Predigt zum 2. So. n. Epiphanias - 18.01.2004 Textlesung: Röm. 12, (4 - 8) 9 - 16 Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied, und haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Ist jemand prophetische Rede gegeben, so übe er sie dem Glauben gemäß. Ist jemand ein Amt gegeben, so diene er. Ist jemand Lehre gege- ben, so lehre er. Ist jemand Ermahnung gegeben, so ermahne er. Gibt jemand, so gebe er mit lau- terem Sinn. Steht jemand der Gemeinde vor, so sei er sorgfältig. Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er's gern. Die Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an. Die brüderliche Liebe untere- inander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor. Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im Geist. Dient dem Herrn. Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet. Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft. Segnet, die euch verfolgen; segnet, und flucht nicht. Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden. Seid eines Sinnes untereinander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den geringen. Haltet euch nicht selbst für klug. Liebe Gemeinde! Was wir eben gehört haben, nennt die neutestamentliche Theologie einen Tugendkatalog. Und wahrhaftig, es ist eine ganze Liste von beherzigenswerten christlichen Eigenschaften: Übt Barm- herzigkeit, liebt ohne Falsch, hängt dem Guten an, seid nicht träge, hofft, betet, seid geduldig... Aber ich habe mich schon gefragt, ob das nicht ein bisschen viel auf einmal ist? Und ob der begle- itende Zeigefinger, den wir bei jedem Satz dieser Liste geradezu sehen können, das Richtige ist, den Hörern oder Lesern des Tugendkatalogs Lust auf das entsprechende Verhalten zu machen? Wäre es nicht besser, wenn uns eine einzige Haltung empfohlen würde, die alle anderen Anweisun- gen wie ein Leitsatz umfasst? Und wenn das ganz ohne Moralin und ohne diesen hier doch auch spürbaren Druck geschähe? Vielleicht so ähnlich, wie wir das von der Schule her kennen, wenn uns mit einem Gedanken vor Augen geführt werden sollte, was eigentlich der Hintergrund allen Lernens, aller Paukerei und aller mit englischer Grammatik oder dem Satz des Pythagoras verbrach- ten endlosen und meist langweiligen Stunden sein soll. Und ich bin ganz sicher, dieses Wort ken- nen sie alle: "Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir!" Wenn wir das beherzigen könnten, dann müsste eigentlich alle Anstrengung, alles Schinden und Schuften, alle empfundene Härte von Schulbänken und stundenlangen Hausaufgaben vergessen sein...müsste...wenn wir es könnten... Nun war das früher sicher anders mit der Schule und dem Leben. Es gab vor dem Hintergrund dieses Satzes weniger Fragen: Ja, wir haben für das Leben gelernt. Das war eine klare Sache. Denn wir konnten meist vor 30 und noch vor 20 Jahren nach der Schulzeit auch das werden, was wir wollten und unseren Lebensplan haben wir damals wirklich noch weitgehend selbst geschrieben. Und dann - später - konnten wir es auch wirklich spüren: Dies und das aus der Schule ließ sich wirklich gebrauchen. Anderes fehlte uns und wir haben vielleicht dann - bei einer für uns schwer lösbaren Aufgabe - gedacht: Hätte ich doch in Mathematik besser aufgepasst, wäre ich doch in Sozialkunde bei diesem Thema aufmerksamer gewesen. Das ist heute anders. Welcher junge Mensch kann schon noch seinen Traumberuf lernen? Die meis- ten müssen doch nehmen, was in ihrer Region und für ihren Schulabschluss überhaupt noch ange- boten wird. Da wäre es schon fast ein Zufall, wenn wir das, wofür wir immer besonders gut gelernt haben, auch im Leben verwenden könnten. Wofür soll das etwa dienen, wenn einer gute Aufsätze geschrieben hat, wenn er dann eine Metzgerlehre machen muss, weil er halt nichts anderes kriegt? Und umgekehrt wird das auch die jungen Menschen in den letzten Klassen der Schule beeinflussen: Warum Lateinisch oder Biologie pauken, wenn für mich doch nur eine Stelle als Friseuse, an einem Fließband oder gar die Arbeitslosigkeit von Anfang an drin ist? (Der Wert der "Bildung an sich" wird naturgemäß sehr klein, wenn der Lebensunterhalt nicht mehr garantiert ist!) Aber zurück zum Tugendkatalog des Paulus: Übt Barmherzigkeit, liebt ohne Falsch, hängt dem Guten an, seid nicht träge, hofft, betet, seid geduldig... Gibt es hier auch so einen Gedanken, hinter den einzelnen Empfehlungen, um den man sich zuerst bemühen könnte? Ich habe einen kleinen Satz von nur vier Wörtern in der Liste des Paulus so gelesen, nämlich diesen: Dient dem Herrn. Ja, ich höre das so ähnlich wie damals den Merksatz aus unserer Schul- zeit: Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir. - Dient dem Herrn... Wer sich dem ver- schreibt, der wird fast wie von selbst auch die einzelnen Vorschriften des Tugendkatalogs befolgen. Wir kennen den "Herrn" ja alle. Wir wissen, wie er gelebt hat. Wir haben von seiner Liebe erfahren. Seine Treue zu uns, ist der Grund, auf dem wir stehen und weshalb wir ihm vertrauen. Sein Opfer am Kreuz, sein Leiden und Sterben für uns gibt uns Hoffnung und Geduld. Weil wir an seine Auf- erstehung glauben, beten wir zu ihm in der Gewissheit, dass er uns hört. Und weil wir ihm mit un- serem Leben ein wenig von seiner Güte zurückschenken wollen, darum sind wir nicht träge, darum lieben wir ihn und die Mitmenschen und hängen nach Kräften dem Guten an... Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Sätzen: Dient dem Herrn und dem anderen, "nicht für die Schule lernen wir..." Die Bedingungen für das Leben, die Ausbildung und die Arbeit, die Bedeutung dessen, was wir uns in der Schule als Wissen und an Fertigkeiten angeeignet haben, sind ganz anders geworden! Das Lernen in der Schule hat mit dem Leben, das uns später meist aufgezwungen wird, leider herzlich wenig zu tun. Ganz selten einmal stimmt da- rum heute die Wahrheit dieses Wortes: Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir. Der Satz müsste heute vielleicht so heißen, wenn das auch bitter klingt: In der Schule haben wir viele Dinge gelernt, die wir im Leben nie brauchen werden, denn das Leben fragt nicht nach unserem Können, nicht nach unseren Wünschen und schon gar nicht nach unseren Träumen. Und hier eben ist das anders mit diesem Wort: Dient dem Herrn! - Der Herr ist der Sohn des ewigen Gottes. Was er für uns getan hat, das bleibt gültig und wirksam in allen Zeiten, so lange Menschen auf Erden wohnen. Das hat das Leben unserer Ahnen erfüllt, dem Herrn zu dienen, das kann unser Leben rund machen und gelingen lassen und das wird noch unseren Kindern und Kinde- skinder Erfüllung und Sinn ins Leben geben. Dient dem Herrn. Dieser Satz hat kein Verfallsdatum wie so vieles andere in unserer Zeit. Wer ihn befolgt, hat die Mitte, den Halt und den Grund seines Lebens gefunden. Ja, mehr noch: Wer dem Herrn dient, der kann schon über die Grenze des Todes hinausblicken, der ist schon durch das Sterben hindurch gegangen, der ist schon Bürger in Gottes neuer Welt und die Hoffnung auf die Ewigkeit gibt ihm schon Kraft für das Leben in dieser Welt, in der Gegenwart. Wer damit wirklich ernst macht, dem Herrn zu dienen, der übt auch alles das, was Paulus hier im Einzelnen aufzählt: Übt Barmherzigkeit, liebt ohne Falsch, hängt dem Guten an, seid nicht träge, hofft, betet, seid geduldig... Nun haben diese beiden Worte aber auch mit einander zu tun: Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir. Und: Dient dem Herrn. Und da will ich hier weiß Gott keinen billigen Trost ver- breiten! Aber wird es nicht wirklich - angesichts eines Arbeits- und Berufslebens, das immer weni- ger unsere Pläne und Wünsche nach Sinn und Freude erfüllt - immer wichtiger, dass wir irgendwo festen Halt finden, dass wir uns auf einen Grund stellen, auf ein Fundament bauen können, denen der Wandel der Zeiten und der Welt nichts anhaben kann!? Dient dem Herrn! Hier ist dieses Fun- dament! Hier ist der Felsen, der unser Lebenshaus trägt, mögen auch die Stürme der Enttäuschung, die Wasser des Zweifels und die Erschütterungen unseres Vertrauens darüber hin gehen. Dient dem Herrn - und seid gewiss: Nichts ist vergeblich getan, was wir um seiner Liebe willen tun. Nichts bleibt ohne Sinn, was uns der Glaube an ihn gebietet. Nichts und niemand kann uns die Zukunft nehmen, die uns um seines Kreuzes willen geschenkt ist. Keiner geht verloren, der sich an ihn klammert. Niemandes Gebet bleibt ungehört, der zu ihm ruft. Jeder gute Traum wird in Gottes neuer Welt zu Ende geträumt. Jede Hoffnung vollendet sich in der Ewigkeit. Dieser Satz stimmt: Nicht für das Leben allein, dienen wir dem Herrn! Aber ihm zu dienen, gibt noch in ein Leben Erfüllung und Zuversicht hinein, das ganz anders verläuft, als wir es uns in der Schulzeit erträumt und für das wir uns mit unserem Lernen vorbereitet haben.