Predigt zum 2. Adventssonntag - 10.12.2006 Textlesung: Jes. 35, 3 - 10 Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Saget den verzagten Herzen: "Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen." Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dür- ren Lande. Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen. Und es wird dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen. Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kom- men mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie er- greifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. Liebe Gemeinde! „Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Gott kommt und wird euch helfen.“ Ach ja, jedes Mal im Advent heißt es so: Gott kommt zu euch. Er legt sich als Kind in eine Krippe. Bald wird der Heiland, der Erlöser geboren. - Und was ist dann für uns anders geworden? Wo hät- ten wir denn jemals Ermutigung erlebt, Stärkung, Trost, Hilfe bei den Lasten, den Sorgen, den Ängsten und Nöten unseres ganz persönlichen Lebens? Wann ist es uns denn in der Weihnachtszeit je nachhaltig leicht ums Herz geworden? Ja, vielleicht für Stunden einmal, bei der Bescherung unserer Kinder, wenn ihre Augen leuchteten vor Freude über die Geschenke, wenn wir uns im Schein des Lichterbaums an die eigene Kindheit erinnert haben ... Aber wie rasch war das immer vorbei. Wie bald hatte uns der Alltag wieder beim Wickel - und mit ihm all das Gewohnte, was uns bedrückt und beschwert. Vielleicht tut's ja schon gut, das einmal sagen zu dürfen: Wir schleppen da Lasten durch die Jahre, wir quälen uns ab mit persönlichen Bürden ... und eigentlich haben wir gar keine Hoffnung mehr. Wir glauben nicht mehr an Erlösung - jedenfalls nicht in diesem Leben. Traurig, das erkennen zu müssen, aber, ich denke, es ist auch ehrlich. Das heißt, so ganz haben wir die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass an Weihnachten etwas besonderes geschieht, ein neuer Anfang für uns möglich wird ... Wie geben wir uns doch den Vorbereitungen hin. Wie sehr erfüllt uns der Gedanke, dass an Weihnachten nur ja alles da ist, alles geplant und nichts vergessen wurde: Ist jeder mit einem Geschenk bedacht? Wann muss der Baum geschmückt werden? Sind die Plätz- chen gebacken - werden sie reichen? Ist der Braten für die Feiertage besorgt? Und was uns noch al- les beschäftigt - schon in den ersten Adventstagen! Schlägt sich da nicht doch Erwartung nieder, Hoffnung auf das Fest, der Wunsch, dass da vielleicht in diesem Jahr für dich und mich etwas passiert, an das wir kaum noch geglaubt hätten, vielleicht doch ein Stück ... Erlösung! - Aber wenn wir uns über diesen kleinen Funken Hoffnung in uns klar werden, dann spüren wir es auch: Das ist nicht der richtige Weg! So bereiten wir kein Weihnachten vor, das unsere Sehnsüchte stillt, so kommt keine Kraft, keine Hilfe, keine Erlösung für uns: Wer findet denn in diesen Tagen vor dem Fest noch die Stille, die er braucht, um sich selbst wirklich wahrzunehmen? Wem gelingt es denn noch - vor lauter Jagd nach Baum, Festbraten und Geschenken -, seine geheimsten Wün- sche tief im Herzen zu hören? Wer traut sich denn auch noch - angesichts all der künstlichen, auf- gesetzten Freude dieser Vorweihnachtszeit -, die eigene Freudlosigkeit einzugestehen? Man meint ja wirklich in dieser Zeit, man müsse sich eine fröhliche Miene auflegen und man habe sich einfach zu freuen - schließlich ist ja Weihnachten! Und wer verstellt sich nicht an Heiligabend, wer ver- sucht dann nicht zu strahlen wie die Kerzen am Baum und wer ist innerlich dann nicht eigentlich ausgebrannt und ohne den Glanz, den er sich vorzuspiegeln bemüht? Traurig, das alles erkennen zu müssen, aber ehrlich! Wir sind da in einen Weihnachtsrummel hi- nein geraten, vielleicht haben wir uns auch hineintreiben lassen, der lässt uns einfach nicht mehr zu uns selbst kommen. Wir bereiten das Fest vor - aber nicht unser Herz. Darum kann bei uns nichts geschehen. Darum kommt Gott im Kind Jesus bei uns nicht an. Darum bleiben wir schließlich leer und so, wie wir immer schon waren: Mit unserer Last, unseren Sorgen, unserer Angst. Darum geschieht für uns keine Erlösung. Wird es diesmal nicht wieder so sein? Hat es nicht schon wieder begonnen - in gewohnter Weise - mit Rummel, Hektik, Einkauf, Plänen, Zeitdruck, mit all den „ad- ventlichen“ Dingen und Gedanken, die uns kaputtmachen und vom Eigentlichen ablenken. Sind wir nicht vielleicht darum heute in die Kirche gekommen, um das diesmal noch herumzureißen, um dieses Jahr einmal nicht in den Sog eines Festes zu geraten, das nur aus Hetze, Schenkerei und Be- triebsamkeit besteht? Wir haben vorhin den Wochenspruch gehört. Der gibt uns einen wichtigen Hinweis, was wir jetzt im Advent tun können und wie Gott vielleicht doch in diesem Jahr bei uns ankommen kann: Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht. (Lk. 21,28) Wollen wir dieses Wort nicht einmal ganz wörtlich nehmen: Sehet auf ... Nehmt den Kopf einmal hoch, blickt nach oben, löst euch von all dem Kram, der euch in diesen Tagen beschäftigt: Die Geschenke kaufen, das Fest vorbereiten, das Essen für die Feiertage ... Schon kommt der Einwand: Aber ohne das geht's doch nicht! Ich kann doch nicht diesen oder jenen Verwandten nicht mehr beschenken! Wir dürfen doch nicht ohne Baum dastehen! Was wäre das denn für ein Fest ohne Gänsebraten? Alles sehr verständlich, gewiss! Aber man müsste doch entgegnen: Wenn diese Dinge uns Jahr für Jahr von unserer eigenen Vorbereitung abhalten, wenn sie uns zu all unseren Lebensnöten noch einmal mit Arbeit und Hetze belasten - dann wird es Zeit, endlich einmal neu über diese Dinge nachzudenken - und dann Entscheidungen zu treffen. Warum denn gleich im Kahlschlag alles abschaffen, was doch auch zur Weihnacht gehört? Aber das eine oder andere ist auch bei uns überflüssig und entbehrlich. Vielleicht zeigen diese Fragen die Richtung: Müssen es jedes Jahr die 12 Sorten Plätzchen sein, die ich backe? Könnten wir mit der Verwand- tschaft nicht einig werden, dass wir nur noch den Kindern etwas schenken? Wäre es nicht möglich, am Heiligen Abend dieses Mal ohne das aufwändige Abendessen auszukommen, das die Hausfrau stundenlang in der Küche aufhält? Könnten wir die Aufgaben der Festvorbereitung nicht innerhalb der Familie neu verteilen, dass nicht einer die Hauptlast tragen muss? Stellen sie ihre eigenen Fragen. Geben sie ihre Antworten. Lassen sie sich leiten von diesem Wort: Sehet auf, erhebet eure Häupter ... Kopf hoch!, löst euch einmal von alledem, was doch immer schon so war und von dem ihr meint, es müsse auch immer so bleiben. Nichts muss so sein, wie es ist. Alles kann anders werden. Wir können das rechte Maß finden, das richtige Verhältnis zwischen innerer Vorbereitung und bloßer Äußerlichkeit. Und das hat mit unserer Erlösung, mit der Erfül- lung unserer Weihnachtssehnsucht zu tun: Nur wer den Kopf und das Herz frei hat für das, was an diesem Fest wirklich geschieht, wird davon frei und froh werden. Ich muss schon - durch all das Lametta, durch Kerzenschimmer, Geschenkerummel und Festtagshetze - hindurchdringen ... bis zum Kind in der Krippe, bis zu dem Gott, der für mich herabsteigt aus dem weltenfernen Himmel und zu mir kommt und ein Mensch wird - wie ich. Da beginnt die Erlösung, da zieht Trost ein in unser Herz, da wird mir geholfen, da ist der Kern der Weihnacht. Das darf uns der Flitter und der Rummel nicht verdunkeln: Gott kommt zu uns. Er stärkt die müden Hände und macht fest die wan- kenden Knie! Er tröstet und hilft uns. Liebe Gemeinde! Das müssten wir dieses Jahr begreifen. Das müsste uns in den nächsten hek- tischen Wochen nicht mehr verloren gehen. Wir müssten die Zeit finden, uns für die Ankunft Got- tes bei uns zu bereiten. Das würde uns froh machen. Wirkliche Freude könnte unser Herz erfüllen - Vielleicht zum ersten Mal seit unseren Kindertagen. Ein Stück Erlösung für dich und mich könnte an diese Weihnachtsfest wahr werden! „Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Gott kommt und wird euch helfen.“ AMEN