Predigt zum 11. Sonntag nach Trinitatis - 27.8.2006 Textlesung: Gal. 2, 16 - 21 Doch weil wir wissen, daß der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gekommen, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird kein Mensch gerecht. Sollten wir aber, die wir durch Christus gerecht zu werden suchen, auch selbst als Sünder befunden werden - ist dann Christus ein Diener der Sünde? Das sei ferne! Denn wenn ich das, was ich abgebrochen habe, wieder aufbaue, dann mache ich mich selbst zu einem Übertreter. Denn ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt. Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben. Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes; denn wenn die Gerechtigkeit durch das Gesetz kommt, so ist Christus vergeblich gestorben. Liebe Gemeinde! Erst schien mir das ja ganz unbedeutend, dann aber habe ich darüber nachgedacht und jetzt weiß ich es: Das ist eine ganz wichtige Sache! - Wovon ich rede? Nun: Mir ist bei dem Wort: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“ eingefallen, dass derselbe Paulus im Römerbrief genau anders herum formuliert: „So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.“ Ist das vielleicht gleichgültig, ob wir in Christus oder er in uns lebt? Oder besteht da doch ein Unterschied? Nehme ich es mit diesen an sich unbedeutenden Gedanken zu genau? Vor allem: Gibt es in den Worten, die uns der Apostel heute zu bedenken vorlegt, nicht doch wichtigeres als diese Fragen? Wie gesagt: Für mich ist der Unterschied dieser zwei Sichtweisen wesentlich geworden und er ist wie der Schlüssel für das Verständnis aller Verse aus dem Galaterbrief, die wir heute vor dieser Predigt gehört haben! Lassen sie uns darum diese Fragen ein wenig vertiefen - sie werden sehen, alle anderen Gedanken werden auch nicht zu kurz kommen. So sagt Paulus im Römerbrief: „So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.“ Mal ganz einfach gedacht und gesprochen: Um in Christus „hineinzukommen“, um Teil von ihm zu werden bedarf es immer einer gewissen Mühe oder gar Anstrengung, die wir aufbringen müssen. Mit anderen Worten: Um der Verdammnis zu entgehen, müssen wir etwas tun, etwas leis- ten ... und da klingelt es doch in unseren evangelischen Ohren! Denn spätestens seit Martin Luther wissen wir, dass jede menschliche Leistung ausgeschlossen ist, wenn es um das Geschenk der Gnade Gottes in Jesus Christus geht! Und jetzt lesen wir noch einmal diesen Satz aus dem Römerbrief: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ Hier wird nichts, gar nichts von uns verlangt! Keine Mühe, keine Anstrengung, keine noch so kleine Leistung! Unser Herr macht sich auf zu uns und geht ein in uns. Er wird Teil unseres Charakters, unseres Wesens, unseres Leibs und unserer Seele. Er durchdringt unseren ganzen Menschen und verändert uns von Grund auf zu dem hin, der er schon ist und wir nach dem Willen unseres Vaters im Himmel sein sollen und sein können. - Ist das nicht wirklich ein völlig anderer Weg zum Glauben und zu einer guten Beziehung zu unserem Gott? Und jetzt kommen auch all die anderen Worte, die Paulus uns heute sagt, zur Geltung und zeigen ihren Sinn: „Der Mensch wird nicht durch Werke des Gesetzes gerecht, sondern durch den Glauben an Jesus Christus.“ Ja, so geht der Weg: Nicht durch unsere Werke, unser Verdienst wer- den wir gerecht vor Gott, sondern weil Jesus Christus selbst zu uns kommt, in uns eingeht und dort wirkt und schafft, bis wir so sind wie Gott uns haben möchte. Und auch das wird jetzt verständlich: „Sollten wir aber, die wir durch Christus gerecht zu werden suchen, auch selbst als Sünder befunden werden - ist dann Christus ein Diener der Sünde?“ Wenn Christus selbst uns aufsucht und verwandelt, dann bleibt es dabei: Es sind ja nicht unsere Werke, die nach Gerechtigkeit streben! Es ist der Herr, der sie uns bringt, in uns hineinbringt, sie dort einpflanzt ganz ohne unser Zutun und schon gar ohne unser Verdienst! Und auch diese Gedanken sehen wir jetzt in einem neuen Licht: „Denn ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt.“ Ist Christus erst in uns, dann ist das Gesetz für uns tot und genau so wir für das Gesetz. Dann werden wir nicht mehr neu damit anfangen, durch Werke und Taten unser Heil bei Gott machen zu wollen. Lebt er in uns, dann haben wir Anteil an seinem Sterben und auch an seiner Kreuzigung - und er ist dafür gestorben und ans Kreuz gegangen, dass er uns ein für allemal löst und befreit vom Gesetz und damit davon, uns Verdienste bei Gott zu sammeln und uns bei ihm lieb und wert machen zu müssen. Und schließlich ist jetzt auch der Schluss der heutigen Verse ganz klar: „Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben. Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes; denn wenn die Gerechtigkeit durch das Ge- setz kommt, so ist Christus vergeblich gestorben.“ Wenn Jesus Christus in uns ist, dann gibt es keinen Unterschied mehr, ob wir im Fleisch oder im Glauben leben. Er selbst sorgt dafür, dass mein ganzes Wesen, all mein Denken und Handeln, mein Fühlen und Reden verwandelt wird zu dem, wie ein erlöster Mensch, ein Kind Gottes redet, fühlt, denkt und handelt. Und wahrhaftig: Welcher Mensch könnte all das von sich werfen, für unwichtig und unwert halten und damit den Christus in ihm aus seinem Leib, seiner Seele, seinem ganzen Leben hinausweisen? Liebe Gemeinde, mir ist das durchaus bewusst, dass die Predigt bisher wenig plastisch war und es Mühe gemacht hat, ihr zu folgen. Aber einem tieftheologischen Text sind wir es schon auch schuldig, dass wir versuchen, seine theologischen Aussagen zu begreifen. Aber ich möchte jetzt noch ein paar Gedanken hinzufügen, die einen größeren Bezug zu unserem gelebten Leben als Christinnen und Christen haben und die vielleicht die eine oder andere Frage beantworten, die uns vorhin in den Sinn kam: Der Glaube an Gott, das Heil in Christus kommt also ganz ohne unser Schaffen und Treiben zu uns, ja, in uns hinein durch Jesus Christus? - Uns bleibt also wirklich gar nichts zu tun, um dabei mitzu- helfen und es zu fördern, dass unser Herr bei uns einziehen kann? So ist es! Nichts müssen, nichts können wir tun. Das war und ist das Geheimnis unseres evangelischen Glaubens. Und ich weiß wohl und mir geht es da gar nicht anders als ihnen, wir wollen doch gern dabei mitwirken, dass Christus in unser Herz kommt. Das nämlich ist kein Geheimnis, dass wir viele Dinge in unserem religiösen Leben darum tun, weil wir meinen wir könnten damit bei Gott etwas erreichen, uns wenigstens bei ihm liebenswert und wohlgefällig machen. Aber - ein für alle Mal - das können wir nicht! Christus allein schafft unser Heil bei Gott. Er allein macht uns der Liebe Gottes wert und dass wir unserem himmlischen Vater gefallen. Dass wir es aber wieder und wieder versuchen, uns bei Gott Achtung, Verdienste oder Liebe zu er- werben, hat sicher damit zu tun, wie diese Welt nun einmal ist: Was gibt es hier denn schon um- sonst? Unser täglich Brot muss erarbeitet werden. Die Anerkennung der Menschen müssen wir uns verdienen. Jede Leistung erfordert eine Gegenleistung. Und selbst die Liebe der Menschen fragt oft genug danach, ob wir dieser Liebe eigentlich (noch) würdig sind und ob die Investition solcher „Liebe“ in uns denn überhaupt etwas „bringt“. Wobei ganz deutlich wird, dass unseren zwischen- menschlichen Beziehungen heute oft etwas arg „Geschäftliches“ anhaftet. Gewiss gibt es andere Er- fahrungen! Aber sie sind, wenn wir es einmal ganz ehrlich und nüchtern betrachten, in den letzten Jahren eher die Ausnahme geworden. Jetzt könnten sich solche Worte: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ wie Vertröstung auf eine ferne Zukunft anhören und wir könnten sie als nicht von dieser Welt und abso- lut unrealistisch abtun. Oder aber wir lassen sie an und in uns wirken, ahnen erst und begreifen dann ihre wunderbare Botschaft: Christus ist in mir! Er ist lebendig! Er hat mich schon erlöst vom Gesetz der Welt. Seine Liebe in mir strahlt aus zu allen meinen Nächsten. Sie dürfen es an mir spüren, dass es neben dieser Welt und ihrem Gesetz auch die Liebe gibt, die selbstlos ist und sich verschenkt ohne Gegenleistung, die austeilt, ohne sammeln zu wollen, die nicht nach dem Eigenen fragt, sondern nach dem, was der Mitmensch braucht. Und haben wir erst einmal damit angefangen, Christus in uns den Raum zu geben, den seine Liebe braucht, dann wird uns bestärken, was wir an den anderen Menschen erleben: Sie freuen sich, werden angesteckt von unserer Liebe. Der Christus in uns öffnet sich auch ihr Herz, kommt auch zu ihnen, geht ein in sie, ist auch in ihnen, lebt in ih- nen ... Und in und durch sie setzt sich das fort. - Welche Freude auch für uns!