Predigt am Sonntag „Kantate“ - 6.5.2007 Textlesung: Jes. 12, 1 - 6 Zu der Zeit wirst du sagen: Ich danke dir, HERR, dass du bist zornig gewesen über mich und dein Zorn sich gewendet hat und du mich tröstest. Siehe, Gott ist mein Heil, ich bin sicher und fürchte mich nicht; denn Gott der HERR ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil. Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Heilsbrunnen. Und ihr werdet sagen zu der Zeit: Danket dem HERRN, rufet an seinen Namen! Machet kund unter den Völkern sein Tun, verkündiget, wie sein Name so hoch ist! Lobsinget dem HERRN, denn er hat sich herrlich bewiesen. Solches sei kund in allen Landen! Jauchze und rühme, du Tochter Zion; denn der Heilige Israels ist groß bei dir! Liebe Gemeinde! „Zu der Zeit wirst du sagen: Ich danke dir, HERR, dass du bist zornig gewesen über mich ...“ So beginnen diese Verse. Gesprochen sind diese Worte, als das Volk Israel noch in der Verbannung im Land der Assyrer gewesen ist. Das war so um das Jahr 700 vor Christus. Der Prophet behauptet nun, dass die Menschen, die in ferner Zukunft wieder heimkehren dürfen in ihre Heimat, dankbar sein werden, dass sie Gottes Zorn spüren mussten. Sie werden also Gott sogar noch danken, dass er sie bestraft hat und - wie es hier heißt - sein „Zorn sich gewendet und er sie getröstet hat.“ Und mit diesem Gedanken, dieser Zumutung wollen wir uns jetzt unserer Zeit, unseren Erfahrungen mit Gott und dem zuwenden, wie wir das sehen: Können wir Gott wirklich auch für seinen Zorn, seine Strafe dankbar sein? Würden wir auch so reden können: „Siehe, Gott ist mein Heil, ich bin sicher und fürchte mich nicht; denn Gott der HERR ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil.“ Mir sind einige Menschen in den Sinn gekommen, von denen ich sagen würde: Ja, sie haben Gottes Zorn fühlen müssen. Wohlgemerkt: Sie haben wirklich Gott im Hintergrund ihres Geschicks gese- hen - nicht einfach nur unglückliche Umstände oder blinden Zufall. Sie haben also, was sie erleben mussten, als Zorn Gottes, als die ihnen für ihr Verhalten zugedachte Strafe aufgefasst. Genau so, wie auch die Israeliten in der Verbannung, zu denen der Prophet spricht. Zwei von diesen Menschen aus unseren Tagen möchte ich jetzt einmal zu Wort kommen lassen. Nicht, dass sie das wirklich so gesagt hätten, wie ich das jetzt hier sage, aber soweit ich sie kenne, hätten sie ihre Erfahrungen mit solchen Worten beschreiben können. Der erste ist ein Mann, der vom Schicksal in den letzten Jahren sehr gebeutelt worden ist. Er würde vielleicht so zu uns sprechen: Ich weiß, dass ich mich Jahre, ja, Jahrzehnte meines Lebens nie um Gott geschert habe. Ich habe das gedacht, was ich denken wollte, das getan, was mir richtig erschien und nur nach dem Nutzen gefragt, den eine Sache für mich haben konnte - und nicht für die anderen Menschen. Und doch war Gott immer im Hintergrund meines Lebens. Immer wieder habe ich die Stimme meines Gewissens gehört - seine Stimme. Immer wieder aber habe ich sie zum Schweigen gebracht oder nicht auf sie geachtet. Lange ging das gut. Dann folgte die Strafe: Ein Unglück nach dem anderen kam über mich, privat in der Familie, aber auch geschäftlich. Mir ist wirklich sehr viel kaputt gegangen, heute bin ich ganz unten. Ich weiß, dass Gott mir das geschickt hat. Und ich kann nur sagen, dass ich es wohl verdient habe. Aber ich wüsste jetzt auch gern, wie es weiter gehen, wie ich weiter leben soll, weiter leben kann ... Die zweite ist eine Frau, die jetzt nach einer längeren Zeit der Krankheit auf dem Weg der Besse- rung ist. Sie würde vielleicht so von sich erzählen: Es gibt da eine Sache ... vor Jahren ... Da habe ich mich falsch verhalten. Gegen meine innere Stimme habe ich etwas wirklich Schlimmes getan. Ich habe damals große Schuld auf mich geladen. Ich weiß das. Und als ich dann krank wurde, wusste ich: Das war wegen dieser Schuld über mich gekommen. Gewiss, viele meiner Freunde haben anders gedacht und mir einreden wollen: Das ist ein Zufall, das hätte auch jeden anderen treffen können. Und die Gläubigen unter ihnen haben gesagt: „So ist Gott doch nicht! Er ist doch die Liebe!“ Aber ich wusste es genau, dass ER mir das geschickt hatte, weil er zornig über mich war und mich bestrafen wollte. Jetzt bin ich zwar auf dem Weg zur Genesung, ich weiß aber doch noch nicht genau, ob auch mein Verhältnis zu Gott wieder gut werden kann, so wie es früher einmal war ... Liebe Gemeinde, noch einmal ganz deutlich: Nicht ich will diesen Menschen ihre Schuld einreden und dass Gott sie bestrafen wollte. Das tun sie selbst und ich denke, uns ist solch ein Denken auch nicht so ganz fremd. Aber wie kommt man da wieder heraus? Wie kann nach den Erfahrungen einer solchen Zeit, auch wieder Freude und Dankbarkeit und ein vertrauensvoller Glaube zu Gott entstehen? Wie werden wieder Gedanken und Worte möglich, wie wir sie bei Jesaja lesen?: „Und ihr werdet sagen zu der Zeit: Danket dem HERRN, rufet an seinen Namen! Machet kund unter den Völkern sein Tun, verkündiget, wie sein Name so hoch ist! Lobsinget dem HERRN, denn er hat sich herrlich bewiesen.“ Die zwei Menschen, von denen ich erzählt habe, sind eigentlich auf einem guten Weg! Ich weiß wohl, es ist gerade in evangelischen Kreisen verpönt, von Strafe Gottes zu reden. Manche evangeli- sche Christen haben ja sogar schon Probleme, Sünde und Schuld in ihrem und dem Leben der ande- ren Menschen zu sehen. „Gott ist ein liebender Vater“, sagen sie vielleicht. Oder: „Seit unser Herr ans Kreuz ging, müssen wir unsere Schuld nicht mehr büßen.“ Beides stimmt - und es stimmt auch nicht. Gewiss ist Gott unser Vater. Und er liebt uns auch. Aber warum sollte unser Vater uns nicht auch mit seiner strafenden Hand treffen? - Allerdings nicht um uns zu zerstören, sondern um uns zurecht zu bringen. Und gewiss ist unser Herr für uns ans Kreuz gegangen. Aber deshalb ist doch die Sünde nicht aus der Welt. Und sie ist auch nicht aus unserem Leben verschwunden. - Wenn wir an Jesus Christus glauben und dass er für unsere Schuld am Kreuz gestorben ist, dann werden wir aber nicht den „Lohn“ der Sünde, den Tod empfangen, sondern die Auferstehung und das Leben! Aber zurück zu den beiden Menschen, deren Schicksal wir betrachtet haben: Sie wissen von Sünde und Schuld. Und sie wissen auch davon, dass Gott strafen kann und will. Alles, was sie jetzt noch wissen müssen, ist dies: Er straft, weil er der Vater ist und weil er sie liebt. Er will sie eben nicht in Unglück und Krankheit lassen, sondern hindurchführen zu einem neuen, guten Leben in seiner Nä- he. Und da, wo die beiden in ihrem Leben jetzt stehen, sind sie Gott schon viel näher als vor ihrem Unglück, vor ihrer Krankheit! Das Schwere ihres Lebens hat sie eben nicht von Gott getrennt! Denken wir doch nur, sie hätten ihr Geschick nicht als Strafe des Vaters annehmen können oder hätten wie ihre Freunde gedacht und eingestimmt in deren Rede: „Das kann doch nicht von Gott kommen, Gott ist doch die Liebe!“ Sie wären wohl unter ihrem schweren Schicksal zerbrochen, denn der Glaube an einen nur lieben Gott kann Krankheit und Unglück nicht deuten und nicht ver- arbeiten. Und wenn dieser Glaube in solchen Zeiten ist, wird ihm die Hoffnung ausgehen. Das Ja zur Schuld und zur Strafe aber ist der Beginn eines guten Weges an der Hand Gottes. Dieses Ja kann auch in dunkler Zeit den Glauben festhalten und weiß oder ahnt doch wenigstens, dass die dunklen Wegstrecken nicht das letzte sein werden, was der Vater für sie bereithält. Noch einmal zurück zu den beiden, deren Beispiel ich erzählt habe: Sie stehen heute genau an dieser Stelle. Sie wissen, dass nicht ein blinder Zufall ihnen die schwere Zeit geschickt hat, sondern dass es Gottes Hand, sein guter Wille war. Und heute ahnen sie auch schon, dass es jetzt nur noch aufwärts gehen kann - zum Licht und in einen besseren Abschnitt ihres Lebens. Ich würde diesen Menschen heute gern die feste Zuversicht vermitteln, dass es wirklich so ist! Gott wollte euch und er will uns alle nie zerstören oder so weit bringen, dass wir unseren Weg nicht mehr weiter gehen wollen oder können. Er meint es gut mit uns. Er ist der Vater, der seine Kinder - manchmal eben auch mit Strafe - auf den Pfad leiten will, der zu seinem, also zu einem guten Ziel führt. Wenn wir solche Erfahrungen machen mussten - oder sagen wir jetzt besser: durften - dann können wir vielleicht hinterher auch so sprechen: Ich danke dir, HERR, dass du bist zornig gewesen über mich und dein Zorn sich gewendet hat und du mich tröstest. Siehe, Gott ist mein Heil, ich bin sicher und fürchte mich nicht; denn Gott der HERR ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil. AMEN