Predigt zum Vorletzten Sonntag im Kirchenjahr - 19.11.2006 Textlesung: Offb. 2, 8 - 11 Und dem Engel der Gemeinde in Smyrna schreibe: Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war und ist lebendig geworden: Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut - du bist aber reich - und die Lästerung von denen, die sagen, sie seien Juden, und sind's nicht, sondern sind die Synagoge des Satans. Fürchte dich nicht vor dem, was du leiden wirst! Siehe, der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr versucht werdet, und ihr werdet in Bedrängnis sein zehn Tage. Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Wer überwindet, dem soll kein Leid geschehen von dem zweiten To- de. Liebe Gemeinde! Diese Verse enthalten eines der schönsten Worte des neuen Testaments. Es ist auch eines der am meisten „gebrauchten“, wenn wir an die Sprüche denken, über die z.B. bei der Beerdigung oder bei Konfirmationsjubiläen gepredigt wird. Ich bin auch ganz sicher, dass der eine oder die andere von uns hier diesen einen Vers bei irgend einer Gelegenheit gewidmet bekommen hat, oder es ist in un- serer Familie jemand, dessen Konfirmationsspruch das war. Aber von welchem Wort rede ich ei- gentlich? - Von diesem - und das haben sie sich gewiss schon gedacht: Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. Gerade weil dieser Vers so bekannt ist und mit seiner wohl gesetzten Botschaft alle anderen Verse, die wir eben gehört haben, verblassen lässt, will ich heute nicht über ihn sprechen, jedenfalls nicht in erster Linie. Da ist ein anderer Gedanke, ein Halbsatz eigentlich nur, der hat mich gleich beim ersten Lesen dieses Abschnitts aus dem Brief an die Gemeinde von Smyrna geradezu angesprun- gen. Ich meine diesen: Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut - du bist aber reich! Es ist der auferstandene Christus, der das ausrichten lässt. Und er will es denen sagen, die auch auferstehen sollen, aber noch in einem Leben sind und sein müssen, das reich an Lasten ist, schwer zu tragen oft, wenig froh, vielmehr mit viel Leid und Traurigkeit. Die Christen damals - das war so um das Jahr 100 nach Christi Geburt - waren wahrhaftig „bedrängt“: Den Glauben offen zu leben war gefährlich. Immer wieder war es zu Verfolgungen im römischen Reich gekommen. Man musste aufpassen, wem man offenbarte, dass man ein Christ, eine Christin war! Und in „Armut“ lebten die AnhängerInnen des Mannes aus Nazareth auch. Das lag an der frohen Botschaft von Jesus Christus selbst, die ja von Anfang an besonders die armen Leute angesprochen hatte. Die verstanden immer (bis heute!) am besten, wie befreiend Jesu Taten und seine Geschichten waren. Denken wir doch nur an die Mehrzahl der Jünger: Fischer und Tagelöhner waren sie. Oder denken wir an die Menschen, für die er sich eingesetzt hat: Die Sünder, die Kranken, die Ausgestoßenen der Gesellschaft, die Behinderten und Verachteten. Und erinnern wir uns an die, denen Jesus am Berg gepredigt hat: Nicht einmal ein wenig Proviant hatten sie sich leisten können. So musste Jesus sie speisen - mit fünf Broten und zwei Fischen - und sie wurden satt! Aber gerade solchen armen, bedrängten Leuten sagt der Seher Johannes im Auftrag des Herrn dies zu: Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut ... du bist aber reich! Und ich kann das nicht an- ders verstehen, als dass er damit sagen will: Es ist nur noch eine Zeit, die ihr das aushalten müsst! Einmal ist es für immer zu Ende mit der Macht eurer Bedränger, mit dem Hochmut derer, die auf euch herabsehen. Es kommt eine andere Zeit! Es beginnt eine andere Welt, in der ihr bei mir sein werdet und ohne Leid, ohne Schmerz und Tränen ewig leben sollt! Ich selbst, euer auferstandener Herr, werde euch dann die Krone des Lebens aufsetzen! Liebe Gemeinde, wir Christen dieser Tage sind es gewohnt, an dieser Stelle der Gedanken immer wieder das, was wir da hören, als bloße „Vertröstung“ zu verdächtigen. „Ja“, sagen wir, „das ist alles gut und schön, wenn man’s glauben kann.“ Und wenn man das kann, dann kriegt man von an- deren vorgehalten: „Du glaubst das ja nur, weil du hier so eine armes, bedrängtes Leben fristen musst. Du hast ja nichts zu verlieren! Wenn ich so schlecht dran wäre wie du, dann würde ich das auch glauben!“ Da wir jetzt schon in unsere Zeit hinübergesprungen sind, wollen wir da auch bleiben: Wirklich, auch unter uns Christen heute sind viele in Armut, bedrängt und bedrückt von Sorgen, Krankheit, Behinderung, Leid und Trauer. Es ist nicht zu leugnen, dass der Glaube der Christen immer wieder bei den Geringen und Erfolglosen, den vom Leben wenig Verwöhnten, denen mit kleinem Geldbeu- tel und nichts auf der hohen Kante fruchtbareren Boden gefunden hat, als bei den Betuchten, die sich um ihre Zukunft nicht sorgen müssen, die sich alles kaufen können, denen alles gelingt und die auf der Sonnenseite des Lebens wohnen. Was mich nun aber zunehmend, je mehr ich das erkenne, ärgert, ist dies: Dass wir uns auch noch sagen lassen müssen, wir fielen auf eine „Vertröstung“ herein! Und noch schlimmer ist es vielleicht, dass wir uns das schon selber sagen und uns das gar kein anderer mehr vorhalten muss! Aber gut, nehmen wir das Wort „Vertröstung“ einmal auf - aber von seinem ersten Sinn her: Ja, das ist ein Trost, wenn uns unser Herr verheißt, dass wir einmal bei ihm sein werden. Und ja, es ist ein Trost, wenn er uns die Krone des Lebens verspricht! Es ist tröstlich, sehr tröstlich sogar, wenn wir uns in Lebensverhältnissen aufreiben, die uns manchmal hart an unsere Grenze führen, wenn wir das wissen dürfen: Einmal ist das vorbei! Einmal wird Gott bei uns wohnen und wir bei ihm. Er wird alle Tränen abwischen von unseren Augen und der Tod wird nicht mehr sein, keine Angst mehr, keine Sorgen, kein Schmerz, kein Leid ... Warum aber soll das eine Ver-tröstung sein? Ver-tröstung will doch sagen: Weil es euch hier so schlecht geht, werdet ihr einmal belohnt. Weil ihr so arm und bedrängt seid, sollt ihr einmal den Reichtum, die Herrlichkeit und die Freude des Himmels gewinnen. Und schließlich soll es auch noch dies ausdrücken - und da liegt der schlimme Kern dieser Sache: Diese Ver-tröstung soll euch doch nur ruhigstellen. Ihr werdet damit doch nur zum Schweigen gebracht, dass ihr nicht aufmuckt und den Reichen und Mächtigen am Ende gefährlich werdet! Und ganz gewiss liegt auch dies darin: Das Versprechen eines neuen, besseren Lebens für euch ist doch bloß Täuschung! Es kommt nichts mehr nach dem Tod. Es gibt keinen Himmel, keine Zukunft, kein Leben über diese Welt hinaus! Das müsste uns nun eigentlich alle Hoffnung nehmen und zur Bedrückung und Armut unseres Le- bens noch als weitere Last die Frage hinzufügen: Und wenn wirklich nichts mehr kommt? Wenn mit dem Tod alles aus ist und unser Glaube umsonst war? Hören wir in unsere Fragen und Zweifel hinein noch einmal dieses Wort: Ich kenne deine Bedräng- nis und deine Armut - du bist aber reich! Vielleicht haben wir es vorhin gar nicht gemerkt, aber es heißt wirklich: Du bist reich! Kein Wort davon, dass uns die Herrlichkeit des Lebens mit unserem Herrn erst nach dem Tod blüht! Kein Gedanke daran, dass wir ruhig gestellt werden sollen mit der Aussicht auf eine bessere Zukunft in Gottes neuer Welt. Du bist reich! - Dann ist das ja wohl gar keine Ver-tröstung auf die Ewigkeit? Dann kommt der Lohn eines Lebens mit unserem Herrn wohl gar nicht erst „drüben“ im „Himmel“? Liebe Gemeinde, es ist die Hoffnung, die schon heute viel verändert. Wir sind hier arm und bedrängt - und doch auch schon in dieser Welt reich und geborgen in Gottes Liebe. Wir mögen krank sein am Leib oder unserer Seele - und sind doch in Ewigkeit schon genesen. Wir müssen uns mit einer Behinderung plagen - und haben sie hier und heute doch schon überwunden. Und das alles geschieht nicht nur in unseren Gedanken: Von diesem Wissen, dass uns Gottes Liebe heute und an jedem Tag umfängt, dass wir bei ihm schon heil sind und gesund, dass unser Herr unsere Sache mit Gott ins Reine gebracht, uns die Auferstehung von den Toten geschenkt und uns eine Wohnung in seiner neuen Welt bereitet hat, von allem, was wir sonst noch nach seiner Verheißung glauben und hoffen dürfen, geht schon heute eine große Kraft aus. Sie kann unser Leben gestalten. Sie kann uns gelassen und froh machen. Sie verändert schon hier die Herzen und heilt schon hier unsere Wunden. Und es gibt solche Menschen wirklich, die zwar geplagt sind allezeit - und doch fröhlich. Es gibt sie, die von Krankheit gezeichnet und von Behinderung belastet sind - und sie können sich doch anderen mit Hilfe und Rat zuwenden. Es gibt solche Menschen - wir können sol- che Menschen sein: Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut, sagt unser Herr, aber er fügt hinzu: du bist reich! Nein, wir werden nicht ver-tröstet! Unser Herr Jesus Christus ist unser Trost! Die Hoffnung auf ein besseres Leben in der Ewigkeit lässt uns nicht nach drüben schauen - sie verändert unser Herz hier und heute. Es ist „nur“ wie eine Zutat zu aller Liebe, die wir schon in dieser Welt empfangen, wenn uns der Herr verheißt: Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.