Predigt zum Sonntag „Laetare“ - 18.3.2007 Textlesung: Jh. 6, 47 - 51 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer glaubt, der hat das ewige Leben. Ich bin das Brot des Le- bens. Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, damit, wer davon isst, nicht sterbe. Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. Und dieses Brot ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt. Liebe Gemeinde! Etwas stört mich an diesem Abschnitt aus dem Johannesevangelium. Und das stört mich schon lange und es stört mich bei vielen anderen Texten aus den Passionsgeschichten der anderen Evangelien auch. Er ist so wenig aufregend, dieser Abschnitt. Es geht um Leiden und Tod, es geht darum, dass Jesus „sein Fleisch geben wird für das Leben der Welt“. Aber das kommt hier wie überall so gefällig und in so schön gesetzter Sprache daher. Man kann sich eigentlich gar nicht darüber aufregen und daran stoßen. Das aber - so glaube ich fest - müssten wir, um das wieder einmal oder vielleicht zum ersten Mal zu begreifen, was im Leiden und Sterben Jesu für uns und die Welt wirklich geschieht. Dahin will uns ein Bild führen, das ich ihnen (... vorhin in die Hand gegeben habe / jetzt kurz beschreiben möchte): Dieses Bild ist für mich ein Passionsbild. Gewiss, wir sehen kein Kreuz, kein Marterwerkzeug und wir werden auch nicht Zeugen großen Leids. Trotzdem: Ein Passionsbild! Und nicht weil da ein Kind geschlagen wird! Und auch nicht, weil da - wie am Kreuzweg unseres Herrn - Zuschauer un- beteiligt am Rand stehen: Im Fenster links neben dem prügelnden Arm. Der Bezug zum Leiden liegt in den Personen: Der Mutter und ihrem Kind. Wer die Frau ist, ahnen wir, wenn wir den Heiligenschein über ihrem Kopf erkennen: Maria. Ist das Kind also Jesus, ihr Sohn? - Er ist's. Wir können jetzt vielleicht begreifen, warum dieses Bild zeit- weise nicht öffentlich gezeigt werden durfte. Auch dass es bis heute bei manchen Menschen Empö- rung auslöst, können wir glauben! Aber warum eigentlich? Weil Maria, die stille, feine Gottesmut- ter, sich zum Prügeln hinreißen lässt? Weil sie ihr Kind - dieses Kind - versohlt? Weil mit dieser Darstellung Maria und Jesus ins Menschliche „herabgezogen“ werden? Weil hier eine Frau die Erziehung ihres Kindes in die eigenen Hände nimmt und sie nicht Josef oder dem himmlischen Va- ter überlässt? Ich weiß es auch nicht. Aber ich vermute, von allem ist ein wenig beteiligt, wenn sich die Leute vor diesem Bild empören. Beim einen mehr dies, beim anderen das. Ich denke, am meis- ten stört uns alle, dass hier die Mitglieder der göttlichen Familie so gar nicht göttlich erscheinen: Maria verhaut Jesus! Das ist wirklich anstößig. Da geht es ja zu wie unter uns Menschen! Ist denn dieses Kind ein Kind wie jedes andere? Ist diese Mutter denn wie die Mütter sonst, hat sie Gefühle, kennt sie etwa Zorn und Wut, Ärger und Ängste? Ich glaube, das hat der Maler gewollt: Die heilige Familie einmal ihres himmlischen Glanzes ent- kleiden! Sie herunterziehen ins Menschliche! Sie auf die Erde holen, wo wir leben, wo die Men- schen lieben und leiden. Dazu bedient er sich dieser empörenden Szene. Das soll uns schockieren an diesem Bild. Und das ist unmissverständlich zusammengefasst in einem kleinen Detail rechts unten im Bild: Da liegt der Heiligenschein des Gottessohns, herunter gefallen von seinem göttlichen Kopf, der jetzt ganz menschlich aussieht. Aber was will uns der Maler sagen? Ich möchte ihnen jetzt weitergeben, was er mir gesagt hat. Mehr kann ich nicht, denn ich weiß nicht, was der Künstler ausdrücken wollte. Aber das Bild spricht ja eine deutliche Sprache! Mir geht an diesem Bild auf, dass diese Maria eine richtige Frau war und auch eine Mutter aus Fleisch und Blut, nicht die Säulenheilige, zu der sie die Kirche schon bald gemacht hat! Sie hat be- stimmt zu Hause die Wäsche gewaschen und das Essen gekocht! Sie war ihrem Josef die Geliebte und ihren Kindern die Erzieherin. Ja, sie haben richtig gehört: „Kinder“ ... Mindestens fünf Jungen und zwei Mädchen hat sie gehabt; so steht es in der Bibel. Wir reden allerdings meist nur über den einen Sohn. Das ist verständlich. Aber warum soll Jesus in seinen ersten Jahren nicht auch ein Kind wie andere gewesen sein? Stört das unser Bild von ihm, wenn er vielleicht Streiche ausgeheckt hat, wenn er seine Mama auch einmal geärgert oder wütend gemacht hat? Darf unser Heiland als Kind nicht im Sand gespielt oder einen Topf zerschlagen haben? Ich möchte vor diesem Bild erkennen, was genau genommen auch die Weihnachtsgeschichte verdeutlichen will: Gott ist Mensch gewor- den, Kind in einer ganz normalen Familie, ein kleiner Junge mit Eltern, mit Vater und Mutter. Ver- stehen wir jetzt, warum uns der Heiligenschein über der Krippe immer so seltsam anmutet? Da passt er einfach nicht hin, noch nicht! „Heiland“ wird dieses Kind später erst, und nicht weil das so eine außergewöhnliche Familie gewesen wäre, in die er hineingeboren wurde! Und nicht weil er doch schon immer ein bisschen über der Menschenwelt geschwebt hätte! Sondern ein für alle Mal, weil er ganz hineingegangen ist in unser Leben, weil er sich nichts erspart hat, was diese Welt hart und hässlich macht und weil er ganz und gar einer von uns geworden ist. Ein Mensch aus einer be- stimmten Weltzeit, mit einer Herkunft, einer Familie, Freunden ... eben alles, was zu einem Men- schen gehört, einem richtigen Menschen. Aber warum ist dieses Bild ein „Passionsbild“? Liebe Gemeinde, hier geschieht genau das, was ich mir von den wirklichen Bildern zur Passion auch wünsche: Dass sie uns auch schockieren! Dass wir uns empören über alle menschlichen Dar- stellungen des Leidens, in die Jesus herabgezogen wird. Wir müssten auch von den Szenen um Leid und Tod unseres Herrn vergleichbare Bilder haben: Vielleicht eines davon, wie Maria den Haupt- mann der Soldaten mit Fäusten bearbeitet, als er ihren Sohn ans Kreuz nageln lässt. Vielleicht eines, auf dem die Menge am Rande der Leidensstraße auf Jesu Heiligenschein herumtrampelt. Oder ein Bild, auf dem wir das namenlose Entsetzen im Gesicht des Menschensohns selbst lesen, kurz bevor die römischen Folterknechte die Hämmer und Nägel ergreifen. - Aber solche Bilder gibt es nicht. Ich kenne jedenfalls keins. Immer geht es in den Leidensszenen so still zu, so göttlich fern und entrückt. Da kann ich keinen Schweiß riechen und kein Blut. Ich höre keine Schreie der Ver- zweiflung und keine Hammerschläge. Ich sehe nicht die verzerrten Züge und das böse Grinsen der Soldaten. Es sind so geräuschlose Bilder, ohne Geruch und grelle Farben, ohne Anstoß, der unseren Widerstand oder unser Entsetzen erregt. Das ist hier - bei der Züchtigung des Gottessohns - anders: Da klatscht die Hand Marias auf Rücken und Hinterteil des Kindes. Da klirrt der Heiligenschein zu Boden. Da gibt der nackte Po Jesu einen empörenden Anblick. Da springt einem die ganze Szene förmlich ins Gesicht mit ihrer Ungeheuerlichkeit ... Aber so muss es sein! Das muss ich begreifen: Kind ist er geworden, mein Herr und Heiland. Ein richtiger Mensch. Seine Mutter hat sich um ihn gesorgt und hat ihn lieb gehabt. Geweint hat sie, wenn er sich die Knie aufgeschlagen hat. Und sie musste ihn auch hin und wieder übers Knie legen. Weil er ein Kind war wie andere! Und als er dann ein Mann war, lief er auch nicht mit einem himmlischen Glanz um den Kopf herum! Bei den Ärmsten war sein Aufenthalt. Bei den Aussätzigen, die mit Schwären und Eiter bedeckt waren. Zu den Außenseitern hat er sich immer gestellt. Die Sünder hat er besucht und mit den Zöllnern und Dirnen Tischgemeinschaft gehalten. Weil er ein Mensch war, mit Gefühl, mit Angst und Mitleid, mit Liebe und Trauer ... Und seine Mutter hat das sicher nicht gern gesehen: Was gibst du dich mit diesem Gesindel ab! Warum kannst du nicht etwas normales werden - wie dein Vater Josef? Muss es „Wanderprediger“ sein? Du bringst uns in Verruf! Wir sind immer eine unbescholtene Familie gewesen! Siehst du nicht, wohin das führt? Die werden dich noch ergreifen und dir ans Leben gehen, das ahne ich! Ich hab' Angst um dich! - Ob es nicht eben diese Angst war, warum Maria hier ihren Sohn verhaut? Und schließlich kommt es ja so, wie die Mutter befürchtet: Die religiösen Führer lassen Jesus ge- fangen nehmen. Am Ende steht ein Kreuz auf einem Hügel. Aber eben nicht so still! Nicht so fern und entrückt! Nicht so göttlich ergeben und selbstverständlich, weil es ja doch sein Auftrag war .., Nein, so nicht! Da ist wirklich ein Mensch von den Häschern gepackt worden! Das Herz wollte ihm stehen bleiben!: Die ergreifen mich, die führen mich ab, jetzt ist es zu spät zum Weglaufen! „Vater, wenn’s möglich ist, so lass diesen Kelch an mir vorübergehen!“ Aber, es ist nicht mehr möglich! Ich muß den Kelch trinken. Gottes Wille wird an mir geschehen, weh mir! Und dann zerren sie ihn und treten ihn. Dann reißen sie ihm die Kleider vom Leib und drücken ihm die Dornen in die Kopfhaut. Und er schreit laut. Die Angst wird so groß. Der Schrecken. Geifer und Speichel in den Fratzen der Folterer. Die Peitsche saust hernieder. Sie haben ihr grausames Spiel mit ihm. Und er weint und schreit. Und er möchte weglaufen und kann es nicht mehr. Ein Mensch, ein richtiger Mensch. Und dann schleppt er sein Kreuz hinauf auf den Hügel. Und er bricht zusammen, mehrere Male. Nicht weil es so sein soll. Nicht weil so Simon von Kyrene seinen geplanten Auftritt bekommt. Hier geht es nicht mehr nach Plan. Hier ist ein einziges Durcheinander von Angst und Entsetzen, von Gedränge und Gewalt, von Schmerz und Schwäche, von Schweiß und Tränen. Und dann zerren sie ihn zu Boden, reißen ihm die Arme auseinander und treiben mit lauten Schlägen die Nägel durch die Hände und Füße. Klaffende Wunden, Blut, Geschrei. Dann richten sie das Kreuz auf und der Körper gehorcht der Schwerkraft. Da hängt ein Mensch, ein wirklicher Mensch. - Und eine Frau windet sich am Boden, jammert laut ... es zerreißt ihr das Herz, ein glühendes Schwert geht ihr durch die Seele. Sie ist eine Mutter, eine richtige Mutter. Solche Bilder von der Passion gibt es nicht. Darum habe ich ihnen heute dieses Bild in die Hand gegeben. - Unser Heiland war ein Mensch, als er für uns gelitten hat, ohne Heiligenschein, aber mit Schmerzen und Angst. Und seine Mutter war auch eine ganz normale Frau mit Gefühlen und Äng- sten. Wir erkennen es auf diesem anstößigen Bild, das zwei Menschen zeigt - mitten in der Zeit, mitten in dieser Welt, mitten im menschlichen Leben ... Und der Mann, der aus diesem Kind wer- den wird, ist es, der in Schmerzen und Tränen, in Anfechtung und Ängsten, in Leiden und Sterben als ein richtiger Mensch „sein Fleisch geben wird für das Leben der Welt“. AMEN __________________________________________________________________ Bild: Max Ernst, „The Virgin Spanking the Christ Child before Three Witnesses“ - in Postkar- tengröße hier: http://pulp.bluecircus.net/archives/005683.html