Predigt zum 12. Sonntag nach Trinitatis - 3.9.2006 Textlesung: Apg. 3, 1 - 10 Petrus aber und Johannes gingen hinauf in den Tempel um die neunte Stunde, zur Gebetszeit. Und es wurde ein Mann herbeigetragen, lahm von Mutterleibe; den setzte man täglich vor die Tür des Tempels, die da heißt die Schöne, damit er um Almosen bettelte bei denen, die in den Tempel gin- gen. Als er nun Petrus und Johannes sah, wie sie in den Tempel hineingehen wollten, bat er um ein Almosen. Petrus aber blickte ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns an! Und er sah sie an und wartete darauf, daß er etwas von ihnen empfinge. Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher! Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest, er sprang auf, konnte gehen und stehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott. Und es sah ihn alles Volk umhergehen und Gott loben. Sie er- kannten ihn auch, daß er es war, der vor der Schönen Tür des Tempels gesessen und um Almosen gebettelt hatte; und Verwunderung und Entsetzen erfüllte sie über das, was ihm widerfahren war. Liebe Gemeinde! Vielleicht sind ihnen meine Gedanken zu dieser Geschichte ja nicht gar so fremd ... Wenn ein Wunder, eine Heilung, wie sie hier geschieht, von Jesus erzählt wird, dann sage ich mir immer: Nun ja, Jesus ... der konnte das. Er hat ja auch aus Wasser Wein gemacht und sogar Tote aufer- weckt. Ihm gestehe ich diese Macht fraglos zu. Aber wenn - wie hier - berichtet wird, zwei Jünger einen Lahmen gesund machen, dann sieht das doch ganz anders aus ... mit dem Glauben oder besser: mit dem Zweifel. Denn ganz wie von selbst kommen wir dann doch zu uns und fragen uns: Warum können wir denn nicht auch solche Wunder tun? Was haben Petrus und Johannes uns denn voraus gehabt, dass sie heilen konnten - wir aber können das nicht? Und die Fragen gehen ja weiter, sind manchmal sehr bohrend und fast schmerzhaft: Ist unser Glaube wohl nicht stark genug? Haben wir nicht die Nähe zu Jesus Christus, die noch die Jünger hatten? Ist vielleicht diese Kraft des Heilens heute überhaupt erloschen, auch unter den Christen? Ich gestehe ihnen, dass ich hier auch nicht weiter komme. Das muss so stehen bleiben: Als Frage - unbantwortet, ungeklärt. Aber mir tut sich dann immer wieder ein ganz anderer Weg auf, der mich dann doch, wenn auch ganz anders, aber sehr überzeugend einer Antwort näher bringt: Ob die Wunder heute, die Zeichen, die wir tun können, du und ich, nicht einfach anders aussehen als zu Jesu und der Jünger Zeiten? Dabei fällt mir ein, was mir ein Pfarrer vor einiger Zeit erzählt hat: In einem Gottesdienst seiner Gemeinde hätte eine Frau gesessen, die er zwar kannte, aber in den 12 Jahren, die er schon in der Gemeinde Dienst tat, noch nie in der Kirche gesehen hatte. Schon während der Eingangsliturgie des Gottesdienstes hatte er den Eindruck, dass alle Texte, Gebete und Lesungen wie auf diese Frau zugeschnitten gewesen waren. Und dann erst die Predigt: Es kam ihm so vor, als hätte er - ohne zu wissen, dass diese Frau in die Kirche kommen würde - eine Ansprache verfasst, die ganz besonders sie ansprechen sollte. Ja, es war ihm, als hätte ihm beim Verfassen von Liturgie und Predigt ein Engel die Gedanken eingegeben und die Hand beim Schreiben geführt. Das Erstaunlichste und für ihn Wunderbarste aber war dies: Die Frau kam von diesem Sonntag an jede Woche zum Gottesdi- enst ihrer Gemeinde und besuchte auch den Frauen- und den Seniorenkreis. Hinterher erfuhr er von ihr selbst, dass der erste Gottesdienstbesuch (es war auch der erste seit ihrer Konfirmation) der Tag ihres 65. Geburtstags gewesen war. Die Frau wollte es einfach wieder einmal probieren mit Gott und der Kirche und er, der Pfarrer, war - so schien es ihm seitdem - das Werkzeug Gottes gewesen. Aber es gibt auch Beispiele dafür, dass wir noch mehr sind als Werkzeuge und Vermittler der Wunder: Ich denke da an die Lehrerin, die am Schuljahresbeginn zuerst über der Zusammensetzung ihrer neuen Klasse verzweifeln wollte: Es gab mindestens fünf Kinder mit hochgradigen psy- chischen Defekten, die immer wieder ihre Pläne und den so gut vorbereiteten Unterricht durchkreuzten bzw. störten. Wochenlang war ihr am Mittag zum Verzweifeln zumute. Wochenlang aber ging sie am Morgen mit neuer Kraft, neuem Elan, aber auch neuer Liebe gerade zu diesen schwierigen Kindern ans Werk. Ein halbes Schuljahr verging. Die anderen Klassenlehrer waren im Stoff schon wesentlich weiter als sie. Dabei hatten sie allerdings die Störer in ihren Klassen einfach abgeschrieben. Sie aber ließ nicht nach mit ihrer Mühe, auch die Kinder zu integrieren, die in an- deren Klassen längst den Anschluss verloren hätten. Und es gelang. Es hatte sehr viel Nerven und manche schlaflose Nacht gekostet. Aber in ihrer Klasse kamen alle mit, es entstand eine gute Ge- meinschaft, kein Kind musste das Schuljahr wiederholen. Die Lehrerin selbst würde es vielleicht nicht so sagen, aber es war ihre Liebe, ihre beharrliche Zuneigung gerade zu den schwachen SchülerInnen, die dieses Wunder ermöglicht hatte. Und schließlich geschehen heute sogar noch Heilungen, die nicht weniger zeichenhaft sind, als die, von denen wir in den Evangelien oder heute in der Apostelgeschichte lesen. Und es sind oft nicht die Ärzte, die sie vollbringen! Es braucht dazu auch kein Skalpell und keine Arznei, um sie zu be- wirken. Allerdings muss man eine etwas andere Sicht auf das haben, was wir „Krankheit“ nennen. Viele körperliche Gebrechen - die seelischen Störungen sowieso! - haben ihren Ursprung ja in Le- bensbedingungen, die uns beschweren und so belasten, dass wir mit unterschiedlichsten Leiden an Leib und Seele reagieren. Ich bin auch ganz sicher, dass wir solche Krankheiten alle schon selbst erlebt und vielleicht am eigenen Körper erfahren haben: In leichteren Fällen reagiert unsere Haut auf die Störungen unseres seelischen Gleichgewichts. Sie verändert sich, wird stumpf oder unrein. Bei größeren Belastungen oder ständigem Stress, dem wir ausgesetzt sind, bekommen wir Herz- rhythmusstörungen, unsere Leber oder der Darm entzündet sich, wir kriegen Rücken- oder Magen- beschwerden. Gewiss kann das so weit kommen, dass nur noch ein Arzt, Medikamente oder gar eine Operation helfen kann. Aber in vielen Fällen hilft es auch, wenn eben die Bedingungen des Lebens, die solche Krankheiten hervorgerufen haben, verändert werden. Es mag manchmal - wenn wir die sind, die an der Krankheit leiden - nicht möglich sein, diese Veränderung herbeizuführen. Der Chef zum Beispiel ist so hart und ungerecht und wir können es uns nicht leisten, unseren Job in der Firma zu gefährden ... Oder die Atmosphäre am Arbeitsplatz ist ungut, einer beobachtet den anderen und meldet kleinste Versäumnisse und Fehler nach oben ... Aber es gibt sehr wohl auch solche Fälle, da geht die belastende Situation von uns aus! Wir machen anderen das Leben schwer. Es ist unsere launische, unberechenbare Art, an der andere krank wer- den. Wir schaffen die Hektik, die anderen Beschwerden und Stress macht. Und das gibt es durchaus nicht nur im Betrieb, der Firma oder sonst an unserem Arbeitsplatz - das spielt genau so oft in der Familie, dem Verein oder in der Kirchengemeinde! Und dort können wir, als Jüngerinnen und Jünger unseres Herrn, heute Wunder tun und Heilungen erleben! Wie sagt Petrus zu dem Lahmen: „Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher!“ Es braucht wahrhaftig oft kein Geld und kein Gold dazu, dass Mitmenschen wieder „aufstehen“ und gesund werden! Es ist die Liebe „im Namen Jesu“, die sie aufrichtet. Es ist das selbstlose Bemühen um sie, das sie dem Leben zurückschenkt. Es ist das ehrliche Fragen nach ihnen und dem, was ihnen Kummer und Leid schafft, das sie wieder in Ordnung kommen lässt. „Und Petrus ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest, er sprang auf, konnte gehen und stehen.“ Die Art, wie wir die Menschen in unserer Umgebung „bei der rechten Hand ergreifen“, wird ganz unterschiedlich aussehen: Vielleicht stellen wir ein Verhalten bei uns ab, was ihnen Angst verursacht? Vielleicht versetzen wir uns in die Lage der anderen Menschen und tun etwas für sie, was ihnen Freude macht oder ihr Leben erleichtert? Vielleicht aber auch sprechen wir das lösende Wort der Vergebung, auf das sie schon so lange warten oder reichen die Hand zur Versöh- nung ... Ich bin jedenfalls ganz sicher, dass wir auch an Menschen in unserer Nähe Zeichen, Wunder und Heilungen sehen können! Liebe Gemeinde, wir müssen zugestehen, dass die Zeit Jesu und der Jünger doch anders war als un- sere Lebensjahre im 20. und 21. Jahrhundert. Die kurze Spanne um das Jahr 30, als Jesus und Petrus, Johannes und die anderen Jünger über diese Erde gingen, war - was die Geschichte Gottes mit uns Menschen angeht - sicher eine besondere Zeit. Damals hat sich in Leben, Leiden und Ster- ben unseres Herrn auch gewiss ganz Besonderes zugetragen. Das waren Jahre voller Heilser- eignisse, an denen sich ja auch für uns bis heute Leben oder Tod, Licht oder ewige Finsternis entscheiden. Wir müssen also nicht darüber staunen, dass es auch eine Zeit war, in denen die Wunder, die Verwandlungen, die Heilungen und Auferweckungen noch anders, häufiger und irgendwie spektakulärer geschehen sind als heute. Eins aber sollen wir nicht meinen: Dass wir nicht auch heute noch Zeichen, Wunder und Heilungen sehen und sogar an anderen Menschen vollbringen können. Solche Zeichen und Heilungen werden vielmehr genau in dem Maß geschehen, wie wir uns den Nächsten im Namen, im Geist und in der Liebe Jesu Christi zuwenden, so wie es Petrus und Johannes vor bald 2000 Jahren getan haben: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher! Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. So- gleich wurden seine Füße und Knöchel fest, er sprang auf, konnte gehen und stehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott.