Predigt am 9. Sonntag n. Trinitatis - 08.08.2004 Textlesung: Phil. 3, 7 - 11 (12 - 14) Aber was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet. Ja, ich erachte es noch alles für Schaden gegenüber der überschwenglichen Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn. Um seinetwillen ist mir das alles ein Schaden geworden, und ich erachte es für Dreck, damit ich Christus gewinne und in ihm gefunden werde, daß ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt, sondern die durch den Glauben an Christus kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird. Ihn möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden und so seinem Tode gleichgestaltet werden, damit ich gelange zur Auferstehung von den Toten. Nicht, daß ich's schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich's wohl ergreifen könnte, weil ich von Christus Jesus ergriffen bin. Meine Brüder, ich schätze mich selbst noch nicht so ein, daß ich's ergriffen habe. Eins aber sage ich: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was da vorne ist, und jage nach dem vorgesteckten Ziel, dem Siegespreis der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus. Liebe Gemeinde! Worum geht's hier eigentlich?: Was Gewinn war, ist jetzt Schaden. Was etwas bedeutet hat, gilt nun als Dreck. Die Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt, ist nichts wert gegen die Gerechtigkeit aus dem Glauben. - Was ist hier geschehen? Was hat das Leben des Paulus so verändert, ja, umge- krempelt? Wovon der Apostel hier erzählt, ist seine "Bekehrung" und was sie in seinem Leben bewirkt hat. Es geht also um die Tatsache, dass ein Mensch von einer Stunde auf die andere, durch ein Ereignis, ei- ne Erfahrung von außen zum Glauben an Jesus Christus findet. Wichtig ist an einer solchen Um- kehr, dass der Mensch selbst mehr oder weniger unbeteiligt daran ist, was an ihm geschieht. Wir könnten es so ausdrücken - und so war es ja bei Paulus auch: Jesus Christus handelt an einem Men- schen. ER greift nach seinem Herzen. ER stellt sich dem Glauben vor und ruft zur Entscheidung: Willst du zu mir gehören? Willst du mir dienen? Nun werden wir denken: Gibt es nicht auch andere Wege zum Glauben und zu Gott als solch eine Bekehrung? Und persönlich wird sich mancher von uns fragen: War das bei mir nicht ganz anders, dass ich zu Jesus Christus gekommen bin? Immerhin: In den pietistischen Kreisen unserer evangelischen Kirche ist das ein ganz wichtiges Thema! Und wenn sie schon einmal bei einer Zeltmission waren, dann haben sie bestimmt auch er- lebt, dass bei solchen Veranstaltungen sehr viel von Bekehrung die Rede ist. Vielleicht wurden sie selbst gar gefragt, wann denn bei ihnen Zeit und Stunde war, dass "Jesus Christus in ihr Leben ge- treten" ist und sie sich ihm anvertraut haben. (Und solche Fragen und dieses Drängen auf Bekeh- rung hat in vielen Seelen schon einige Verunsicherung und das schmerzliche Gefühl eines Mangels hervorgebracht!) Aber auch wenn sie solche Erfahrungen noch nicht gemacht haben, heute erzählt uns Paulus davon, wie es bei ihm gewesen ist. Darum lassen sie uns einmal über "Bekehrung" nachdenken, wie Jesus Christus das Leben des Paulus so grundstürzend verändert hat und wie es vielleicht bei uns war, als wir zum Glauben an diesen Herrn gefunden haben. Viele sagen - und es sind auch Christen darunter: So eine Bekehrung von außen gibt es überhaupt nicht. Punktum. Was da von frommen Leuten erzählt wird - alles Humbug! Woher soll ich auch wissen, ob sie wirklich erlebt haben, was sie berichten: Jesus hätte an ihre Tür geklopft ... kam in ihr Leben ... sie haben ihn sogar mit ihren Augen gesehen, hatten Erscheinungen ... Nein, das sind alles Hirngespinste, so sagen manche. Von einer solchen Meinung allerdings würden nicht nur die Erlebnisse ernsthafter Zeitgenossen in Zweifel gezogen - auch der Apostel Paulus fabulierte dann nur von einer Einbildung! Denn auch er sagt ja, er habe Jesus gesehen und gehört, auf dem Weg in der Nähe von Damaskus, wie wir es in der Apostelgeschichte lesen können (Apg. 26, l2ff). Liebe Gemeinde, ganz so einfach wollen wir es uns nicht machen. Vielmehr: Es gibt solche Bekeh- rungen. Es kommt vor, dass Menschen wirklich mit ihren fünf Sinnen in Kontakt mit Jesus treten und dass dieser Kontakt sie tief berührt und bewegt und ihnen eine neue Lebensrichtung weist ... Ich persönlich glaube das und freue mich mit jedem, den das dann wirklich auch zu einem neuen Menschen macht. Wissen sie, ich meine einen Menschen, dem ich das auf Schritt und Tritt abspü- ren kann: Der ist wirklich be-geistert, den hat einer sichtbar er-weckt, bei dem ist alles neu gewor- den ... In diesem Sinn ist ja nun auch Paulus ein gutes Beispiel: Wie er selbst sagt, war er ein Ver- folger Jesu. Was soll ihn denn zum Bekenner und Apostel dieses Herrn gemacht haben, wenn nicht eine totale Umkehr?: "Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet!" So spricht ein Bekehrter, kein Zweifel. Deshalb nehme ich ihm ab, was er gesehen und gehört hat ... vor Damaskus. So und jetzt kommen wir zu den anderen, zu denen, die auch Jesus als ihren Herrn bekennen, wenn sie auch keine Bekehrung erlebt haben - die gibt es nämlich auch! In ihrem Leben ist das vielleicht so gewesen: Von Anfang an waren sie bei diesem Herrn. Schon als kleines Kind, ganz früh hat sie Jesus sozusagen bei der Hand genommen - nicht Aufsehen erregend, nicht sensationell ... Im Kin- dergottesdienst ist ihnen vielleicht aufgegangen: Es macht wirklich Freude, ein wenig so zu leben, wie's Jesus tat, andere so lieb zu haben, wie er mich liebt. Nein, das war keine Bekehrung - viel- mehr ganz leise, fast unmerklich ist hier der Glaube entstanden, das Vertrauen zu diesem Herrn, das ein Leben lang hält ... Oder noch ganz anders kann ein Mensch zu Gott kommen: Da hat sich einer die Hälfte seines Le- bens nicht um seinen Schöpfer und den Glauben geschert. Das war einfach nicht wichtig für ihn ... anderes hatte Vorrang, vielleicht die Arbeit, vielleicht der Lebensgenuss ... Jedenfalls: Die Situation verändert sich, einem Menschen zerbricht viel, woran er hing ... eine Krankheit wirft ihn aufs Lager ... ein Angehöriger stirbt ... Auf einmal kommen andere Gedanken! Fragen, die sich früher nie ge- stellt haben, bedrängen ihn. Ein Buch, das so lange ungelesen war, wird wieder aufgeschlagen. Ein Weg, den der Mensch sonntags früher nie gegangen ist, wird zur Gewohnheit. Langsam erfährt er Trost für seine geängstete Seele. Allmählich begreift er, was Jesus auch für ihn bedeutet. - Auch das keine Bekehrung - und doch ist das Ergebnis das selbe: Einer hat zu Jesus gefunden. Einer kann mit Paulus sprechen: "Um Jesu Willen ist mir das alles ein Schaden geworden, und ich erachte es für Dreck, damit ich nur Christus gewinne." Also, liebe Gemeinde: Ja, zur Bekehrung. So etwas gibt es. Ja aber auch zu all den andern Wegen zu Jesus zu finden, ihm nachzufolgen ... und durch ihn zum Heil zu gelangen. Aber auch das müssen wir wohl sagen: Ein klares Nein zu allen, die ihre Bekehrung wie ein from- mes Ausstellungsstück herumzeigen oder wie einen Heiligenschein. Jesus hat nicht nur diese eine Möglichkeit, Menschen auf seine Seite zu ziehen. Ein klares Nein auch zu allen, die nur schwarz und weiß kennen, Sünder und Bekehrte. Nicht die Art, wie wir zu Jesus kommen, zählt, sondern dass wir kommen. Befleckte Hände haben wir alle, wenn wir vor ihm stehen und uns in seinem Licht betrachten. "Wir sind alle Sünder und ermangeln des Ruhms vor Gott!" Das hat ein Bekehrter gesagt (Röm. 3,23), derselbe Paulus nämlich, der doch Jesus gesehen hat ... Ein klares Nein auch zu allen, die meinen, erlebte Bekehrung garantiere das Heil. Nicht jeder auf die selbe Weise, aber wir gehen alle den selben Weg und vor uns allen liegt das selbe Ziel: der Tod. Was dann kommt - für dich oder mich - steht in eines anderen Hand, und der verteilt nicht schon heute Anrechtsscheine für drüben. Wie sagt Paulus: "Nicht, daß ich's schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich's wohl ergreifen könnte ..." Und wie heißt's im Gleichnis: "Herr, wo haben wir dich hungrig gesehen und hätten dich ge- speist, wo durstig und hätten dir zu trinken gegeben, wo nackt und hätten dich gekleidet ..." Die Er- lösten hätten sich's nicht träumen lassen, den Himmel zu sehen! Keine Spur von Sicherheit! Keine Garantien! Ein klares Nein schließlich auch zu allen, die Bekehrung als ein Zeichen für eine besonders auser- wählte Gemeinschaft in der Gemeinde Jesu Christi ausgeben. Nicht die Art und Weise, wie Jesus uns anspricht ist entscheidend, sondern wie wir ihm mit unserem Leben und Tun antworten. Noch ist nichts ausgemacht: Heil oder Unheil - alles ist offen. Kein Anlass also - für niemanden - sich schon ins Paradies hineinzuträumen. Nur so viel können wir sagen: "Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was da vorne ist, und jage nach dem vorgesteckten Ziel, dem Siegespreis der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus. Mir ist über diesen Gedanken um die Art und Weise, wie wir zum Glauben und zu Gott kommen, noch das Gleichnis vom Verlorenen Sohn durch den Kopf gegangen. Kann man die Sache mit dem Vater und den zwei Söhnen nicht auch gut auf das heutige Thema beziehen?: Der verlorene Sohn hat eine Bekehrung erlebt. Er "kehrt wirklich um", geht zu seinem Vater, um ihn um Vergebung zu bitten. Und der Vater kommt ihm entgegen, freut sich, schließt ihn in die Arme. Der Verlorene hat zu Gott gefunden - durch Bekehrung. Da ist doch aber noch ein zweiter Sohn. Sein Lebtag war er zu Hause, hat mit seinem Vater allezeit gelebt und gearbeitet ... in allem treu nach dem Willen des Vaters. Was sagt uns die Geschichte ü- ber die Beziehung des Vaters zu diesem Sohn? Mindestens doch das: Diesen Sohn hat Gott genau so lieb wie den anderen! Liebe Gemeinde, wie es nun auch immer bei uns gewesen ist, dass wir zu Gott gefunden haben, wichtig ist allein, dass wir jetzt bei ihm sind - und bleiben. AMEN