Predigt zum 5. So. nach "Trinitatis" - 26.6.2005 Textlesung: Jh. 1, 35 - 42 Am nächsten Tag stand Johannes abermals da und zwei seiner Jünger; und als er Jesus vorüberge- hen sah, sprach er: Siehe, das ist Gottes Lamm! Und die zwei Jünger hörten ihn reden und folgten Jesus nach. Jesus aber wandte sich um und sah sie nachfolgen und sprach zu ihnen: Was sucht ihr? Sie aber sprachen zu ihm: Rabbi - das heißt übersetzt: Meister -, wo ist deine Herberge? Er sprach zu ihnen: Kommt und seht! Sie kamen und sahen's und blieben diesen Tag bei ihm. Es war aber um die zehnte Stunde. Einer von den zweien, die Johannes gehört hatten und Jesus nachgefolgt waren, war Andreas, der Bruder des Simon Petrus. Der findet zuerst seinen Bruder Simon und spricht zu ihm: Wir haben den Messias gefunden, das heißt übersetzt: der Gesalbte. Und er führte ihn zu Je- sus. Als Jesus ihn sah, sprach er: Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du sollst Kephas heißen, das heißt übersetzt: Fels. Liebe Gemeinde, so bedeutend kann die "Herberge" Jesu nicht gewesen sein! Sonst hätten wir ge- wiss wenigstens ein paar Sätze darüber erfahren. Stellen sie sich doch einmal vor, jemand, den sie gerade kennen gelernt haben, möchte in ihr Haus, ihre Wohnung kommen. Und sie willigen ein: "Kommen sie mit! Sehen sie sich bei mir zu Hause um!" - Und nach einer so freundlichen Einla- dung hören sie dann hinterher kein einziges Wort, ob es den Besuchern bei ihnen gefallen hat, und schon gar keinen Dank! Das ist doch seltsam, ja, geradezu unhöflich! Was aber könnte uns das sagen? Einmal eben dies: Jesu Bleibe hat nicht gefallen, sie war zu ein- fach, zu ärmlich vielleicht auch, als dass man darüber hätte reden mögen. Oder aber - und dazu neige ich! - wir sollen hier begreifen: Jesu Haus ist nicht von dieser Welt! Es gab diese "Wohnung" überhaupt nicht, jedenfalls nicht als Vierwände mit Zimmern darin und Türen und Fenstern nach draußen. Das Evangelium des Johannes, in dem wir gerade gelesen haben, ist ja überhaupt ein besonderes Buch, ganz anders als die Evangelien des Matthäus, Markus oder Lukas. Johannes schreibt viel ge- heimnisvoller, rätselhafter ... Wir müssen seine Worte viel stärker auslegen, deuten und manchmal eben auch ihre Rätsel lösen oder ihr Geheimnisse lüften. Vielleicht ist es ja das Geheimnis dieser Verse, wo wir denn nun wirklich Jesu "Herberge" suchen müssen? Denn ein Haus aus Holz oder Steinen ist sie sicher nicht gewesen, dann hätten wir es ge- wiss erfahren. Wo aber hat Jesus gewohnt? Wir erhalten einige Hinweise, hier zum Beispiel: ... als Johannes Jesus vorübergehen sah, sprach er: Siehe, das ist Gottes Lamm! Und hier: Sie aber sprachen zu ihm: Rabbi - das heißt übersetzt: Meister ... Und noch einmal: ... und Andreas spricht zu ihm: Wir haben den Messias gefunden, das heißt übersetzt: der Gesalbte. Liebe Gemeinde, das wird ihnen jetzt ganz gewiss auch noch rätselhaft vorkommen! Aber führen uns diese Hinweise nicht wirklich dorthin, wo Jesus "wohnt" - und nicht nur damals, sondern auch heute? In den Herzen der Menschen nämlich, die ihn als ihren "Herrn" und "Meister" erkennen, die wissen, dass er das "Lamm Gottes" ist, das die Sünde der Welt trägt und die ihn als den "Messias", den "Gesalbten Gottes", den "Christus" bekennen? Das Bild mag uns ja zunächst noch ein wenig fremd erscheinen. Aber ist es nicht wirklich so, dass wir Jesu "Herberge" am sichersten dort finden können, wo der Glaube an ihn, das Vertrauen zu ihm und die Hoffnung auf ihn wohnen? Vielleicht fallen uns ja jetzt Gelegenheiten ein, bei denen wir selbst auch in solchen Bildern spre- chen. Wenn wir abends am Bett unseres Kindes beten: "Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll nie- mand drin wohnen als Jesus allein!" Und so hat es uns in unserer Kindheit doch auch schon die Mutter oder der Vater gelehrt. Aber in unseren Kirchenliedern singen wir auch davon, z.B. in einem sehr bekannten: "Ich bin, Herr, zu dir gekommen, komme du nun auch zu mir. Wo du Wohnung hast genommen, da ist lauter Himmel hier. Zieh in meinem Herzen ein, laß es deinen Tempel sein" (EG 166,2). Und in einem nicht so häufig gesungenen: "Komm, o Herr, in jede Seele, laß sie deine Wohnung sein, daß dir einst nicht eine fehle in der Gotteskinder Reihn" (EG 573, 4). Und schließlich bin ich ganz sicher, dass es so auch unsere Vorstellung ist, wenn wir uns fragen, auf welche Weise Jesus denn in unseren Tagen bei uns ist. Sicher würden wir sagen, dass er in un- serem Herzen oder unserer Seele wohnt. Liebe Gemeinde, so ist uns der Gedanke von Jesu "Herberge" in unserem Innern eigentlich doch vertraut. Und wie von selbst knüpfen sich an dieses Bild von unserem Herrn, der in unserem Her- zen wohnt, auch noch andere Bilder, z.B. dieses: Jesu Einzug bei uns ist der Tag, an dem wir zum Glauben an ihn finden. Oder das andere: Dass wir nämlich unser Herz diesem Herrn auch wohnlich gestalten wollen und so, dass er gern bei uns ist und bleibt. Und genau hierzu haben die Verse, die wir vorhin gelesen haben, doch einiges zu sagen, was wir beherzigen sollten: "Siehe, das ist Gottes Lamm!", sagt Johannes. Wie steht es damit bei uns? Könnten wir das nach- sprechen, oder besser: Glauben wir daran? Denn es liegt für uns Christen viel, ja, alles daran, ob Je- sus für uns das Lamm Gottes ist. Denn das heißt: Er hat für uns alle Schuld ans Kreuz getragen. Er ist das Opfer für unsere Sünde. Er hat genug getan für uns. Und das heißt auch: Wir verzichten endlich darauf, unser Leben selbst machen und uns Verdienste bei Gott erwerben zu wollen. Denn das ist nicht möglich, wenn Christus schon unsere Sache mit Gott ins Reine gebracht hat. Es kann nur noch darum gehen, dass wir unser Vertrauen auf Gott setzen, der uns Jesu Opfer am Kreuz zu unserem Heil und Leben anrechnet. Aber das kann man auch weniger theologisch ausdrücken: Wenn wir wollen, dass Jesus wirklich in unserem Herzen wohnt, dann wollen wir uns auch ganz auf ihn verlassen. Er bleibt bei uns im Leben und im Sterben und in alle Ewigkeit. "Sie aber sprachen zu ihm: Rabbi - das heißt übersetzt: Meister ..." Wie sieht es hiermit aus? Dabei geht es - wenn wir noch einmal das Bild von Jesu Wohnung in uns aufnehmen - um die Frage, ob er bei uns nur wie ein Untermieter geachtet ist, oder ob er als Freund und Familienmitglied mit uns Haus und Leben teilt. Genau genommen müssten wir ihn sogar so etwas sein lassen, wie den Herrn des Hauses oder den Familienvorstand! Ein "Rabbi" war und ist eine absolute Autorität. Der "Meister" unseres Lebens weiß besser als wir selbst, was gut für uns ist. - Aber unser "Meister" ist Jesus erst, wenn wir ihn das auch sein lassen. "Andreas spricht zu ihm: Wir haben den Messias gefunden, das heißt übersetzt: der Gesalbte." Wenn wir hier noch hinzufügen: Messias heißt übersetzt ins Griechische der "Christus", dann wird deutlich, dass in diesem Wort alles zusammengefasst ist, was Jesus für uns ist. Hier steht auch auf dem Spiel, ob wir selbst den Namen "Christen" zu Recht tragen, denn Christen sind Leute, in deren Herzen Jesus, der Christus, der Messias, der Gesalbte seine Wohnung hat! Aber wir wollen auch hier noch einmal in dieses schöne Bild hineingehen: Unser Christus, unser Herr wohnt eben nicht im Himmel oder sonstwo weit entfernt. Er lebt vielmehr unter einem Dach mit uns, er teilt unser ganzes Leben, er hilft uns bei allem, was wir tun, er tröstet uns, wann immer wir traurig sind und er freut sich mit uns, wenn wir durch gute Zeiten gehen. Er hört unseren Dank, unsere Bitten, sieht unsere Tränen und ist immer bereit mit uns im Gebet zu sprechen. Und das be- ste an dieser Hausgemeinschaft ist vielleicht dies: Alle anderen werden uns einmal verlassen, von all unseren Lieben müssen wir einmal Abschied nehmen. Jesus bleibt bei uns und geht mit uns, wenn wir selbst aus dem Haus in dieser Welt gehen. Die Beziehung zu ihm wird niemals ein Ende haben! "Sie aber sprachen zu ihm: Rabbi - das heißt übersetzt: Meister -, wo ist deine Herberge?" Er- warten wir von unserem Herrn keine noble Unterkunft irgendwo im Himmel oder auf Erden. Suchen wir seine Wohnung nicht in irgend einer Stadt, einer Straße in dieser Welt. Er hat ein für alle Mal seine Herberge in den Herzen der Menschen genommen, für die er das Lamm Gottes ist, das ihre Schuld ans Kreuz getragen hat. Er wohnt bei denen, die ihn den Meister ihres Lebens nen- nen und es ihn auch wirklich sein lassen. Er ist der Hausgenosse der Menschen, die sich mit Recht "Christen" nennen und ihm den angemessenen Platz in ihren Herzen einräumen. "Jesus sprach zu ihnen: Kommt und seht!" Liebe Gemeinde, wir können ihn sogar im Haus unseres Herzens spüren, können mit ihm reden, uns von ihm raten und helfen lassen. Und - ist das nicht wirklich wunderbar!? - er bleibt in diesem Leben und in Ewigkeit bei uns!