Predigt zum 2. Adventssonntag - 4.12.2005 Textlesung: Jes. 63,15-16,17-19.64,1-3 So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich. Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht. Du, Herr, bist unser Vater; "Unser Erlöser", das ist von alters her dein Name. Warum läßt du uns, Herr, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, daß wir dich nicht fürchten? Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind! Kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk vertrieben, unsre Widersacher haben dein Heiligtum zertreten. Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde. Ach daß du den Himmel zerrissest und führest herab, daß die Berge vor dir zerflössen, wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, daß dein Name kund würde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müßten, wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten - und führest herab, daß die Berge vor dir zerflössen - und das man von alters her nicht vernommen hat. Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn har- ren. Liebe Gemeinde! Vielleicht wird das ja beim ersten Hören nicht so deutlich, aber das sind sehr menschliche Worte, ja, sie sind fast kindlich: Wie das Gebet eines kleinen Mädchens oder wie ein Junge mit seinem Vater spricht, so kommen einem diese Verse vor, wenn man sie ein paar Mal liest. Was man dabei noch wissen muss: Das „Kind“, in diesem Fall das Volk Israel, ist in Not! Sein Land ist den Fein- den in die Hände gefallen. Viele Tausend Menschen sind umgekommen. Seine ehemalige Hauptstadt Jerusalem und der heilige Tempel Gottes liegt immer noch in Trümmern. Seit einigen Jahrzehnten leben sie als Verschleppte im fremden Land. Nur ein kleiner Rest des Volkes hat über- lebt. Die Sehnsucht nach Hause ist groß, aber wird es eine Heimkehr geben? - Hören wir diese Worte noch einmal vor diesem Hintergrund und übersetzen wir sie in eine Sprache, wie auch wir sie heute gebrauchen könnten: „So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich.“ Du, Gott, da oben im Himmel, hast es gut! Aber schaust du denn auch manchmal noch nach uns hier unten? Kannst du uns nicht mehr helfen oder willst du es nicht? Manchmal denke ich, du wärest ganz schön hart gegen uns. Dabei hast du uns doch einmal versprochen, gut zu uns zu sein und auf uns aufzupassen und uns zu beschützen! „Du, Herr, bist unser Vater; "Unser Erlöser", das ist von alters her dein Name. Warum läßt du uns, Herr, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, daß wir dich nicht fürchten?“ Es gab einmal andere Zeiten, o ja! Da warst du wirklich wie ein Vater zu uns. Aber jetzt!? Warum hast du zugelassen, dass wir ungehorsam waren? Hättest du uns nicht davor behüten müssen, dass wir dir nicht gehorchen? Ja, bist du nicht zu gütig gewesen? Du warst nicht streng genug, darum haben wir nicht auf dich gehört. Eigentlich bist du schuld, dass es uns heute so schlecht geht. „Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind ... unsre Wider- sacher haben dein Heiligtum zertreten. Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde.“ Gott, weißt du nicht mehr, wie es einmal war: Wie herzlich deine Beziehung zu unseren Vorfahren! Wie treu unsere Eltern gewesen und wie gut dein Verhältnis zu denen, die vor uns waren. Hast du alles vergessen? Dass wir deinen Namen tragen? Auch, dass du uns dein Erbe versprochen und einen Bund mit uns geschlossen hast? „Ach daß du den Himmel zerrissest und führest herab, daß die Berge vor dir zerflössen ..., daß dein Name kund würde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müßten, wenn du Furchtbares tust ...“ Zeige doch wieder, was du kannst und wie mächtig du bist! Bestrafe die, deren Hass sich gegen uns gewandt hat. Mach alles wieder so wie es früher war ... so als wäre nichts geschehen, als hätte es diese furchtbaren Jahre nie gegeben. „Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren.“ Du bist doch der Beste! Wir lieben dich doch und wir wollen doch auch wieder deine Kinder sein und du unser Vater. Du liebst uns doch auch und wirst uns wieder annehmen!? Du bist unsere ein- zige Hoffnung. Liebe Gemeinde, wie gesagt: Das ist ein wenig so, wie Kinder mit ihrem Vater sprechen. Aber ha- ben sie nicht doch auch sich selbst erkannt in diesen Gedanken und Worten? Geht es in unserer Be- ziehung zu Gott nicht auch manchmal so zu: Dass wir IHM vorwerfen, wenn es uns schlecht geht. Dass wir dann meinen, ER hätte uns abgeschrieben und schaue nicht mehr nach uns. Dass wir IHN dann erinnern, wie es früher, vielleicht in unserer Kindheit und Jugend, einmal war. Wie wir da an IHN geglaubt und IHM vertraut haben - wenn es dann ja auch zugegebenermaßen lange Jahre nicht so gewesen ist. Und wollen wir IHM dann nicht auch wieder ins Gedächtnis bringen, dass sein Ver- sprechen an uns - vielleicht in der Taufe oder der Konfirmation - doch für das ganze Leben gelten sollte. Schließlich ist uns auch die Schmeichelei ein gern eingesetztes Mittel, Gott wieder für uns zu gewinnen oder anders herum: uns bei ihm wieder lieb Kind zu machen: „Du bist ja doch unser treuer Halt, unsere einzige Hilfe, wenn die Welt und alle Menschen uns auch verlassen und ent- täuscht haben.“ Aber sicher fragen sie jetzt auch mit mir, ob ein solcher Umgang mit Gott, ob solche Worte an ihn eigentlich angemessen sind? Und auf einmal verstehen wir jetzt auch, warum diese Verse aus dem Jesaja-Buch uns gerade in dieser Zeit des Advents zu lesen und zu hören verordnet sind: Die vier Adventswochen sind uns ja - wie die Passionszeit vor Ostern - zur Buße und Besinnung gegeben, als Anstoß und Frage, ob wir eigentlich mit dem, was unser innerster Glaube, was für uns Halt und Mitte ist, auf dem richtigen Weg sind. Ob wir nicht Veränderung und Umkehr nötig haben und ob es nicht für uns dringend geboten wäre, unser Herz von allem zu reinigen, was zur Ankunft Gottes in unserer Welt nicht passt? - Und genau da treffen uns die Worte des Jesaja und ihre Übersetzung in unsere Zeit. Und sie wollen uns unserer falschen Gedanken überführen und zu einem anderen, neuen Denken einladen: Wenn uns das Leben so, wie es heute für uns ist, nicht gefällt, dann ist das zum größten Teil unser Werk und eben auch unsere Schuld! Nicht Gott hat uns verlassen! Das haben wir getan! Wir woll- ten doch frei sein, nicht gegängelt durch sein Wort und nicht gebunden an ihn durch unser Gebet. Er braucht unseren Hinweis nicht, wie es vor Jahren oder Jahrzehnten noch zwischen ihm und uns war. Nicht er hat die Beziehung zu uns abgebrochen oder doch abkühlen lassen. Wir haben uns an- dere Götter gesucht und angebetet: Das Geld, die Güter vielleicht, die Karriere oder eben auch die persönliche Freiheit, zu der sich für uns ein Gott und seine Gebote nicht zu reimen schien. Die Taufe und die Konfirmation als Gottes Segen und Versprechen an uns, war uns doch lange Zeit nicht mehr allzu viel wert. Was wir alles können und leisten, das war Gegenstand unseres Ver- trauens. Dabei haben wir oft ganz vergessen, von wem wir alle unsere Gaben und Fähigkeiten, ja, unser ganzes Leben geschenkt bekommen haben! Und da kann es wohl häufig auch bei uns so sein, dass wir heute zu Gott kommen und ihm Schmeicheleien sagen, ihn mit süßen Worten wieder um- stimmen und für uns einnehmen wollen: „Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren.“ Liebe Gemeinde, ich glaube zwar nicht, dass Gott für solche Reden, die doch nur zweckhaft sind, empfänglich ist. Aber ich weiß, dass er das Volk Israel vor 2 ½ Tausend Jahren nur kurze Zeit später wieder hat heimkehren lassen. Sie haben ihren Tempel wieder errichtet und ihre Stadt wieder aufgebaut. Sichtbar lag wieder Gottes Segen auf ihrem Land. Darum weiß ich auch und das sollen alle Menschen wissen, dass Gott auch für uns eine gute Zu- kunft will und bereit hält. Er vergilt uns nicht nach dem, was in unserem Leben früher einmal war. Seit Jesus Christus in dieser Welt war, fesselt uns keine Vergangenheit mehr, wie auch immer sie gewesen sein mag. Gott hat uns durch ihn zur Vergebung und einem Leben als seine Kinder befreit. Alles, was er von uns haben will, ist der feste Glaube daran, dass er unser Schicksal in der Hand hat und das Vertrauen darauf, dass er uns zu seinem Ziel führen will. Das tut er aber nicht gegen unser Wollen und indem er unsere Freiheit einschränkt: Wir müssen unser Ja dazu sagen. Wir müssen den Weg, manchmal ja nur ein paar Schritte, auf ihn zu gehen. Die Bibel nennt das Buße, Umkehr. Vielleicht denken wir heute Nachmittag im Schein der zwei Kerzen auf unserem Adventskranz einmal darüber nach, wo wir heute noch stehen und was uns eigentlich noch zurückhält, Gottes ausgestreckte Hand zu ergreifen und - wenigstens in Gedanken - einzustimmen in diese uralten Worte: „Du, Herr, bist unser Vater; "Unser Erlöser", das ist von alters her dein Name.“