Predigt zum 1. Adventssonntag - 2.12.2007 Textlesung: Hebr. 10, 19 - 25 Weil wir denn nun, liebe Brüder, durch das Blut Jesu die Freiheit haben zum Eingang in das Hei- ligtum, den er uns aufgetan hat als neuen und lebendigen Weg durch den Vorhang, das ist: durch das Opfer seines Leibes, und haben einen Hohenpriester über das Haus Gottes, so lasst uns hinzu- treten mit wahrhaftigem Herzen in vollkommenem Glauben, besprengt in unsern Herzen und los von dem bösen Gewissen und gewaschen am Leib mit reinem Wasser. Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken; denn er ist treu, der sie verheißen hat; und lasst uns aufeinander achthaben und uns anreizen zur Liebe und zu guten Werken und nicht verlassen unsre Versammlungen, wie einige zu tun pflegen, sondern einander ermahnen, und das um so mehr, als ihr seht, dass sich der Tag naht. Liebe Gemeinde! Das ist nun wirklich eine Rätselrede! Hier müssen wir einige Dinge und Begriffe klären, sonst kön- nen wir die Botschaft dieser Verse nicht verstehen. Weil wir denn nun, liebe Schwestern, liebe Brüder, durch das Blut Jesu die Freiheit haben zum Eingang in das Heiligtum ... Zunächst, das haben sie sicher gemerkt, habe ich die „Schwestern“ hinzugefügt - die gab es zur Zeit als der Hebräerbrief geschrieben wurde natürlich auch, nur wurden sie meist nicht genannt, besonders nicht in religiösem Zusammenhang. Wir aber wollen ihnen die Wertschätzung geben, die ihnen zusteht. Aber was ist das „Heiligtum“, von dem hier die Rede ist? - Es gab im Tempel in Jerusalem einen Raum, das „Allerheiligste“, der Gott allein vorbehalten war. Nur der Hohepriester durfte ihn einmal im Jahr am Versöhnungstag mit dem Sühneopfer für die Sünden des Volkes betreten. Jetzt aber, nach dem Tod Jesu Christi am Kreuz - so meint der Schreiber des Hebräerbriefs - haben wir freien Zugang zu Gott durch Christi Blut, der selbst für uns zum Sühnopfer geworden ist. ... zum Eingang in das Heiligtum, den er uns aufgetan hat als neuen und lebendigen Weg durch den Vorhang, das ist: durch das Opfer seines Leibes ... - Sicher erinnern sie sich an den Karfreitagstext, in dem es heißt: „Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus.“ (Mt. 27,51) Ein Hebräer, also ein im Judentum aufgewachsener Mensch, hat das sofort vers- tanden: Der „Vorhang“ nämlich trennte das Heiligtum vom übrigen Tempel. Jetzt bedeutet der „Vorhang“ das „Opfer Christi“ und wir gehen durch diesen Vorhang ... Das heißt: Im Glauben an Jesus Christus und im Vertrauen darauf, dass er uns gerecht macht vor Gott, dürfen wir hineintreten in das Heiligtum, in die Nähe Gottes. Das weitere ist nun auch klarer geworden: „Wir haben einen Hohenpriester über das Haus Gottes, so lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen in vollkommenem Glauben, besprengt in unsern Herzen und los von dem bösen Gewissen und gewaschen am Leib mit reinem Wasser.“ Jetzt ist für uns Jesus Christus der Hohepriester, der Zugang hat zum Heiligtum - und wir mit ihm! Aus wel- chem Grund? Weil wir durch ihn ein „wahrhaftiges Herz“ und einen „vollkommenen Glauben“ ha- ben, weil wir unser „böses Gewissen“, also unsere Schuld durch ihn los sind und weil wir „am Leib gewaschen“, also getauft wurden auf seinen Namen. Und schließlich begreifen wir jetzt auch diese Aufforderung: Lasst uns festhalten an dem Be- kenntnis der Hoffnung und nicht wanken; denn er ist treu, der sie verheißen hat. - Zur Taufe - und das ist in unserer Zeit ja gar nicht anders - gehörte immer auch ein persönliches Versprechen, an di- esen Jesus Christus zu glauben und sich im Leben und im Sterben an ihn zu halten. Das wurde damals nur wenig anders ausgedrückt, als wir es heute in unserem Glaubensbekenntnis sagen: „Ich glaube an Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, unsern Herrn ...“ Sie waren sicher nötig, aber jetzt wollen wir aufhören mit diesen doch recht trockenen Erklärungen. Schauen wir, warum der Schreiber des Hebräerbriefs so weit ausholt und seine Leser, die wohl einst Juden waren, an das erinnert, was früher gewesen und wie es jetzt für sie als Christen ist. Wie freundlich klingt doch seine Einladung: Lasst uns hinzutreten ins Heiligtum ... zu Gott! Wie eindringlich ist seine Mahnung: Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung, wie wir es bei unserer Taufe ausgesprochen haben! Wie drängend ist schließlich seine Warnung, nicht im Glauben zu wanken und die Versammlungen der Gemeinde nicht zu verlassen! - Wie von selbst sind wir da doch bei uns, denen die Worte dieses Briefes ja genau so gelten, wie den Menschen der Hebräergemeinde vor bald 2000 Jahren! Denn diese Einladung, diese Mahnung und Warnung tref- fen uns genau so wie damals und sie passen in unsere Zeit, unsere Kirche, unsere Gemeinde ... Und da wollen wir uns jetzt auch diese freundlichen Worte sagen lassen: „Lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen in vollkommenem Glauben, besprengt in unsern Herzen und los von dem bösen Gewissen und gewaschen am Leib mit reinem Wasser.“ Ob wir wohl darauf hören? Mir sind mit dieser Einladung im Ohr die vielen Gelegenheiten eingefallen, an denen unser Glaube versucht worden ist, etwa von den Äußerungen eines Zeitungskommentators zu einer Zeitfrage, die auch uns und unsere Kirchen beschäftigt oder vom negativen Ergebnis der Forschung eines angeb- lichen Theologen nach einem Beleg für die Existenz Gottes. Wie hat uns die offene Leugnung Gottes und die nur wenig verschleierte Meinung, Christen wären alle naiv und weltfremd, doch ver- letzt! Aber eben nicht nur das: Wir wurden auch verunsichert und haben uns doch tatsächlich einen Augenblick gefragt, ob wir selbst überhaupt noch im Glauben stehen und was er uns denn noch be- deutet ... Was will ich da jetzt dagegen stellen? Mindestens dies: Unser Glaube mag angegriffen, versuchlich und manchmal nicht fest sein und gewiss ist er nicht „vollkommen“, aber er ist für uns immer der Halt gewesen, der unseren Schritten Sicherheit und unserer Hoffnung eine Aussicht ge- geben hat. Und vor allem: Er ist zu teuer erkauft durch unseren Herrn, als dass wir ihn leichtfertig fahren lassen, nur weil irgend ein Mensch, dem dieser Glaube nicht geschenkt ist, ihn anzweifelt und seine Verlässlichkeit bestreitet. Und es ist doch auch so, dass wir den Gott, an den wir glauben, oft genug in unserem Leben leibhaftig erfahren haben. Keiner unter uns, der nicht einige Erlebnisse erzählen kann, die für ihn selbst ein ganz klarer Beweis waren, dass ein väterlicher Gott unser Leben schützt und mit uns durch die Zeit geht, die er uns geschenkt hat. Wir sind heute eingeladen, wieder neu oder auch zum ersten Mal hinzuzutreten ins Heiligtum Gottes. Da kommt er uns nah und bringt alle unsere Zweifel und Ängste, unsere Vorbehalte und Fragen zum schweigen dadurch, dass wir ihn selbst treffen. Denn er ist lebendig. Er ist da. In Jesus Christus trägt er ein für allemal ein menschliches Gesicht und wir können ihn sehen - in allen Men- schen, die uns begegnen. Wir wollen aber auch nicht vergessen, dass Gott in einem „Heiligtum“ wohnt. Ein Heiligtum behält immer ein Stück seines Geheimnis’. Unsere Fragen werden, solange wir in dieser Welt sind, nicht alle beantwortet. Und immer bleibt unser Glaube nur das feste Vertrauen, dass unser Gott für uns und alle seine Kinder da ist und es gut mit uns meint. Beweise für ihn gibt es so wenig, wie es Be- lege dafür gibt, dass der Himmel leer ist. Auch auf diese Mahnung wollen wir hören: „Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken; denn er ist treu, der sie verheißen hat ...“. Es ist wichtig, dass wir von unserem Glauben immer wieder sprechen, dass wir uns gegenseitig darüber austauschen und so einander im Glauben stützen. Und besonders unseren Kindern und Enkeln gegenüber müssen wir das neu ler- nen, die Hoffnung ins Gespräch zu bringen, die Zuversicht, dass dieses Leben, diese Welt und alles, was wir vor unseren leiblichen Augen haben, nicht alles ist. Wird nicht die Welt immer kälter und an vielen Stellen bedrohlicher? Und daran kann auch die Klimaerwärmung, der wir entgegen gehen, nichts ändern. Und wird es nicht auch im persönlichen Leben derer, die von und nach uns kommen deshalb immer wichtiger, dass sie in aller Bedrängnis und allen Schwierigkeiten, durch die sie hin- durch müssen, von unserem Herrn Jesus Christus wissen? Und woher sollen sie’s wissen, wenn nicht von uns? Schließlich sollten wir auch die Warnung beherzigen: Lasst uns aufeinander achthaben und uns anreizen zur Liebe und zu guten Werken und nicht verlassen unsre Versammlungen, wie einige zu tun pflegen ...“ „Auf einander achthaben“, nach einander sehen, die Freude des anderen wahrneh- men, aber auch sein Leid - wie könnte man es schöner ausdrücken, warum uns der Glaube an Jesus Christus zur Gemeinde zusammen schließen soll? Ist es nicht selbstverständlich, dass einer, der sich von den Versammlungen seiner Gemeinde fern hält, den anderen aus den Augen der gerät? Und ist es nicht ebenso selbstverständlich, dass alle, die sich fern von der Gemeinde aufhalten, die Nächsten aus dieser Gemeinde nicht mehr sehen und nicht mehr um ihr Leid und ihre Not, ihre Freude und ihr Glück wissen? Und das muss man einfach deutlich aussprechen: Diese Ferne, diese Trennung von der übrigen Gemeinde ist immer selbst gewählt und der eigene Wille derer, die sich getrennt haben. Und mir scheint der Mangel an Interesse kein hinreichender Grund, diese Ferne von den anderen Menschen zu erklären. Und selbst die Erfahrung, einmal von Mitgliedern der Ge- meinde ungerecht behandelt oder zurückgestoßen worden zu sein, kann sicher keine Begründung dafür sein, nun ein Leben lang ohne die Gemeinschaft und Hilfe der anderen seinen Weg zu gehen. (Manchmal ist es ja so, dass die Personen, die einmal der Anlass für unsere Abkehr von der Ge- meinde waren, schon lange nicht mehr leben - wir aber tragen den Groll über sie immer noch im Herzen und machen keinen neuen Anfang!) Liebe Gemeinde, heute ist der 1. Advent. Wir gehen in ein neues Jahr unserer Kirche. Uns ist also ein neuer Anfang gesetzt. Wie schön wäre das, wenn uns dieser Advent auch zu einem Beginn im Beherzigen dieser Botschaft würde, die uns der Schreiber des Hebräerbriefs heute nahe bringen wollte: „Lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen in vollkommenem Glauben, besprengt in unsern Herzen und los von dem bösen Gewissen und gewaschen am Leib mit reinem Wasser. Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken; denn er ist treu, der sie verheißen hat; und lasst uns aufeinander achthaben und uns anreizen zur Liebe und zu guten Werken und nicht verlassen unsre Versammlungen ...“ AMEN