner ewigen Welt! In einem letzten Sinn kann uns nichts Böses geschehen, vor allem nichts, was uns von unserem himmlischen Vater trennen kann. - Solch ein Vater ist Gott. Aber gerade in diesen Weihnachtstagen dürfen wir eines nicht vergessen: Gott ist kein unnahbarer Vater, der weltenfern über uns thront und von allem, was seine Kinder bewegt, beschäftigt, ängstet und ihnen weh tut keine eigenen Erfahrungen hat. Er ist eben nicht allein unser Vater geblieben! Im Stall von Bethlehem geht er selbst als ein Kind hinab in unser Leben. Er wird einer von uns, ja, ei- gentlich viel kleiner und geringer als jede und jeder von uns: Als Bettelkind in einem Futtertrog be- ginnt er seinen Weg. Noch in der Nacht seiner Geburt verfolgt ihn der Hass der Menschen, die ihn wieder aus der Welt schaffen wollen. Und später als Mann sagt dieses Kind Gottes von sich selbst, dass er nicht einmal hat, wo er sein Haupt hinlegen kann. Schließlich geht er um seiner Geschwister willen in Leiden und Tod. Was immer ein menschliches Leben auch an Schmerz und Leid bereit halten mag, er hat es ausgekostet bis zur Neige. - Solch ein Vater ist Gott. Liebe Gemeinde, was heißt es nun, das Kind dieses Vaters zu sein? - Das können wir kurz sagen oder auch länger. Kurz bedeutet es, dass uns die Menschen ansehen, abhören und abspüren können, dass Gott unser Vater und wir seine Kinder sind. Wenn wir es länger sagen wollen, dann klingt das so: Ein Mensch, dessen Vater Gott ist, der darf sich wie der verlorene Sohn sein Leben lang und immer wieder darauf verlassen, dssa Gott auf ihn wartet, mit ausgebreiteten Armen, und ihn wann immer er zu ihm kommt, an sein Herz drückt. Und alles, was gewesen ist, wird vergessen und ver- geben sein. Als Kind dieses Vaters werden wir niemals zu irgend etwas gezwungen - zum Guten nicht und schon gar nicht zum Bösen. Wir sind frei das zu tun, was uns gefällt. Aber wir sind auch immer eingeladen, zu reden und zu handeln, wie unser Vater es will. Und Gott wird uns versorgen! Immer wieder werden wir seine väterliche Hand spüren und täglich haben wir tausend Gründe zur Dankbarkeit und zur Freude - auch wo wir lange nicht mehr darüber nachgedacht haben, woher eigentlich all die guten Gaben unseres Lebens kommen. Schließlich wissen wir und wir feiern es als Kinder dieses Vaters heute, dass er nicht oben, fern in seinem Himmel geblieben, sondern selbst auch Kind und Mensch geworden ist, unser Bruder. Ich glaube, wenn wir das alles jetzt über unseren Vater wissen, können wir auch die Worte verste- hen, die heute über dieser Predigt gestanden haben: 2. Textlesung: Gal. 4, 4 - 7 Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen. Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott. AMEN