Predigt zum Sonntag "Laetare" - 21.03.2004 Textlesung: 2. Kor. 1, 3 - 7 Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott al- len Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus. Haben wir aber Trübsal, so geschieht es euch zu Trost und Heil. Haben wir Trost, so geschieht es zu eurem Trost, der sich wirksam erweist, wenn ihr mit Geduld dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden. Und unsre Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen: wie ihr an den Leiden teilhabt, so werdet ihr auch am Trost teilhaben. Liebe Gemeinde! "Alles war damals dunkel und unbegreiflich", sagte die Frau. "Ich liebte ihn ja nicht nur immer noch, ich war auch materiell völlig abhängig von ihm. Ich hatte keinerlei berufliche Vorbildung, denn um seinetwillen hatte ich Jahre zuvor meine Lehre abgebrochen. Ich war ein Nichts ohne ihn, wie sollte meine Zukunft aussehen? Als er Zuhause auszog, tat er es ohne vorherige Ankündigung und ohne zu sagen, wohin er gehen würde. Ich hatte einen seelischen Zusammenbruch. Die Wochen im Krankenhaus waren furchtbar. Ich fühlte mich erniedrigt und verletzt. Ich war in ein tiefes Loch gefallen und kam nicht mehr heraus. Ich habe viel gebetet in dieser Zeit. Ich hatte damals nur den einen Wunsch: Er sollte wieder zurückkommen. Freunde nahmen Kontakt mit ihm auf. Baten ihn, er solle sich seinen Schritt noch einmal überlegen. Es änderte sich nichts. Denn da war ja auch die andere Frau... Aber dennoch: Meine Gebete wurden beantwortet. Immer aufs Neue kam mir dieses Wort in den Sinn, dass ich von früher her kannte: "Lass dir an meiner Gnade genügen!" Immer wieder in meinem Leben hatte ich einmal an dieses Wort gedacht. Jetzt ging es mir nicht mehr aus dem Kopf: "Lass dir an meiner Gnade genügen!" Jetzt verstand ich das Wort erst richtig, Aber ich wollte es doch nicht auf mich beziehen, für mich sollte nicht nur Gnade gelten. Ich wollte selbst etwas machen, erreichen... Irgendwann habe ich mich dann abgefunden: Gnade! - Ich merkte, dass ich doch von irgendwoher gehalten, dass nicht alles zerbrochen war. Und dann sah ich am Ende des Tunnels den Lichtschein. Zuerst ganz schwach, aber mit jedem Tag wurde es heller. Ich betete nicht mehr darum, dass alles wieder wie früher wurde, sondern dass ich die Kraft von oben bekam, den Weg zu gehen, den Gott mir zeigen wollte. Heute weiß ich, dass dieser Weg zwar steil und sehr be- schwerlich war, aber doch der richtige für mich. Ein Weg der Gnade eben." "...der Gott allen Trostes, der uns tröstet bei aller unserer Bedrängnis, damit wir die, welche in al- lerlei Bedrängnis sind, trösten können..." Es hat lange, sehr lange gedauert bei dieser Frau, bis sie sich trösten ließ; was musste erst alles geschehen, bis sie erfuhr, wer zuletzt der einzige Trost ist... Manchmal denke ich, wir begreifen das immer schwerer, je älter wir werden: Gott allein ist unser Trost! Und auch mit dem "Sich-trösten-lassen" haben wir von Jahr zu Jahr größere Schwierigkei- ten. Als Kind, da geht alles noch ganz einfach. Eine kleine Bosheit... ein Klaps vom Vater...großes Geschrei, aber dann ein Kuss, ein Streicheln und alles ist wieder gut. Mit 13 oder 14 ist das schon komplizierter. Die Schläge, die das Leben austeilt, werden härter von Jahr zu Jahr, schmerzen mehr - das braucht schon eine Weile, bis man wieder hochkommt. Aber die Zukunft ist ja noch offen, es gibt noch mehr zu gewinnen, als zu verlieren. Ein Jahrzehnt später aber ist das vorbei, endgültig. Man hat sich viel aufgebaut und vieles ist einem geschenkt worden: Freunde, Beruf, Mann oder Frau, Kinder, ein Haus, ein gewisser Wohlstand... Jetzt gibt's wirklich etwas zu verlieren. Und dann verliert einer und ist ein einziger Schrei und eine einzige Wunde wie die Frau, die uns ihre Ge- schichte erzählt hat. Und dann beginnt die persönliche Passionszeit und dann kommen die Fragen: Warum, warum...was habe ich getan...wie habe ich das verdient... Und gewiss kommen dann auch die Leute und wollen trösten, wollen uns helfen... Irgendwann geht es uns allen einmal so! Aber der, den's getroffen hat, der will sich nicht trösten lassen. Wer am Boden liegt, hört sie nicht, deine mitfühlenden Worte, will sie nicht hören, kann sie nicht hören. Irgendwann geht es uns allen so! Und dann hilft wirklich nur noch dieses Wort, dieser Gedanke: "Lass dir an meiner Gnade genü- gen!" Nur einer kann uns wirklich und nachhaltig aufrichten: Der Gott allen Trostes! "Denn wie die Leiden Christi überaus reichlich über uns kommen, so ist durch Christus auch unser Trost überaus reichlich." Jetzt fragen wir: Kann uns denn das Leiden nicht überhaupt erspart bleiben? Ich glaube nicht! Ja, können wir denn dann nur warten, bis wir dran sind? Nein, nicht nur warten, wir können uns auch vorbereiten. Es kommt darauf an, wie uns das Leid antrifft, wenn's uns trifft. Lernen wir das: Sich- trösten-lassen mit den Trost, der von Gott kommt, Sich-genügen-lassen an seiner Gnade... Liebe Gemeinde, nein, ich möchte nicht Ängste schüren. Ich möchte das Vertrauen stärken. Das Vertrauen darauf, dass wir nicht untergehen, komme was da wolle. Es ist eine erstaunliche Erfah- rung, dass die Gnade Gottes tatsächlich zum Leben genügt. Aus den Selber-getröstet-Werden, sagt Paulus, erwächst der Trost für andere. Und trösten heißt: Bei einem anderen Menschen sein in seiner Not, bei dem, der untröstlich scheint in seinem Leid... Liebe Gemeinde, ich möchte heute wirklich einmal alle die bitten, die Trost im Leiden gefunden haben, denen davon weiterzugeben, die gerade jetzt tröstende, helfende Worte und Taten brauchen. Sie können hingehen und für die vom Schicksal Geschlagenen ein wenig Zeit aufbringen. Sie können doch davon reden, dass keiner zuschanden wird, der sich auf Gott verlässt. Sie können doch von der Bewahrung in aussichtsloser Lage erzählen. Sie können doch dafür gerade stehen: Gott führt ins Dunkle, aber er hilft auch hindurch. Sie könnten anderen zur Hilfe werden. Sie könnten trösten. Ich kann sie nur bitten: Sprechen sie zu den Menschen, die leiden von ihrem Glauben an den Gott des Trostes. Berichten sie von ihren Erfahrungen: Ein Unfall und die dachten, jetzt ist alles aus, davon erholst du dich nie mehr... aber die Verletzungen heilten, die zerschlagenen Glieder ließen sich wieder gebrauchen, es blieben nur Narben zurück. Wussten sie damals nicht: Hier hat ein anderer seine Hand im Spiel ge- habt, hat geholfen, wo sie nichts mehr auf ihr Leben gegeben haben? Das kann anderen zum Trost werden. Berichten sie von ihren Erfahrungen: Eine Ehekrise. Man hatte sich nichts mehr zu sagen, es sei denn Böses. Man sprach von Trennung, plante, den Schlussstrich zu ziehen. Da, aus den Trümmern keimte etwas auf, kaum wahrnehmbar zuerst, aber dann versuchte einer doch wieder ein Lächeln, eine Berührung, der Bann war gebrochen, die Gemeinsamkeit hatte wieder Zukunft. - Was bewirkte den Umschwung? Guter Wille? Alte Liebe, die angeblich nicht rostet? Ihr Glaube hat mehr dahinter gesehen! - Was sie erlebt haben, kann anderen zum Trost werden. Berichten sie von ihren Erfahrungen: Der Tod eines lieben Menschen. Es war als stürze die Welt ein. Wie ohne ihn leben, ohne ihn auskommen. Wo sollte jetzt noch Sinn sein, wofür noch da sein? Es hat lange gedauert, war eine endlose, schreckliche Zeit, bis...ja, bis da wieder - ganz unverhofft - eine zarte Regung von Freude war und ein wenig neuer Mut und eine neue Aufgabe und ein kleines Hoffen auf neue Erfüllung... Wer das durchgemacht hat und da hindurchgekommen ist, weiß, wem er das verdankt. - Das kann durch sie anderen zum Trost werden. Vielleicht lernen andere Menschen von ihnen, was sie schon erfahren haben: Leiden macht das Le- ben tiefer und bewusster. Es zerstört zwar das oberflächliche Glück, aber es enthüllt uns, wer wir wirklich sind, wenn all das Äußere von uns abfällt: Unser falsches Lächeln, die Masken, die wir tragen, die Fassade, die wir aufgebaut haben. Das Leiden zeigt uns, wie's da drinnen wirklich aus- sieht, im Herzen, in der Seele. Das Leiden weist uns immer neu zurück auf Gott und wir brauchen ihn, da gibt es gar keinen Zweifel. Und die Menschen brauchen uns, die Leute, denen nichts erspart geblieben ist. Wir können trösten und helfen. Vielleicht lernen wir dann alle miteinander Gott zu loben und so zu sprechen: "Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott."