Predigt zum Sonntag "Estomihi" - 22.02.2004 Textlesung: 1. Kor. 13, 1 - 13 Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen, und hätte die Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze. Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kom- men wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin. Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen. Liebe Gemeinde! Das sind wirklich ganz wunderschöne Worte! Man nennt diese Verse ja auch das "Hohelied der Liebe". Da stehen die Chancen sicher gut, dass wir die Predigt heute einmal richtig genießen kön- nen und keiner sich ärgern muss - wie es doch wohl öfter in den vergangenen Wochen gewesen ist, nicht wahr? "Die Liebe ist langmütig und freundlich..." Das zergeht einem ja geradezu auf der Zun- ge. Da verbieten sich wirklich alle trüben Gedanken. Da geht uns das Herz auf. "Die Liebe glaubt alles, duldet alles, hofft alles..." Wirklich: das Hohelied der Liebe! Aber haben sie auch den letzten Satz gehört? Das ist ja oft so: Das wichtigste kommt am Schluss: "Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen." Gewiss war das für keinen von uns etwas Neues. So hätten wir alle auch entschieden, wenn wir ge- fragt worden wären: Was ist für den Christen am wichtigsten? - Und da hätten wir diesen Vers noch nie gehört haben müssen. Ich will aber heute einmal anders fragen - auch wenn es wieder ärgerlich wird: Sieht man das unse- rem Leben auch an, dass wir die Liebe für das größte halten? Ja, unserem Leben, deinem und mei- nem? Denn das fällt doch auf bei dieser Dreiheit: Der "Glaube" und die "Hoffnung" haben wohl mehr mit meinem Herzen, meiner Seele, meinem inneren Menschen zu tun. Die "Liebe" aber muss man sehen, fühlen, handfest spüren können! Ich frage also heute: Spürt und sieht man uns die Liebe ab, die wir drinnen im Herzen empfinden? Wenn ich damit einem käme, dessen Christentum sich im Kirchgang am Heiligen Abend erschöpft, so würde der vielleicht sagen: "Liebe - klar ist die das größte, und ich liebe meine Frau und meine Kinder ja auch!" Aber, das sehen sie sicher genau so: das ist schon mehr eine Karikatur. Diese Lie- be ist sicher nur ein kleines Stück der viel umfassenderen Liebe, die hier gemeint ist. Ein anderer würde vielleicht auf seine letzte Spende für "Brot für die Welt" verweisen oder auf sein Engagement für die Kindernothilfe. Ich denke aber, auch hier ist die "Liebe" von der Paulus spricht, nicht richtig verstanden. Diese Liebe ist ja sicher nicht nur hie und da zu sehen. Die kann ich ja wohl nicht nur an einigen Höhepunkten meines christlichen Alltags erkennen, sondern mit ihr ver- hält es sich so: "Die Liebe höret nimmer auf", und sie ist immer an und in mir, sonst bin ich nicht mehr als eine ''klingende Schelle und ein tönendes Erz", ja, sonst bin ich "ein nichts"! Also müsste ich eigentlich die Frage noch verschärfen: "Sieht man uns die Liebe an und zwar im- mer und überall?" - Ich will dabei jetzt wirklich einmal uns fragen, uns hier in der Kirche - ganz di- rekt: Leben wir die Liebe der Christen - jederzeit? Mir fallen da Äußerungen ein, die ich immer wieder einmal höre: "Ich glaube an meinen Herrgott!" - "Ich bin gläubig erzogen und bleibe bei dem, was ich gelernt habe!" - "Ich hoffe auf ein Leben nach dem Tod." - "Wie gut, dass es die Hoffnung auf den Himmel gibt." Nein, das sind keine schlechten Sätze! Aber ist das vor diesem Wort genug?: "Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen!" Ich will niemandem den Glauben madig machen. Schon gar nicht will ich jemandem die Hoffnung nehmen oder auch nur schmälern. Aber ich möchte erinnern - daran, was wir ja schon lange wissen: Die Liebe ist das wichtigste! Darum kommt es darauf an, dass man von meinem Christentum auch etwas sehen und spüren kann! Und natürlich: Erst einmal meine nächsten Mitmenschen! Ich kann ja doch glauben und hoffen, was ich will; wenn das nur eine Sache in meinem Innern bleibt, hat niemand etwas davon. Ja, wenn sich mein Herzensglaube nur im Gang zum Gottesdienst am Sonntagmorgen erschöpft, dann hilft das meinem Nachbarn nicht, denn so früh ist der noch gar nicht auf den Beinen. Dann aber dient die Liebe doch auch mir selbst - und nicht zu knapp! Und ich meine nicht die Ei- genliebe, die Ichsucht, sondern die Liebe zum Nächsten. Sie ganz praktisch zu üben, schenkt eine unbeschreibliche Freude. So sagen Menschen, die sich jederzeit um Liebe bemühen, übereinstim- mend. In einer solchen herzlichen Liebe liegt so viel Sinn, das Gefühl wichtig zu sein, nötig für an- dere, sie schenkt Wärme und beglückende Erlebnisse... Wie gesagt: unbeschreiblich. Darum will ich es auch nicht weiter versuchen, diese Liebe auszumalen. Ihr Fehlen allerdings lässt sich besser beschreiben. Ein Leben zu schildern, in dem nicht die Liebe regiert und das Handeln bestimmt, dafür finde ich leichter die passenden Worte: Da ist es nämlich zum Frieren kalt - selbst im Hochsommer; da herrschen die Interessen an Geld und Sachen, da ste- hen nicht die Menschen im Mittelpunkt. Leben heißt da: Alles Mitnehmen, was sich bietet. Nichts wird ausgelassen, was Vergnügen verspricht. Und doch: die Fülle des Lebens stellt sich so nicht ein. Vielmehr: Im tiefsten Grunde freudlos sind die Tage. Das Leben wird in der falschen Richtung gesucht. Das Nehmen wird zum Zweck des Daseins, das Haben, das Habenwollen und das Behal- ten. Und doch könnten auch solche Menschen so sprechen: Aber meinen Glauben habe ich! Und: Ich hoffe auf Gottes ewige Welt. - Und es wäre die Wahrheit, denn es fehlen ihnen nicht Glaube und Hoffnung, sondern die Liebe. Sie haben Glauben an Gott, sie haben Hoffnung auf seine Zu- kunft - und sie sind doch nur ein "tönend Erz und eine klingende Schelle"! Ja, das Urteil ist noch härter: Sie sind "ein nichts". Liebe Gemeinde, hier - in diesem so wunderschönen Text - sind doch auch Fragen aufgeworfen, die uns nicht ruhig lassen. Jeder kann und soll sie für sich selbst beantworten: Wie sieht es mit der Lie- be aus bei mir. Lebe ich sie täglich, allezeit? Aber nehmen wir die Fragen nicht zu leicht und ver- drängen wir sie nicht zu schnell. Sie sind wichtiger als die politischen Tagesereignisse. Vor ihrer Bedeutung verblassen die Termine, denen wir täglich nachkommen. Das Wetter oder die gegenwär- tige Form unseres Vereins sind dagegen absolut gleichgültig. Denn in diesen Fragen geht es ums Ganze - um das Leben! Hier steht alles auf dem Spiel! Mir bleibt jetzt nur der Hinweis auf den, der Ursprung und Vorbild für diese Liebe geworden ist - und der uns auch die Kraft schenken kann, mehr zu werden als ein "tönendes Stück Metall oder ei- ne scheppernde Glocke". Ich spreche von Jesus Christus. Hat ER viel darüber gesprochen, woran er glaubt? Hat ER Worte über seine Hoffnung gemacht? "Wir haben einen Vater im Himmel, der uns lieb hat", das hat er gesagt. Und dann hat er die Liebe des Vaters gelebt: Die Ehebrecherin, von der die Gerüchte gingen, hat er in Schutz genommen. Beim Zöllner Zachäus kehrt er ein, um ihm zu zeigen: auch du zählst bei Gott. Selbst dem heidni- schen Hauptmann kann er seine Hilfe nicht verweigern, weil der ihn so inständig bittet. Den Jün- gern wäscht er die Füße. Für uns alle trägt er das Kreuz. Unsere Schuld nimmt er weg. Für uns alle stirbt er. Ein Weg der Liebe. Ihm konnte man abnehmen, dass ihn in seinem Innern auch Glauben und Hoffnung getragen hat. An seiner Liebe haben wir's gesehen, erfahren, ein für allemal, bei- spielhaft - zum Nachahmen. Wie gesagt: Er kann auch die Kraft schenken, die gelebte Liebe durch- zuhalten. Darum wollen wir auf ihn sehen, wir "Christen" und es nach Kräften ihm gleichtun mit unserer Liebe. Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen!