Predigt zur Christvesper/Christmette - 24.12.2006 Textlesung: Jh. 1,14 (Spruch zum Christfest): Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit. Liebe Gemeinde! „Das Wort ward Fleisch ...“ Wie von selbst denken wir da doch an die Weihnachtsgeschichte. Denn gibt es ein Stück aus der Bibel, das bekannter wäre? Fast auswendig könnten wir's hersagen! „Es begab sich aber zu der Zeit ...“ So wurde das Wort damals Fleisch. Und heute? Sie müsste einmal neu erzählt werden, diese uralte Geschichte. Für unsere Zeit. Ja, heute müsste das spielen, in diesen Tagen, in dieser Welt. Das Wort müsste sozusagen bei uns heute Fleisch werden. In unserer Nähe. - Und warum eigentlich nicht? Ich will's einmal versuchen. Ehrlich und ohne zu beschönigen. Aber ich fürchte, es wird eine Zumutung: Es begab sich aber zu der Zeit, dass am Heiligen Abend in einem Dorf (einer Stadt) irgendwo in Deutschland eine größere Menschenmenge zusammenströmte. Wie ein Sog war das, was an diesem Abend vom Gotteshaus inmitten des Ortes (jedes Stadtviertels) ausging - denn dort fand man sich heute ein, für viele war es seit 12 Monaten wieder das erste Mal, dass sie ihre Kirche betraten. Aber heute wollte man dabei sein. Man wollte den Christ-abend begehen, freute sich auf die Feier im fes- tlichen Rahmen, auf die Lichter am Baum und die aus der Kindheit vertraute innige Musik und die schönen alten Lieder. Und der Kirchendiener schätzte die Zahl der Kirchenbesucher - und es waren wieder mehr als 300 (....)! Denn fast jedermann ging, dass er sich schätzen ließe. Die eine ihre neue Frisur und wie gut sie doch ausschaute für ihr Alter, der andere seine eigene fromme Stimmung, ein dritter seine bloße Anwesenheit an diesem Abend. Unter ihnen waren auch Maria und Josef und suchten einen Platz, wo das Kindlein geboren werden konnte, denn Maria war schwanger. Aber die Menschen in der Kirche wussten es nicht, sahen es auch nicht und - wenn sie ganz ehrlich waren - es interessierte sie auch nicht sehr, denn sie waren dabei, sich auf die Feier einzustellen und außerdem gab es wichtigere Leute in der Kirche, denen man zunickte oder zuwinkte. Hier war kein Raun für die beiden, schon gar kein Platz für eine Ge- burt. Aber weil Gott auf dieser Erde sich trotz aller menschlicher Hindernisse einen Raum schaffen will, auch heute noch, wurde das Kind doch geboren. Nicht im Lichtglanz der strahlenden Kirche, son- dern irgendwo draußen: Vielleicht unter dem Dach einer Bushaltestelle, vielleicht in einem Hause- ingang oder einem Gartenhäuschen vor dem Ort. Und es waren auch an diesem Abend einige auf den Straßen und Gassen des Dorfes (der Stadt): Ein paar Jugendliche, die es in der heimischen Weihnachtsstube nicht mehr ausgehalten hatten, ein Ar- beitsloser, den unter dem Christbaum die Angst vor der ungewissen Zukunft überfallen hatte, ein paar Alleinstehende, denen es zu Hause an diesem Abend noch einsamer war als sonst. Zu denen und noch anderen trat an diesem Abend der Engel und sprach: Euch ist heute der Heiland geboren. Euch besonders! Er hat in der Welt so wenig Ansehen wie ihr, darum kommt er zuerst zu euch und zu den Menschen, die im Schatten leben und mit der Welt und mit sich selbst nicht zurecht kom- men. Denn die Tüchtigen und Erfolgreichen verstehen nicht, dass die Welt ihn braucht, dass sie Liebe und Barmherzigkeit nötig hat wie Brot. Die Tüchtigen, die Erfolgreichen sind blind und taub von dem, was sie in der Welt darstellen, was sie alles können und haben. Ihr aber werdet es besser verstehen, was Menschen wirklich brauchen, dass sie heil werden an ihrer Seele. Gehet hin und fin- det die göttliche Barmherzigkeit. Aber wir wollen das ganz realistisch sehen: Die Menschen auf den Straßen und Gassen sind nicht gleich losgegangen. Nein, sie haben den Gottesboten gefragt: Wo ist denn die Menge der himmlischen Heerscharen, die deine Worte beglaubigt? Wo ist denn das Singen, wo ist denn der Glanz aus der Höhe? Und der Engel hat geantwortet: Die Beglaubigung seid ihr selbst! Ihr seid jetzt die Gottesboten, ihr Menschen am Rande. Ihr tragt keine Flügel und ihr braucht auch keine. Ihr habt göttlichen Glanz um euch herum, aber den sehen nur erleuchtete Augen. Ihr müsst auch nicht sin- gen und jubeln. Durch euer bloßes Dasein schreit ihr schon so laut, dass es das ganze Dorf (die ganze Stadt) hören müsste - wenn sich die Menschen die Ohren nicht mit Wichtigkeiten verstop- ften, wenn sie sich nicht Feierlichkeit und Lametta vor die Augen hängen. Was ihr mit stummem Mund sagt, ist nichts anderes als das, was die Engel in jener ersten Heiligen Nacht sangen: Die Ehre gehört Gott allein und nicht den Menschen. Und Friede beginnt auf der Erde da, wo die Menschen sich Gottes Liebe gefallen lassen und sie an andere Menschen weiterreichen und Gott so die Ehre geben. Und es waren Menschen in der Christvesper, die gingen nach Hause zu ihrer Bescherung und ihren Weingläsern und sagten: Es war wieder eine recht stimmungsvolle Feier. Oder: Dies oder jenes war voriges Jahr aber schöner. Für all diese Menschen blieb alles beim Alten. Es waren aber auch einige unter ihnen, die ließen es sich von neuem sagen, dass sie und alle Menschen in ihrem Leben nichts nötiger brauchen als Liebe - im Nehmen und im Geben! Und sie begriffen, dass das Zeichen jener Nacht, das Kind in der Krippe, ja gar nichts anderes sagen will als dies: Gott wird Mensch wie wir, weil er uns lieb hat. Gott zeigt uns in seinem Kind seine Liebe, dass wir sie nun an die weitergeben, die Liebe nötig haben. Und als ihnen das aufging, wurden ihnen auch die Augen aufgetan. Während sie von der Kirche nach Hause gingen, durchdrangen ihre Augen das Dunkel und sie entdeckten die Schwestern und Brüder, die um sie herum im Schatten lebten und sie sahen über ihren Köpfen den Schein der göt- tlichen Liebe, die sie umgab. Da entdeckten sie auch, dass es nicht nur Arme an Geld und Besitz sind, die im Schatten leben. Sie erkannten dass dieses im Finstern sein keine Frage des Eigentums allein ist oder wie viel einer an Rücklagen hat, sondern vielmehr der Liebe und der Aufmerksam- keit, die ein Mensch erfährt. Und da tauchte nun als sie so dahingingen für den einen das Gesicht seines Ehepartners aus dem Dunkel auf, in das er lange nicht mehr wirklich aufmerksam hinein ge- sehen hatte. Eine andere sah deutlicher als sonst ihre heranwachsenden Kinder, ein Dritter erinnerte sich seiner Kollegen und Freunde, denen es nicht so gut ging. Eine Vierte bekam miteinmal Augen für den von vielen in ihrer Straße verachteten Nachbarn von nebenan ... Und da geschah das Wunder: Die Menschen, denen so die Augen aufgetan worden waren, sprachen wieder miteinander und nahmen sich wieder Zeit füreinander und sie vergaben, wo etwas zwischen ihnen stand, einer dem andern. So trugen sie ein wenig von dem Licht weiter, das sie selbst an die- sem Abend empfangen hatten. Und jetzt erst begann das Christfest für sie richtig. Jetzt hatten sie auch an der Krippe gestanden. Sie hatten die Liebe Gottes gesehen. Etwas von seinem Licht war auf ihr Gesicht gefallen und sie hatten es nicht für sich behalten, sondern weitergeschenkt. Für jeden von diesen Menschen begann an diesem Heiligen Abend eine neue Geschichte der Erfahrung mit der Liebe Gottes - im Nehmen und im Geben. Viel wäre noch darüber zu erzählen, aber in der Weihnachtsgeschichte lässt sich das alles nicht mehr unterbringen. Ich denke aber, wir können heute an dieser Stelle getrost einmal „Amen“ sagen. Denn „Amen“ heißt ja: Das werde wahr! Und wahr werden müsste das ja nachher, draußen ... in unserer eigenen Lebensgeschichte. Dort ist auch viel mehr Raum dafür, dass Gottes Wort, die wunderbare Botschaft dieses Abends, Fleisch wird und so wirklich bei uns bleibt und unter uns wohnt. AMEN