Predigt zum Buß- und Bettag - 17.11.2004 Textlesung: Röm. 2, 1 - 11 Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du auch bist, der du richtest. Denn wor- in du den andern richtest, verdammst du dich selbst, weil du ebendasselbe tust, was du richtest. Wir wissen aber, daß Gottes Urteil recht ist über die, die solches tun. Denkst du aber, o Mensch, der du die richtest, die solches tun, und tust auch dasselbe, daß du dem Urteil Gottes entrinnen wirst? O- der verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut? Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet? Du aber mit deinem verstockten und unbußfertigen Herzen häufst dir selbst Zorn an auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, der einem je- den geben wird nach seinen Werken: ewiges Leben denen, die in aller Geduld mit guten Werken trachten nach Herrlichkeit, Ehre und unvergänglichem Leben; Ungnade und Zorn aber denen, die streitsüchtig sind und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber der Ungerechtigkeit; Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die Böses tun, zuerst der Juden und ebenso der Grie- chen; Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden allen denen, die Gutes tun, zuerst den Juden und e- benso den Griechen. Denn es ist kein Ansehen der Person vor Gott. Liebe Gemeinde! Sie erwarten heute eine Bußpredigt. Und mit Recht, denn heute ist Bußtag. Aber sie müssen mir glauben: Das ist für einen Prediger gar nicht so einfach, über Buße zu sprechen. Buße - das heißt schließlich: Umkehr. Und wer kehrt schon gern um? Wer verändert sich schon gern, oder lässt sich verändern? Es ist halt einfacher, immer den ausgetretenen Pfaden zu folgen, da weiß man, wo's lang geht, da fühlt man sich einigermaßen sicher, da drohen keine bösen Überraschungen. Wie beängstigend dagegen so etwas: Umdenken, eine neue Richtung einschlagen, ein anderer Mensch werden ... Andererseits: Eine gewisse Sehnsucht danach spüren wir alle - wären wir sonst hier, heute, am Bußtag? Einmal neu beginnen, alte Schulden los werden, sagen können: Das habe ich hinter mir! Das muss mich nicht mehr belasten! Schön wäre das und sehr, sehr tröstlich! Ich fürchte aber, die Angst überwiegt. Woher kommt sie? Nun, lassen wir uns das doch einmal nahegehn: Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße le- itet?! Also ändere dein Leben! Kehre um von deinem falschen Weg! Keine Ausflüchte! Du bist gemeint, ja, Du! - Da hilft jetzt kein Kopfeinziehen und keine trügerischen Gedanken: Ich bin ja ei- gentlich ganz in Ordnung, kein so ganz großer Sünder ... Tu Buße! Ändere dein Leben! Du hast das nötig: Umkehren, von vorn beginnen ... Merken sie's, wie das Ängste auslöst: Ich soll Abschied nehmen von vertrauten Denkgewohnheiten. Ich soll Überzeugungen aufgeben. Alles, woran ich mich immer gehalten habe, soll ich hinter mir lassen. Ja, stürze ich denn dann nicht ins Bodenlose? Verliere ich nicht, was mir immer wichtig war? Wird das denn nicht weniger Vergnügen, weniger Freude am Leben, weniger Spaß bedeuten? Es ist wohl ganz natürlich, dass ein Mensch Angst bekommt, wenn er hört: Kehre um, die Über- zeugung, die du vertrittst, ist unmöglich! Es ist höchste Zeit, dass du ein anderer wirst! Das bisheri- ge Denken war ja immerhin so etwas wie ein Geländer, an dem man sich festhalten konnte - und jetzt sollen wir ohne auskommen ... Hinzu kommt noch eine besonders ausgeprägte Furcht: "Ich verliere mein Gesicht, wenn ich etwas eingestehe, von Schuld und begangener Sünde rede." Liebe Gemeinde, ich sehe jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder halten wir einen Bußtag ohne Buß- predigt (das wäre so etwas, wie ein Stier ohne Hörner oder ein hölzernes Eisen), oder wir gehen einmal an den Gedanken der Buße heran, ohne gleich Ängste zu erwecken (Umkehr von vorn be- trachtet sozusagen). Ich habe mich für den zweiten Weg entschieden. Der Angst erregenden Buß- predigt stelle ich nun die Predigt Jesu gegenüber. Dabei wird hoffentlich deutlich, dass es wirklich "Gottes Güte" ist, die uns zur Umkehr führen will! Jesus hat ein Gleichnis erzählt und in diesem Gleichnis das Schicksal eines jungen Mannes geschil- dert. (Aha, denken jetzt einige von ihnen, wieder einmal die Geschichte vom verlorenen Sohn! Den Verkündigern des Evangeliums fällt aber auch nichts Neues mehr ein! Ich will trotzdem darüber re- den, denn hier wird - wie nirgends anders - deutlich, dass Umkehr, Buße keine Furcht einflößen muss!) Der junge Mann also, den die Sehnsucht nach der großen Freiheit gepackt hatte, war von seinem Vater ausgezahlt worden und in die Fremde gezogen. Dort hatte er mit Freunden, die in Wirklichkeit keine waren, seine Erbschaft verprasst und mit lockeren Mädchen seinen Besitz auf den Kopf gehauen. Als er keinen Pfennig mehr besaß, wurde er Schweinehirt. Von dieser Beschäf- tigung sagte man zur Zeit Jesu: "Tiefer kann ein Mensch nicht sinken." Jesus erzählt in seinem Gleichnis: "Gern hätte er seinen leeren Magen mit den Schoten gefüllt, die die Schweine fraßen, aber niemand gab ihm davon. Da ging er in sich und sprach: Wie viele Tage- löhner hat mein Vater, die Brot die Fülle haben, und ich verderbe im Hunger! Ich will mich aufma- chen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner." Unterbrechen wir an dieser Stelle einmal die bekannte Geschichte: Hier beginnt ja wohl ein Weg der Umkehr. Der missratene Sohn hat eine Entscheidung getroffen: Heimgehen zum Vater. Seine Buße beginnt. Klar, wir wissen, wie's weitergeht bei Jesus. Aber warten wir noch damit. Wie näh- me die Sache denn nach menschlichem Ermessen ihren Fortgang? Vielleicht so: Als der Sohn sich dem Hause nähert, sieht ihn der Vater schon durchs Fenster. Er denkt bei sich: Na warte, dem wer- de ich's zeigen. Sein Erbe hat er wohl durchgebracht und jetzt will er hier wieder unterkriechen. Aber nicht mit mir! Darauf ergreift er einen Besen, der hinter der Tür steht oder sonst einen harten Gegenstand, stürzt auf den Hof und geht auf den bösen Sohn los. Der ergreift die Flucht und ward nie mehr in der Nähe gesehen. - Die Bußpredigt, die Angst erregt, wäre fertig. Ich habe diesen Schluss der Geschichte zusammenphantasiert, damit deutlich wird, welch wunder- baren Ausgang die Erzählung bei Jesus nimmt: "Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater- haus. Als ihn der Vater von Ferne kommen sah, jammerte es ihn. Er lief ihm entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn." Liebe Gemeinde, ja, auch das ist eine Bußpredigt! Ein Ruf, heimzukehren zu Gott. Ein Ruf an uns! Macht das Angst? Oder spüren wir die Wärme, die Herzlichkeit des Erzählers? Und fühlen wir im Hintergrund nicht etwas von Gottes Güte, die uns die Buße nicht auflegen will, wie eine Last, son- dern schenken will, wie eine Liebesgabe. So baut der Seelsorger Jesus Ängste ab, die uns zuerst be- fallen, wenn jemand zu uns sagt: Kehre um, gib deinem Leben eine neue Richtung! Von der Furcht, nach der Umkehr könnte das Leben klein und eng werden oder man müsste sich schrecklich genie- ren, spricht Jesus erst gar nicht. Er hält sich damit nicht auf, weil er Wichtigeres zu sagen hat. Er prägt uns ein Bild ein, das die Ängste bannt und eine herrliche Freiheit verheißt: Wenn du noch weit weg bist, hin und her schwankst, noch nicht recht weißt, ob du umkehren sollst oder nicht, dann sieht dich dein Vater schon, und es geht ihm durch und durch. Der Vater läuft dir entgegen, fällt dir um den Hals und küsst dich. - Wo einer den anderen umarmt und küsst, da gibt es keine Angst mehr. So endet - das sagt uns Jesus - jede ehrliche Buße. Kein Strafpredigt, kein Vertreiben, keine Vorwürfe aus dem Munde Gottes, kein eisiges Schweigen eines beleidigten Vaters. Nur Güte, Liebe, nur Freude über einen, der endlich heimkehrt. Was Jesus erzählt, ist nicht so weit weg von unseren Leben. Die Freude, die alle Furcht vertreibt, können auch wir haben. Es ist eine alte Erfahrung: Wer umkehrt, einen Schlussstrich zieht und neu anfängt, fühlt sich danach ausgesprochen gut. Das Gefühl nach einer ehrlichen Buße ist etwas Wunderbares - man muss es erleben. Es gibt nichts Besseres als den guten Gedanken: Jetzt kann ich wieder aufatmen. Ich bin frei. Sicher ist es eine Frage für sich, ob ein Mensch, der aufatmen möchte, auch aufatmen kann. Ich könnte mir gut vorstellen, dass manche von uns heute denken: Ich glaube es ja, dass Gott mit mir so umgehen wird; wie der Vater im Gleichnis mit seinem Sohn. Aber die Menschen in meiner Umge- bung spielen nicht mit; sie verhalten sich so ganz anders als Gott. Sie treten mich in den Staub, ge- ben mir keinen Neuanfang, hacken auf mir herum; ihr Urteil über mich ist fertig und es sind starre Menschen, die da urteilen. Liebe Gemeinde, vielleicht gibt es in ihrer nächsten Umgebung einen Menschen, der sich ausspre- chen will, der ihnen etwas anvertrauen möchte, das ihn belastet. Wir können dazu beitragen, dass bald einer sagt: Ich kann wieder frei atmen. Ich bin ein anderer geworden. Warum so herzlos war- ten, bis einer zu Kreuze kriecht? Warum nicht den nachahmen, der unser aller Vater ist: "Als er ihn von Ferne sah, jammerte es ihn. Er lief ihm entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn." Wie gut mag das manchen Menschen tun, wenn sie an dir und mir erfahren, dass es Gottes Güte ist, die uns zur Buße treibt. Ob wir das fertig bringen, es dem Vater im Gleichnis nachzutun?: Auf Vorwürfe verzichten, kein eisiges Schweigen, nur Verständnis, Herzlichkeit und Wärme ... Einem Menschen so zur Umkehr zu helfen, kann auch sehr glücklich machen!