Predigt zum Vorl. So. des Kirchenjahrs - 14.11.2004 Textlesung: Röm. 8, 18 - 25 Denn ich bin überzeugt, daß dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlich- keit, die an uns offenbart werden soll. Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, daß die Kinder Gottes offenbar werden. Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit - ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat -, doch auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erst- lingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld. Liebe Gemeinde! "Geduld" ist das letzte Wort, das Paulus uns heute sagt. Aber es soll das erste sein, über das wir jetzt nachdenken. Mir fiel dazu ein: Er hat ja gut reden, der Paulus. Wo musste er den geduldig sein? Ihm hatte sich vor Damaskus doch Jesus selbst offenbart! Er hörte nur wenig später den Auf- trag seines Lebens, den Heiden in aller Welt diesen Herrn als den Heiland und Sohn Gottes zu verkündigen. Und das hat er auch getan - mit für damalige Verhältnisse unglaublichem Einsatz und nicht vergeblich! Denken wir nur, an wen er alles seine Briefe schreibt. Wie viele Gemeinden hat er gegründet: "An die Römer, Korinther, Philipper, Epheser ..." War seine Arbeit nicht mit großem Er- folg gekrönt? Wo also hätte er "geduldig" warten müssen, bis seine Leistung Frucht trägt? Dann aber ist mir aufgegangen, dass auch im Leben des Paulus manches nur in Geduld zu tragen und zu ertragen gewesen ist: Da ist zunächst seine Krankheit, von der er sagt, sie wäre ihm wie ein Pfahl im Fleisch, den Gott ihm gegeben hat, damit er sich nicht überhebt (2. Kor. 12,7). Aber auch in den von ihm gegründeten Gemeinden geht ja nicht immer alles so, wie er sich das gewünscht hätte. Wie schreibt er an die Leute in Galatien?: "Mich wundert, dass ihr euch so bald abwenden lasst von dem, der euch berufen hat in die Gnade Christi, zu einem andern Evangelium ..." (Gal. 1,6) Und schließlich, wenn es stimmt, dass er um das Jahr 64 in Rom das Martyrium erleiden musste, dann hat er hier wohl die äußerste Geduld und eine sehr große Kraft aus dem Glauben auf- bringen müssen, bevor er sehen durfte, worauf er gehofft hat: Die Erlösung des Leibes, die Freiheit von der Vergänglichkeit, die ewige Kindschaft bei Gott. Geduld gehört also ganz offenbar zum Leben eines Christen dazu! Und als eine der christlichen Tugenden ist sie nicht viel geringer als der Glaube, die Liebe oder die Hoffnung. Grund genug für uns, einmal zu fragen: Wie halten wir's mit ihr - mit der Geduld? Unsere erste, sicher unfreiwillige Begegnung mit ihr, hatten wir vielleicht in der Kindheit, in den Tagen um den 4. Advent: Wer erinnerte sich daran nicht mehr, wie schwer das war, zu wissen, hinter der Tür zum verschlossenen Weihnachtszimmer liegen vielleicht schon die schönsten, lang ersehnten Geschenke! Am Heiligen Abend wird vielleicht der lange gehegte Wunsch wahr: Das Fahrrad, die Puppe, die elektrische Eisenbahn ... Und dann warten müssen, die endlos langen Tage, die zähen Stunden, bis das Glöckchen geklingelt und die Tür zum Weihnachtszimmer sich geöffnet hat! Wahrhaftig: Hier mussten wir geduldig sein - und wie schwer war das! Und später in der Jugend, da mussten wir auch immer wieder Geduld haben: Wenn du erst konfirm- iert bist, dann darfst du abends auch mal länger ausgehen! Die Lehrstelle wird aber erst in sechs Monaten frei, da musst du dich noch gedulden! Erst mit 18 kannst du den Führerschein machen! Aber auch im Erwachsenenleben gibt es Zeiten, Ereignisse, Wünsche und Bedürfnisse, die verlan- gen immer wieder von uns, dass wir geduldig warten, bis es so weit ist: Wenn wir krank sind, dass wir wieder genesen. Wenn sich der Kinderwunsch oder später der nach Enkeln nicht gleich erfüllt. Wenn wir beim besten Willen noch nicht das Geld aufbringen können, ein Haus zu bauen oder in den so bitter nötigen Urlaub zu fahren. Und unsere Partnerschaft, die Beziehungen zu den Men- schen brauchen oft auch geduldiges Warten, bis sie wieder in Ordnung kommen und uns und denen, die uns verbunden sind, Freude machen. Aber wir wollen heute auch nicht davon schweigen, was manchmal am Ende des Lebens wohl die größte Geduld von uns fordert: Wenn wir so gern von dieser Welt Abschied nehmen, so gern heim- gehen würden und es doch nicht können! Wir alle kennen Menschen, die es zuletzt mit dem Sterben sehr schwer hatten. Und vielleicht sind auch heute solche Menschen unter uns, die sich nach Gottes neuer Welt sehnen und - vielleicht schon lange! - so gern den Schritt über die letzte Schwelle tun würden. Diese Sehnsucht kommt ja beileibe nicht nur über uns, wenn wir leiden müssen, von Krankheit, Behinderung oder täglichen Schmerzen geplagt sind. Es gibt dieses Sehnen nach Gottes Reich auch mitten in einem Leben, das alle Menschen, die uns kennen, von außen betrachtet gut, lebenswert und erfüllt nennen würden. - Wenn man aber in einem solchen äußerlich guten Leben allein ist und oft so grässlich einsam ... Da sieht manches anders aus! Da wird, was andere Glück nennen, schal und die vermeintlich frohen Stunden, die man mit niemandem mehr teilen kann, las- sen uns Gefallen finden an dem Gedanken, aus dieser Welt zu gehen ... Und wie gelingt es uns nun, doch bei der Geduld zu bleiben? - Was sagt uns Paulus dazu? Können uns seine Worte helfen? Ich höre zwei Gedanken, die vielleicht weiter führen: "Denn ich bin überzeugt, daß dieser Zeit Lei- den nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll." Liebe Gemeinde, nicht dass dieser Vers einfach zu beherzigen wäre! Aber es kann schon sehr hilfreich sein, wenn wir uns immer wieder eines vor Augen stellen: Dieses Leben ist nicht alles! Wir sind nicht für den Tod geschaffen, sondern für die Ewigkeit in der Nähe Gottes! Unser Weg in dieser oft so kalten Welt hat ein Ziel! Wir werden zufrieden sein mit dem, was uns erwartet. Ja, mehr noch, wir werden überwältigt sein, nur noch staunen und stammeln können: Vor uns liegt die unbeschreibliche Herrlichkeit, die Gott seinen Kindern schenken will! "Kein Aug hat je gespürt, kein Ohr hat mehr gehört solche Freude." (EG 147,3) So werden wir nachher singen. Und so wird es sein. "Gott wird abwischen alle Tränen von unseren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen." (Offb. 21,4) So lesen wir in der Offenbarung. Und darauf gehen wir zu. Ich glaube fest, es wird uns die Geduld leichter machen, wenn wir uns immer wieder, täglich wenigstens einmal das sagen und uns davon stärken lassen: Hinter dieser Welt kommt ein Leben, dessen Herrlichkeit alles klein und gering ach- ten lässt, was wir hier erfahren und erleiden. Und selbst schon geduldig sein, angesichts solcher vergleichsweise unbedeutender Dinge wie der ersehnten Weihnachtsgeschenke, dem Führerschein oder später einem Urlaub wird leichter, wenn wir es ins Licht der verheißenen Zukunft stellen, die uns Gott schenken will. Alles, alles, was uns hier bewegt, was unser Herz begehrt und unser Wille erreichen möchte lohnt vor dieser Aussicht nicht den Eifer, die Mühe und das Sehnen, von denen wir umgetrieben, befangen und manchmal wie gelähmt sind. Aber da ist ein zweites, das uns Paulus nahe bringen will: "...die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. (...) Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung." Ich spüre hier etwas von einer großen Freude, die auch schon in der Erwartung liegt! Sagen wir nicht im Sprichwort: Vorfreude ist die schönste Freude? Zugegeben, auch dieser Gedanke ist für unseren Kopf und unseren Willen nicht so einfach - unser Herz aber kann ihn empfinden ... Sind unsere Erinnerungen aus der Kinderzeit in den Tagen des sehnlichen Wartens vor der verschlosse- nen Weihnachtsstube denn nur schmerzlich? War da nicht auch die Süße des Gefühls, dass die Er- füllung unserer Wünsche eben noch vor uns liegt? Und in den späteren Jahren? Denken wir ange- sichts der so langsam verstreichenden Zeit bis unsere Wünsche an ihr Ziel kamen, nur noch an das sehnsüchtige Harren, die uns so überflüssig erscheinende Geduld? Oder kommen uns nicht auch die Stunden und Tage in den Sinn, in denen wir fast froh waren und dankbar, dass die große Freude, wenn unsere Wünsche wahr werden, noch aussteht? So sind dies die beiden guten Dinge, die wir vielleicht aus den Worten des Paulus mitnehmen kön- nen: Was uns um Jesu Christi Willen einmal in Gottes neuer Welt erwartet, ist so groß, so gewaltig und unvorstellbar herrlich, dass vor ihm alles klein und gering wird, was unser Herz und unser Wollen in dieser Welt beschäftigt und oft genug bindet und gefangen nimmt. Denken wir täglich daran - das wird uns die Kraft geben, geduldig zu sein. Und lassen wir uns die Vorfreude nicht nehmen, indem wir nur noch dem nachjagen und gebannt darauf warten, dass unsere Wünsche wahr werden. Auch in der Zeit vor der Erfüllung liegt viel Freude und manches Glück verborgen. Nehmen wir auch das wahr mit allen Sinnen - das wird es uns leichter machen, Geduld zu üben und die Hoffnung nicht zu verlieren. Denn ich bin überzeugt, daß dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlich- keit, die an uns offenbart werden soll. (...) Denn wir wissen, daß die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. (...) Wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. (...) Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.