Predigt am Sonntag „Rogate“ - 13.5.2007 Liebe Gemeinde! Ein wenig ungewöhnlich ist das heute schon mit dem Predigttext: Den ersten Teil lese ich jetzt gleich. Darüber wollen wir dann auch nachdenken. Den zweiten Teil werden wir gemeinsam am Ende dieses Gottesdienstes sprechen. Wenn sie wissen, dass der Name dieses Sonntags „Rogate“ uns zuruft: „Betet“, dann können sie sich denken, was ich da meine ... Ja, es ist das Vaterunser. Hören wir also den ersten Teil des Predigttextes aus dem Evangelium des Matthäus, genau: aus der Bergpredigt: „Über das Beten.“ Textlesung: Mt. 6,(5-6) 7-13 (14-15) Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, damit sie von den Leuten gesehen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten. Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. (Darum sollt ihr so beten: Es folgt das „Vaterunser“.) Diese Worte Jesu kann man in vier Gedanken zusammenfassen: 1. Im Gebet sollen wir nicht unsere Frömmigkeit zur Schau stellen. 2. Wir sollen, wenn wir beten, nicht viele Worte machen. 3. Es gibt „Vergeltung“ unseres Betens, also einen Lohn dafür. 4. Unser himmlischer Vater weiß noch bevor wir die Hände falten, was wir wirklich brauchen. Liebe Gemeinde, wenn wir da einmal mit dem vierten Gedanken anfangen ... Dann könnten wir schon ins Zweifeln kommen, ob es eigentlich nötig ist zu beten: Wenn unser Vater doch schon alles weiß, was wir ihn bitten. Und wenn er auch noch weiß, wessen wir bedürftig sind? Hat unser Gebet dann noch einen Sinn? Doch, wir können schon so fragen! Auch wenn es hier um so etwas wichtiges, ja, heiliges geht, wie das Beten. Wenn es so ist, dann kann der Sinn des Gebets keinesfalls mehr sein, Gott irgend etwas mitzuteilen, was er durch uns erst erfahren müsste. Er weiß es schon lange. Also: Warum es ihm noch sagen? Und wenn er uns dann doch „nur“ das gibt, was wir nach seinem Plan und nach dem, wie er uns kennt, wirklich nötig haben - wirklich: dann gibt es ja überhaupt keinen Grund mehr, ihm betend vorzutragen, was unsere Wünsche wären! - Andererseits: Ist das Gebet denn nur eine „Einbahnstraße“? Sprechen da nur wir? Ist es ein Ruf ins Leere oder kommt nicht auch etwas zu- rück, wenn wir beten? Ich habe das oft schon selbst erlebt und von anderen gehört: Du vertraust Gott deine Wünsche an, deine Sehnsucht, deine Hoffnung und deine Bitten um Genesung oder Befreiung von Leid und Traurigkeit ... Und während du noch sprichst, spürst du: Wie ist mein Wunsch eigentlich doch so unbedeutend. Vielleicht kommt dir auch beim Beten in den Sinn - gerade wenn du deine Krankheit ansprichst! - wie krank doch dein Nachbar ist oder wie behindert der Kollege, der neulich einen Schlaganfall erlitten hat. Gewiss können wir da auch fragen: Ist das denn die Stimme Gottes, die sich so „hören“ lässt? Sind das denn nicht nur meine eigenen Gedanken? Fragen wir lieber, wozu uns das denn führt, wenn wir diese Gedanken haben: Wir werden beschei- den und merken: Wie gut geht es uns doch noch, wenn wir uns mit anderen vergleichen! Wie dank- bar kann ich doch sein, dass mein Leid nur so klein ist. Hat ein Gebet, das mich dazu bringt zu er- kennen, wie unbedeutend meine Bitten eigentlich sind, nicht einen guten Sinn: Geht es uns danach nicht wirklich besser, weil wir erfahren durften, was wir eigentlich haben und wie wenig darüber hinaus wir noch brauchen? Es gibt einen Lohn des Betens? - Vielleicht haben wir das ja zuerst so verstanden, dass Gott die Zahl oder die Innigkeit unserer Gebete mit Taten der Vergeltung, Geschenken seiner Güte verrech- net? Am Ende dachten wir gar, wir würden wohl einmal drüben in Gottes neuer Welt den Lohn empfangen, den unser Beten hier wert war? Aber wenn wir noch einmal daran denken, wie hilfreich es doch schon sein kann, während des Gebets zu erkennen, wie gut es uns eigentlich geht, wie viele Gründe zum Danken wir haben, wie schön unser Leben ist, wenn wir auf das so vieler anderer Menschen blicken ... Ist das nicht Belohnung genug? Sind wir da nicht - durch jedes Händefalten neu - reich geworden und ausgestattet mit einem der größten Geschenke, die Gott uns geben kann: Zufriedenheit!? Wenn wir nun schon bei unserer Betrachtung von Jesu Worten über das Beten rückwärts vorgehen, dann wollen wir jetzt dabei bleiben. Der zweite Punkt war: Wir sollen nicht plappern wie die Hei- den. Nicht die Länge unseres Gebets macht es, sondern ... Ja, was ist das, was unser Gespräch mit Gott zu einem rechten Gebet werden lässt? Ist es das, was ich vorhin „Innigkeit“ genannt habe? Dass wir also ganz „drin“ sind, konzentriert sind bei unserem Beten? - Ich muss zugeben, ich bin oft so ermüdet von einem langen, harten Tag, dass ich mich abends dann gar nicht mehr sammeln kann und den roten Faden meines Gebets ver- liere. Das geht ihnen gewiss auch manchmal so. Dann kann ich meinen Dank und meine Bitten auch gar nicht so gut in Worte fassen und ich denke, dass es dann fast unverschämt ist, meinen himmlischen Vater mit solchem unausgegorenen Zeug zu belasten. Andererseits wissen wir nun aber auch, dass Gott das Herz ansieht und auch aus unserem Gestammel noch heraushören kann, was wir wollen und noch gewisser das, was wir wirklich brauchen. Darum nehmen wir es doch ruhig wörtlich: Nicht viele Worte machen! Das kommt uns doch entgegen, wenn wir es schwer haben, unser Gebet verständlich und klar vor Gott zu bringen! Da muss ich noch an die Kinder denken, unsere Kinder und ihre Kinder und wie wir mit ihnen die ersten kleinen Gebete hergesagt haben: „Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm!“ Oder vielleicht: „Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als Jesus al- lein!“ Das sind nun wirklich keine besonders geschliffenen Gebete! Auch können die Kinder selbst ihren Inhalt zuerst sicher gar nicht begreifen: Was ist denn „fromm“? Wo ist der „Himmel“? Und Jesus kennen die Kleinen auch erst später richtig, wenn sie ihn als den Christus kennen gelernt ha- ben. Und trotzdem: Wir spüren, dass diese Gebete gut sind und dass es wichtig ist, dass wir sie mit unseren Kindern sprechen und einüben. Und ich glaube, hier kommen wir dem auf die Spur, was christliches Beten ausmacht und wo der Unterschied dazu liegt, nur zu plappern wie die Heiden. Es ist das „Vertrauen“ zum Vater, das hier gelernt wird. Es ist weniger wichtig, was wir beten. We- sentlich ist, dass wir es tun! Haben wir das nicht auch immer wieder am Bett unserer Kinder ge- spürt, wie sie beim Beten ruhig geworden sind, wie sie auf einmal geborgen waren bei dem, der un- ser Vater ist und wie sie getragen vom Vertrauen, dass ihnen nichts Böses geschehen kann, dann eingeschlafen sind? Oft reicht die Macht dieser Kindergebete, die das Vertrauen zum Vater im Himmel ins Herz der Kinder pflanzen, ein ganzes Leben lang. Wer früh Geborgenheit bei Gott er- fahren hat, kann sie sich auch in schweren Lebenslagen bewahren und so durch dunkle Zeiten hin- durch kommen. Zum Schluss denken wir nun noch über diese Weisung Jesu nach: Wir sollen beim Beten nicht un- sere Frömmigkeit zur Schau stellen. Und hier werden wir ganz gewiss sagen, dass sich das doch von selbst versteht! Und wirklich: An den „Straßenecken“, wie es hier heißt, werden wir nicht ste- hen und beten! Davor haben wir nun doch eine gewisse Scheu. Aber trotzdem liegt hier etwas dar- in, was wir beherzigen sollten. Ich denke da an Konfirmationsgottesdienste oder Beerdigungen, zu denen sich ja oft Menschen „verirren“, die sonst wenig Gottesdienst- und Gebetserfahrung haben. Wenn sich diese religiös Unerfahrenen dann mit der Liturgie nicht auskennen, an den bestimmten Stellen nicht aufstehen, das Glaubensbekenntnis oder das Vaterunser nicht mitsprechen können und sich bei diesen gottesdienstlichen Stücken dann vielleicht unsicher nach links und rechts umschauen ... Haben wir da nicht auch schon gedacht: Was sind diese Leute doch so arm - und wie können wir die Liturgie doch gut mitmachen und alles, was dazu gehört, wie am Schnürchen aufsagen! Und vielleicht haben wir dann beim Gebet des Herrn doch den Kopf gehoben und die Augenbrauen hochgezogen ... und die Stimme wurde dann auch etwas lauter, dass sie es nur sehen und hören ... dass wir dazu gehören, drin sind in diesen Dingen, Gott näher sind ... Dabei hätten wir eigentlich nur stiller, dankbarer und bescheidener werden müssen: Dass Gott uns die Gabe, beten zu können, schon so früh geschenkt hat, weil unsere Eltern es mit uns geübt haben. Dass wir so die vielen guten Erfahrungen mit dem Beten machen durften. Dass wir diese Beziehung zu Gott haben und daraus immer wieder so viel Trost und Kraft ziehen können. Und was wissen wir auf der anderen Seite denn von denen, die nicht beten, und es nicht können. Kennen wir ihre Lebensgeschichte? Dürfen wir urteilen, wenn ihnen das Geschenk des Betens nicht zuteil geworden ist? Und wissen wir denn, wie der Weg ist, den Gott mit diesen Menschen noch gehen will und wohin er sie noch führt? Wir wissen das genau so wenig, wie das, was uns noch bevorsteht und durch welche dunklen Zeiten wir noch hindurch müssen und wie wir uns darin bewähren. Liebe Gemeinde! Wir wollen im Gebet nicht unsere Frömmigkeit zur Schau stellen. Wir wollen, wenn wir beten, nicht viele Worte machen. Wir dürfen gewiss sein, es gibt „Vergeltung“ unseres Betens, also einen Lohn dafür. Wir haben ihn oft im Vertrauen zum Vater und in der Geborgenheit bei ihm erfahren. Unser himmlischer Vater weiß noch bevor wir die Hände falten, was wir wirklich brauchen. Dennoch will er das Beten haben - und uns schenkt es, dass wir erkennen, wie gut es uns doch geht und wie dankbar wir sein dürfen. Ja, wir wollen dankbar sein, dass wir beten können! AMEN