Predigt zum 12. So. nach „Trinitatis“ - 26.8.2007 Textlesung: Mk. 8, 22 - 26 Und sie kamen nach Betsaida. Und sie brachten zu ihm einen Blinden und baten ihn, dass er ihn anrühre. Und er nahm den Blinden bei der Hand und führte ihn hinaus vor das Dorf, tat Speichel auf seine Augen, legte seine Hände auf ihn und fragte ihn: Siehst du etwas? Und er sah auf und sprach: Ich sehe die Menschen, als sähe ich Bäume umhergehen. Danach legte er abermals die Hände auf seine Augen. Da sah er deutlich und wurde wieder zurechtgebracht, so dass er alles scharf sehen konnte. Und er schickte ihn heim und sprach: Geh nicht hinein in das Dorf! Liebe Gemeinde! Eine ganz „gewöhnliche“ Heilungsgeschichte, die uns hier erzählt wird!? Man könnte es meinen. Beim genaueren Hinhören aber entdecken wir den kleinen aber wichtigen Unterschied. Achten sie einmal auf diese beiden Verse: Jesus „legte seine Hände auf ihn und fragte ihn: Siehst du etwas? Und er sah auf und sprach: Ich sehe die Menschen, als sähe ich Bäume umhergehen. Danach legte er abermals die Hände auf seine Augen.“ Bei keiner anderen Heilung, die uns von Jesus erzählt wird, ist das so, dass er zwei Versuche ma- chen muss, den Kranken oder Behinderten zu heilen. Sonst klappt das sozusagen immer auf Anhieb. Nun könnten wir darüber ja leicht hinweg gehen: Nicht so wichtig. Am Ende sieht der Blinde ja doch - und sogar „scharf“, wie wir hören. Sicher ist das gut und wesentlich - besonders für den Geheilten! - dass er am Schluss als Sehender heimgehen kann. Aber dennoch: Der Evangelist Markus wird sich schon etwas dabei gedacht haben, wenn er uns die zwei Versuche, die hier die Heilung kostet, nicht verschweigt - und darüber zu schweigen hätte doch nahe gelegen, denn eigentlich ist das ja dem Ansehen Jesu nicht besonders zuträglich! Warum aber erzählt er uns doch davon? Wir machen einen großen Sprung in unsere Zeit: Eine Frau sitzt mit ihrem 10-jährigen Sohn im Wartezimmer eines Herzspezialisten. Sie spricht gerade mit einer anderen Frau, die ihre kleine Tochter auf dem Schoß sitzen hat: „Wir sind jahrelang von einem Arzt zum anderen gezogen. Keiner konnte uns sagen, was mein Martin hat. Erst hier bei Dr. Meier haben wir Hilfe gefunden. Er hat Martin operiert. Es war ein angeborener Herzfehler. Jetzt ist alles in Ordnung mit dem Kind. Ich bin so froh und dankbar! Hier sind sie bestimmt auch mit ihrem Töchterchen richtig!“ Und noch eine andere Szene aus unseren Tagen: Der Großvater ist mit seiner18-jährigen Enkelin am frischen Grab der Oma. Sie ist vor drei Wochen gestorben. Nachdem die beiden die verwelkten Blumensträuße fortgebracht und die noch ansehnlichen Kränze auf dem Grabhügel neu geordnet haben, fragt die junge Frau: „Du vermisst Oma wohl sehr?“ Und der Opa antwortet nach einer Weile des Nachdenkens: „Ja, ich vermisse sie. Auf der anderen Seite aber weiß ich ja, wo sie jetzt ist ... sein darf.“ - „Du meinst, du wirst sie wiedersehen?“ - „Ja, ich bin ganz sicher.“ Und nachdem der Großvater im Gesicht seiner Enkelin gesehen hat, dass sie gern noch etwas fragen würde, sich aber nicht traut, fügt er hinzu: „Du musst nicht denken, ich wäre mein Leben lang ein solcher Glaubensheld gewesen. Ich bin eigentlich nicht fromm oder wie man das sonst nennt. Wenn ich heute weiß, wo wir nach dem Tod hingehen, dann war das nicht meine Erkenntnis oder gar mein Verdienst. Da hat immer wieder ein anderer an mir gearbeitet, der hat mich nie losgelassen oder gar aufgegeben. Und irgendwann war er mit mir am Ziel ... und heute glaube ich, nein, weiß ich, dass nach dem Tod das Leben wartet. Mir ist nicht bange um Oma - und um mich selbst auch nicht.“ Liebe Gemeinde, wir kehren jetzt zurück zur Heilung des Blinden, wie sie uns Markus berichtet. Und wir verstehen jetzt vielleicht besser, was uns seine Geschichte sagen möchte: Das ist nicht ein- fach, dass ein Mensch, der blind war, sehend wird. Das geht nicht im Nu. Vielleicht dauert das eine ganze Weile. Vielleicht sind mehrere Versuche nötig. Selbst Jesus konnte ihm nicht auf Anhieb die Augen öffnen. Und wir haben das ja inzwischen auch erkannt, dass es hier durchaus nicht nur um die blinden Augen geht. Es gibt auch eine Blindheit des Herzens, der Seele ... Oder sagen wir: Man sieht auch nicht richtig und nennt das auch Blindsein, wenn der Glaube fehlt. Und dass es hier so gemeint ist, sagt uns Markus auch ganz klar am Schluss der Geschichte: „Da sah er deutlich und wurde wieder zurechtgebracht, so dass er alles scharf sehen konnte.“ Immer ging und geht es Jesus ja darum, Menschen „zurechtzubringen“, sie auf den richtigen, den Weg zu Gott zu führen. Auf di- esem Weg erst sehen wir die Dinge, die Menschen und das Ziel des Lebens „deutlich“ und „scharf“. Aber wir wollen die Sache mit der Heilung des Blinden noch in den Zusammenhang einbetten, in den sie Markus in seinem Evangelium gestellt hat. Unmittelbar bevor er von dem Blinden erzählt, steht der Satz: „Er sprach zu ihnen: Begreift ihr denn noch nicht?“ Gemeint ist die Verstocktheit der Jünger, die gerade erlebt hatten, wie Jesus 4000 Menschen mit sieben Broten und ein paar Fis- chen satt gemacht hat. Aber ganz kurz nach diesem Wunder machen sie sich schon wieder Gedan- ken darüber, ob sie unterwegs mit nur einem einzigen Brot in der Tasche genug zu essen haben werden. Dabei geht Jesus doch mit ihnen, bei dem keiner hungrig bleibt - weder am Leib noch an der Seele. - Auch bei den Jüngern war es, wie wir sehen, für Jesus schwierig, ihre Augen zu öffnen, ihren Glauben zu wecken oder zu stärken. Und das wird gleich nach dieser Geschichte von der Hei- lung des Blinden noch einmal selbst mit Petrus genau so sein: Jesus fragt ihn, wofür ihn die Leute denn halten. Und Petrus kann ihm auch dienen: Sie sagen du wärest „Johannes der Täufer; einige sagen, du seist Elia; andere, du seist einer der Propheten.“ Auch auf die persönliche Frage: Wer meint ihr, meine Jünger denn, wer ich sei?, antwortet er noch so, dass Jesus sich an ihm freuen kann: „Du bist der Christus!“ Als der Meister ihm nun aber ankündigt, dass er „viel leiden und verworfen werden muss von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen“, da zeigt Petrus, dass er noch lange nicht so weit ist, seinen Herrn wirklich zu verstehen, denn der Jünger nimmt seinen Herrn „beiseite und fängt an, ihm zu wehren“. Und wie zur Bestätigung, dass es wohl auch mit Petrus und seinem Glauben noch ein hartes Stück Arbeit sein wird, kommt das harte Urteil Jesu: „Geh weg von mir, Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.“ - Von hier aus betrachtet ist es mit dem Blinden in unserer heutigen Geschichte ja geradezu schnell und leicht gegangen! Liebe Gemeinde, halten wir das fest: Wie es im persönlichen Leben und in dem unserer Familie oft lange braucht, bis wir den richtige Arzt finden oder den rechten Umgang mit der eigenen Krankheit oder der unseres Kindes, mit unserem Schicksal, unserer Trauer und unserem Leid, so ist es auch im Glauben an Jesus Christus und im Vertrauen zu unserem himmlischen Vater: Es dauert oft lange, manchmal Jahre und Jahrzehnte, bis wir gefunden haben, bis wir erkannt haben, was uns hilft, trägt, hält und rettet. Im Glauben allerdings - und das ist anders als wenn wir den rechten Heilungsweg oder den richtigen Operateur für einen Herzfehler suchen - arbeitet Gott an uns. Er macht an uns seine „Versuche“ - und oft viel mehr als zwei - dass er uns die Augen auftut und wir sehend werden. Und wir halten ihn dabei manchmal lange Zeit auf, weisen ihn ab, lassen ihn nicht an unserer Seite gehen und nehmen nichts von seiner Weisung und seinem Willen an. Und oft genug ist es das Alter und der Abschied von der Welt, der uns dem Wort Gottes und seinern Mühen um uns wieder öffnet, so dass wir sehen ... glauben ... hoffen ... So ernst und fast traurig das nun auch klingt, ist es nicht auch sehr tröstlich, wenn wir wissen dürfen, dass die Heilung zum Glauben nicht immer sofort und ohne Schwierigkeiten vor sich geht. Dass sie vielmehr oft lange Zeit braucht, viele Jahre, viele Versuche Gottes, unsere Augen für seine Sache aufzutun und zu schärfen? Wie auch immer nun unsere eigene Sache oder die Sache unserer Lieben mit Gott stehen mag, wir dürfen gewiss sein, Gott hat sein Werk an uns oder ihnen angefangen und er will es vollenden. Wir müssen also - was uns selbst oder andere angeht - niemals die Hoffnung aufgeben, dass sie noch zum Glauben und zu Gott finden, also „deutlich und scharf sehen“ lernen. Jesus „legte seine Hände auf ihn und fragte ihn: Siehst du etwas? Und er sah auf und sprach: Ich sehe die Menschen, als sähe ich Bäume umhergehen. Danach legte er abermals die Hände auf seine Augen. Da sah er deutlich und wurde wieder zurechtgebracht, so dass er alles scharf sehen konnte.“ AMEN