Predigt zum 10. So. nach "Trinitatis" - 31.7.2005 Textlesung: Jh. 2, 13 - 22 Und das Passafest der Juden war nahe, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. Und er fand im Tempel die Händler, die Rinder, Schafe und Tauben verkauften, und die Wechsler, die da saßen. Und er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle zum Tempel hinaus samt den Schafen und Rindern und schüttete den Wechslern das Geld aus und stieß die Tische um und sprach zu denen, die die Tauben verkauften: Tragt das weg und macht nicht meines Vaters Haus zum Kaufhaus! Sei- ne Jünger aber dachten daran, daß geschrieben steht (Psalm 69,10): »Der Eifer um dein Haus wird mich fressen.« Da fingen die Juden an und sprachen zu ihm: Was zeigst du uns für ein Zeichen, daß du dies tun darfst? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Brecht diesen Tempel ab, und in drei Ta- gen will ich ihn aufrichten. Da sprachen die Juden: Dieser Tempel ist in sechsundvierzig Jahren erbaut worden, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten? Er aber redete von dem Tempel seines Leibes. Als er nun auferstanden war von den Toten, dachten seine Jünger daran, daß er dies gesagt hatte, und glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesagt hatte. Liebe Gemeinde! Es sind ja meist die Zeichen, die Wunder, mindestens aber die starken Worte einer Geschichte, die unsere Augen und Ohren besonders bannen. So bleibt nach dem Lesen der "Tempelreinigung" ge- wiss sehr deutlich haften, dass Jesus, der sanftmütige Heiland, hier wirklich eine Geißel in die Hand genommen hat, um die Wechsler und Taubenverkäufer aus dem Haus Gottes zu jagen. Diese Tat muss für ihn also schon sehr wichtig gewesen sein, wenn er dafür seinen guten Ruf als friedlie- bender Rabbi aufs Spiel setzt. Das zweite, das sich uns einprägt, ist dies: Jesus will den "Tempel", nachdem er abgerissen ist, "in drei Tagen wieder aufrichten". Ich bin bei meinen ersten Gedanken, was ich denn zu dieser Geschichte predigen soll, auch an die- sen Stellen "hängengeblieben". Dann aber ging mein Denken ganz andere Wege: Wie sehr ist doch diese Geschichte - wie so viele andere im Neuen Testament! - ein Zeugnis dafür, dass die Religion, die Sache Gottes und des Glaubens zur Zeit Jesu noch ihren Platz mitten im Leben hatte! Stellen sie sich doch einmal vor, eine Kirchengemeinde heute feierte ihr Kirchweihfest. Am Discoabend, der zu diesem Anlass für die Jugend angeboten wird, ginge plötzlich einer von den Besuchern zum Pult des Discjockeys und forderte alle auf, sofort das Festzelt (das DGH) zu verlassen, anderenfalls würde er sie mit der Peitsche vertreiben. Dazu sagte er noch: "Kirchweih ist der Geburtstag unserer Kirche - die aber interessiert euch doch gar nicht, denn kaum einer von euch war dort seit seiner Konfirmation je wieder zu sehen." Damit sie jetzt nicht denken, es ginge heute nur gegen die Jugend, will ich mein Beispiel noch auf den Kirmesabend übertragen, an dem sich die Älteren zum Tanz und zum Feiern treffen. Auch dort könnte ich mir den Mann mit der Peitsche vorstellen, wie er zum Mikrophon der Tanzkapelle geht, kaum dass die zu spielen begonnen hat und die Leute so anspricht: "Geht nach Hause, die Kirch- weih ist vorbei! Es interessiert euch doch gar nicht, dass unsere Kirche heute vor .... Jahren einge- weiht worden ist. Für euch ist doch nur das Vergnügen wichtig, das Trinken und die oberflächli- chen Gespräche um Politik und Wetter!" Wenn der Mann jetzt sogar noch Gebrauch von seiner Peitsche machte, dann wäre in der Lokalzeitung ganz bestimmt hinterher etwas über einen gemein- gefährlichen Spinner zu lesen, der in ............. die Kirmes gestört und randaliert hat. Es würde also durchaus nicht eine gewisse Beachtung des Vorfalls fehlen, aber keiner - weder der Zeitungsredak- teur noch ein Kirmesbesucher oder ein Vertreter der Veranstalter - käme wohl darüber ins Nach- denken, was der Randalierer im Grunde gemeint hat. Und keiner ginge gar so weit, dass er sich fragte, ob der Störer nicht vielleicht Recht hat mit seinen Vorwürfen. Das war damals anders: "Da fingen die Juden an und sprachen zu ihm: Was zeigst du uns für ein Zeichen, daß du dies tun darfst?" Es ist also keine Frage für sie, dass Wechsler und die Verkäufer der Opfertiere im Tempel eigentlich nichts verloren haben! Es wird Jesus sogar zugestanden, aus "Eifer für das Haus Gottes" sich darüber zu ärgern und zornig zu werden. Was sie ihn fragen geht in eine andere Richtung: Ob er denn auch die Vollmacht und die Berechtigung hat, seinem Ärger mit der Geißel in der Hand Luft zu machen. Dazu müsste Jesus erst ein Zeichen tun! Dazu muss er sich sozusagen von Gott her mit einem Wunder ausweisen. Dann - so können wir jetzt folgern - wäre al- les in Ordnung. Liebe Gemeinde, mich erschreckt, dass wir den Störer unserer Tage und sein tiefstes Anliegen gar nicht mehr ernst nehmen würden. Ja, wahrscheinlich hielten wir es nicht einmal für nötig, auch nur zu fragen, warum er auf die Idee gekommen ist, sich auf der Kirmes so zu benehmen. Und der Ge- danke, dass an dem, was er öffentlich gesagt hat, irgend etwas Richtiges sein könnte, der käme uns wohl schon gar nicht. Aber - da muss einen der Eifer für Gottes Haus durchaus nicht fressen! - hat der Randalierer nicht nur ausgesprochen, was wirklich und wahrhaftig so ist, wie er es den Jugendlichen bei der Disco entgegenschleudert: Von den vielleicht mehreren Hundert jungen Leuten, die sich immerhin in ei- nem Kirmeszelt drängen, haben doch tatsächlich nur eine Handvoll noch irgend eine Beziehung zu "ihrer" Kirche. Und sie haben doch fast alle einmal versprochen, die Verbindung zur Gemeinde Je- su Christi nicht abreißen zu lassen! Und bei den Erwachsenen ist es doch nicht anders: Den wenigs- ten ist es bewusst, wenn sie auf der Kirchweih tanzen und trinken, dass der Anlass dazu der Ge- burtstag "ihrer" Kirche im Ort ist. Und das Schlimmste dabei scheint die Tatsache zu sein, dass es die Leute auch zum allergrößten Teil überhaupt nicht mehr interessiert. Ich merke jetzt, dass diese Gedanken, wenn man sie einmal hier im Gottesdienst hört, zum einen ziemlich weh tun, zum anderen aber auch nicht mehr so ganz fremd sind, so dass wir sie von uns weisen müssten. Nein, es ist schon so, dass da etwas eingerissen ist bei der Kirmes ... Das sollte so nicht sein! Wenn es an Kirchweih nur noch um die Feier, um Tanzen und Trinken geht und nicht mehr um die Freude daran, eine Kirche, ein Haus Gottes im Ort zu haben, dann sind wir nicht mehr auf dem richtigen Weg, dann werden wir mit unserer Kirmes verwechselbar mit jeder anderen Feier irgend eines Vereins unseres Dorfes / unserer Stadt. Nur - und da wäre ich konsequent - sollten wir diese Feier nicht mehr Kirmes oder Kirchweih nennen. Einige unter ihnen sind jetzt gewiss in ihren Gedanken weiter gegangen: Das ist doch an Himmel- fahrt (ein Kirchenfest, das ja ohnedies für die meisten Zeitgenossen nur noch "Vatertag" heißt!) gar nicht anders. Dieser Tag dient doch auch nur noch einer kleinen Minderheit wirklich dazu, sich an die Auffahrt Christi in den Himmel zu erinnern. Auch an diesem Tag könnte doch unser Kirmes- Randalierer mit Mahnung und Peitsche auf den zahlreichen Grillfesten überall und bei den Vater- tagsausflügen der "Väter", die oft gar keine sind, störend in Erscheinung treten. Und ich füge hier hinzu: Das könnte er auch bei zahlreichen anderen ehemals kirchlich-christlichen Anlässen - und wenn es der Heilige Abend wäre! So viele Feste im Jahr der Kirche sind doch hohl geworden und von ihrem eigentlichen Sinn entleert. Und genau so geht es ja auch so manchen Redewendungen, die wir gebrauchen. Wer denkt, wenn er in der Betriebskantine sein "Mahlzeit!" herausbringt, daran, dass hier eigentlich eine von Gott "gesegnete Mahlzeit" gewünscht wird? Oder wem kommt noch in den Sinn, dass er, wenn er am Geburtstag "Herzlichen Glückwunsch" sagt, mit dem Wort "Gottes Segen für dich!" gewiss etwas Besseres und vor allem Tragfähigeres wünschen könnte? Aber wir wollen es genug sein lassen. Es ist schon so: Der Mann mit der Peitsche - und wir können gewiss auch sagen: Jesus mit der Geißel! - hätte auch, ja, vielleicht gerade in unserer Zeit viele Auf- tritte und viel zu sagen und zu tun. Bleibt die Frage, ob wir auch hören und uns verändern? Was können wir tun? - Ich hätte da ein paar Vorschläge: Geben wir doch unseren Feiertagen ihren Sinn zurück! Und das fängt ja beim Sonntag an! Der ist nicht der Tag, um das, was die Woche über liegen geblieben ist, nach einem ausgedehnten Aus- schlafen aufzuarbeiten. Er ist der Tag der seelischen Erhebung, wie es im Grundgesetz steht, ein Tag der Besinnung auf Gottes Willen über uns und vor allem - für uns Christen - ein Tag, der unse- re Beziehung im Hören auf sein Wort vertiefen und festigen soll. Und jeder besondere Feiertag, ob es die Kirchweih ist, die jede Gemeinde zu anderer Zeit begeht, oder eben Himmelfahrt oder Hei- ligabend: Sie alle haben ihren eigenen Anlass und damit die Einladung (ich meine sogar: die Ver- pflichtung!), sich daran zu erinnern, was ihr Ursprung ist, und sie haben den Auftrag an uns, ihre besondere Botschaft heute zu hören und zu verwirklichen. Ein christliches Fest, das wir nicht mehr verstehen oder dessen Auftrag an uns wir nicht mehr nachkommen, einen kirchlichen Feiertag, den wir nur noch für Feierei, Erholung und als zusätzlichen Urlaubstag nutzen, haben wir auch nicht mehr verdient. Und bei den Worten, die uns zur Floskel verkommen sind, könnten wir auch den ursprünglichen Sinn zurückgewinnen: Warum sagen wir nicht beim nächsten Mal, wenn uns das "Mahlzeit" auf die Lippen kommen will, "gesegnete Mahlzeit"? Da wird es ein vielleicht heilsames Aufhorchen geben. Und warum soll es uns beim Geburtstag unserer liebsten Menschen denn so schwer fallen, Gottes Segen zu wünschen, an dem sie doch so viel mehr haben als am zerbrechlichen Glück, das für jeden Menschen ja auch etwas anderes bedeutet. Ich finde es schon bedenkenswert, dass die Juden damals gar nicht bestreiten, dass die Wechsler und Kaufleute nichts im Tempel zu suchen haben. Lassen sie uns jeden Sonntag und an jedem Fest- tag des Kirchenjahres neu überprüfen, ob wir seinen Ursprung und Sinn noch kennen und in unserer Erinnerung achten, ob wir uns also seiner noch würdig erweisen. Wo wir Kinder oder Enkel in un- serer Nähe haben, kann es überdies eine nötige und sinnvolle Aufgabe sein, ihnen darüber Auskunft zu geben, was sich mit den christlichen Feiertagen an Geschichten und Ereignissen verbindet. AMEN