Predigt zum Sonntag "Kantate" - 24.4.2005 Textlesung: Mt. 21,14 - 22 Und es gingen zu ihm Blinde und Lahme im Tempel, und er heilte sie. Als aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien: Hosian- na dem Sohn Davids!, entrüsteten sie sich und sprachen zu ihm: Hörst du auch, was diese sagen? Jesus antwortete ihnen: Ja! Habt ihr nie gelesen (Psalm 8,3): "Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet"? Und er ließ sie stehen und ging zur Stadt hinaus nach Betanien und blieb dort über Nacht. Als er aber am Morgen wieder in die Stadt ging, hungerte ihn. Und er sah einen Feigenbaum an dem Wege, ging hin und fand nichts daran als Blätter und sprach zu ihm: Nun wachse auf dir niemals mehr Frucht! Und der Feigenbaum verdorrte sogleich. Und als das die Jünger sahen, verwunderten sie sich und fragten: Wie ist der Feigenbaum so rasch ver- dorrt? Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr Glauben habt und nicht zweifelt, so werdet ihr nicht allein Taten wie die mit dem Feigenbaum tun, sondern, wenn ihr zu diesem Berge sagt: Heb dich und wirf dich ins Meer!, so wird's geschehen. Und alles, was ihr bittet im Gebet, wenn ihr glaubt, so werdet ihr's empfangen. Liebe Gemeinde! Der Sonntag heute heißt "Kantate" - "Singet"! Und mindestens für die Hohenpriester, die Schriftge- lehrten und die Jünger damals hat das, was ich eben vorgelesen habe, auch durchaus mit "Gesang" zu tun gehabt: Die Kinder nämlich, die hier im Tempel "schreien", werden ihr "Hosianna, dem Sohn Davids" gewiss mit einer Melodie aus den Psalmen vorgetragen haben. Sonst würde Jesus auch sicher nicht von einem "Lob" sprechen, das Gott sich sogar aus dem Munde von Kindern und Säuglingen bereitet. Und um Singen und Loben geht es auch wirklich in allen Predigttexten, über die wir an diesem Sonntag "Kantate" im Laufe der Jahre nachdenken sollen. Wenn wir da nun hören, dass die Schriftgelehrten sich entrüsten, dass sie ganz offenbar nicht in den Gesang der Kinder einstimmen wollen, da kann uns der Gedanke kommen, die Sache mit dem Fei- genbaum, von dem dann erzählt wird, könnte vielleicht etwas mit den Hohenpriestern und Schrift- kundigen zu tun haben!? Vielleicht so: Die Kinder bringen Gott den Lobpreis der Lippen dar: Hosi- anna, dem Sohn Davids! Gelobt sei der da kommt im Namen des Herrn! Die Schriftgelehrten aber verweigern das Lob. Sie haben keine Töne, kein Lied für Gott. Sie sind starr und tot wie Holz. Nichts lässt ihr Herz und ihre Stimme schwingen. Sie bringen keine Frucht. Darum sollen sie ver- dorren - wie der Feigenbaum. Wer Gott nicht lobt, der ist wie ein Baum ohne Früchte. Wer Gott nicht preist, der hat eigentlich gar kein Leben mehr in sich. Das könnten wir jetzt so stehen lassen, so als würde es nur über die Hohenpriester damals sprechen: Wie hartherzig waren sie doch. Wie kalt und wie fern der begeisternden Liebe Gottes. Aber warum hätten wir dann heute diese Geschichte hören sollen - wenn sie nicht auch mit uns reden und uns etwas sagen, ja, uns vielleicht zurechtbringen wollte? Wie ist denn das mit dem "Lob Gottes" bei uns? Da geht es uns jetzt gewiss allen gleich: Wie rasch fallen uns da doch auch zuerst die Kinder ein! Die sind noch ganz eng mit "ihren Gefühlen in Kontakt", wie man heute sagt. Denken wir nur an Weihnachten oder wenn sie Geburtstag haben, die Kleinen ... Und wenn sie dann noch etwas ge- schenkt bekommen! Da strahlen nicht nur die Augen. Da jauchzen sie und freuen sich, sagen danke und manchmal finden sie auch Worte, die ausdrücken, wie lieb sie den Menschen haben, der ihnen die Gabe überreicht hat. Bei Kindern geht das leicht, das Loben, das Danken, das Singen ... Und wenn wir sie in solchen Augenblicken ihrer Freude beobachten, dann geht es uns ganz sicher nah: Wie schön ist das doch, das die Kleinen das noch können: sich freuen, laut jubeln vor Glück - viel- leicht gar über etwas, das uns wie eine Kleinigkeit vorkommt. Wie anrührend ist das, wie lebendig und wie froh kann das auch uns machen. Da fragen wir uns jetzt schon, warum verlernen wir so etwas Schönes nur im Laufe der Jahre, als Jugendliche meist schon und dann als Erwachsene? Warum bleibt uns das nicht genau so erhalten, wie andere Eigenschaften, etwa der Ordnungssinn oder das Geschick unserer Hände? Zumal unter diesen Eigenschaften ja auch immer solche sind, die wir recht gern verlieren und aufgeben würden, weil sie unserer guten Beziehung zu den Menschen im Wege stehen. Ob das wohl damit zu tun hat, dass Singen zum Lob und Dank, so wie es hier gemeint ist, eben nicht uns selbst preist, sondern einen anderen oder unseren Gott? Was wir als Kinder noch können, das verlernen wir je älter wir werden. Anders gesagt: Als Kinder fällt es uns leicht, Gottes oder ei- nes Gebers Geschenk zu preisen - als erwachsene Menschen gehen wir mit unserem Lob nicht mehr so aus uns heraus, bleiben vielmehr bei uns selbst. Denn das können wir in späteren Jahren immer besser: Uns selbst loben! Betonen, was wir aus uns gemacht haben. Herausstreichen, was wir sind und können. Und da sind wir zurück bei den Hohenpriestern und Schriftgelehrten damals, denn das waren genau die Gedanken ihres Herzens: Die Kinder hatten sich gefreut, dass Jesus Blinde und Lahme gesund gemacht hatte. Darum stimmten sie das Lob Gottes an: Hosianna dem Sohn Davids! Die Priester aber fragten nach sich selbst, nach ihrem Ruhm, ihrer Macht und Anerkennung im Volk - und die stand auf dem Spiel, wenn hier einer die Gottesgeschenke der Heilung verteilte. Sie können sich nicht freuen. Ihr Herz ist hart, unbewegt von dem Wunder, dass hier Lahme wieder laufen, Blinde wieder sehen können. Sie bringen keine Frucht des Lobens und Dankens - sie sind wie der Feigen- baum, den Jesu Spruch später verdorren lässt. Aber wir wollen es wagen, noch einmal zu uns zurückzukehren: Tut es uns eigentlich einen Ab- bruch, wenn wir uns erhalten, was die Kinder so gut können? (Mit der Geschichte von damals ge- fragt: Was hätten sich die Schriftgelehrten denn vergeben, wenn sie eingestimmt hätten in den Ge- sang der Kinder?) Aber ganz konkret für uns: Warum loben wir so wenig. Warum bekommen wir den Mund nur so schwer auf, wenn es ums Danken geht? Und das gilt den Menschen gegenüber, wie es Gott gegenüber gilt! Und wir haben viel zu loben! Das ist doch gar nicht selbstverständlich, wenn uns die Menschen in unserer Nähe lieben, achten und uns aufwarten. So liebreizend und sympathisch sind wir gar nicht! Oder wenn unser Freund, unsere Freundin schon so viele Jahre treu bei uns aushält, sich auch manchmal unsere Launen gefallen lässt, unsere Ungerechtigkeit, und dass wir oft nicht verlässlich sind ... Da könnte man schon hin und wieder ein Lob sagen, ein Wort des Dankes. Das würde dem Freund gut tun - und unserer Beziehung auch. Und es gibt noch so viele andere Menschen in unserer Umgebung, die verdienten es auch, dass wir einmal ein Danke herausbringen: Unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Gemeinde, der Kollege am Arbeitsplatz, der Nachbar, der auch immer ein Auge auf unser Haus hat, wenn wir nicht da sind, unser Arzt, der sich wirklich Gedanken macht, wie er uns helfen kann, die Frau neulich auf dem Amt, die so herzlich war und nicht von oben herab wie so viele andere ... Wann zuletzt haben wir den Mund aufbekommen für ein Dankeschön oder ein Lobeswort? Und das muss man da ja auch noch sagen: Es kostet doch eigentlich gar nichts, wenn ich mich einmal für die Freundlichkeit und Hilfe anderer bedanke! Aber wie viel Gewinn liegt darin - auch für mich selbst, denn das macht nicht nur dem Freude, dem ich mein Dankeschön schenke! Jetzt noch von Gott zu reden, ist fast ein zu großer Sprung! Denn von ihm erfahren wir nur Güte, nur gute Gaben und väterliche Liebe. Ihm müssten wir eigentlich täglich unser Lob darbringen, selbstverständlich und in jedem Augenblick - so wie das Atmen. Aber wir tun es nicht. Vielleicht weil wir im Laufe unserer Lebensjahre immer gewöhnter sind an seine Wohltaten? Oder eben weil wir je älter wir werden immer mehr und immer stärker dem Wahn nachgeben, im Grunde wäre ja doch alles, was wir sind, können und haben aus unserer Kraft, unserem Verdienst gewachsen? Wie gut wäre das, liebe Gemeinde, wenn wir uns das heute einmal wieder oder neu vornehmen: Dass wir wieder deutlich sehen, wie viel uns von Menschen und von Gott an Gutem getan wird, das nicht selbstverständlich ist. Und vielleicht kommt uns dann noch ein schönes Lob, ein Dank auf die Lippen, den wir auch aussprechen. Wie werden sich die anderen Menschen, wie wird sich Gott freuen! Und wir glichen wieder mehr den Kindern und einem Feigenbaum, der lebendig ist, blüht und seine Früchte bringt zu jeder Zeit.