Predigt zum 2. Christtag - 26.12.2003 Textlesung: Hebr. 1, 1 - 6 Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch den er auch die Welt gemacht hat. Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort und hat vollbracht die Reinigung von den Sünden und hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe und ist so viel höher geworden als die Engel, wie der Name, den er ererbt hat, höher ist als ihr Name. Denn zu welchem Engel hat Gott jemals gesagt (Psalm 2,7): »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt«? Und wiederum (2. Samuel 7,14): »Ich werde sein Vater sein, und er wird mein Sohn sein«? Und wenn er den Erstgeborenen wieder einführt in die Welt, spricht er (Psalm 97,7): »Und es sollen ihn alle Engel Gottes anbeten.« Liebe Gemeinde! Irgendwie passt das doch nicht so recht zusammen, oder: Unsere Vorstellung von der Geburt Jesu, von allem, was wir in unseren Gedanken damit verbinden und vor Augen haben, wenn wir an die Heilige Nacht denken - und diese hohen Worte: Jesus ist der Abglanz von Gottes Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens...zur Rechten der Majestät in der Höhe und ist so viel höher geworden als die Engel...es sollen ihn alle Engel anbeten... Ich habe andere Bilder im Sinn, wenn ich das hö- re: Es begab sich aber zu der Zeit... Ich kann das nicht mit "Gottes Herrlichkeit" reimen, wenn zer- lumpte Hirten an die Krippe treten und den Viehtrog als Bettchen nicht mit seiner Majestät... Oder passt das vielleicht doch? - Aber schauen wir noch einmal genauer hin, was damals in Bethlehen geschehen ist, dann wird deutlich, was ich meine. Dazu stelle ich jetzt das Bild jener Nacht, wie es in meinem Kopf ist, vor ihre Augen: Zunächst male ich mit dunklen Strichen die Nacht. Nur Mond und Sterne geben ein wenig Licht. Wenn sich unsere Augen an das Dunkel gewöhnt haben, sehen wir mehr. Da ist der Stall. Ein pri- mitiver Verschlag, die Bretter von rostigen Nägeln gehalten, die Ritzen dazwischen notdürftig mit Stroh verstopft. Und doch pfeift der Wind durch die Fugen. Es ist zugig und kalt im Innern. Aber wir gehen noch nicht hinein. Wir schauen hinüber dorthin, wo in den Fenstern einiger Häuser noch Licht brennt. Zwei, drei Hände voll Häuser, das ist der ganze Ort. Das ist Bethlehem, die "kleinste unter den Städten in Juda", weiß Gott, keine Königsstadt. Aber immerhin, diesem Städtchen gilt die Verheißung: "Aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei..." (Mi. 5,1) Ist es schon soweit? Nein, im Stall rührt sich noch nichts. Wir haben noch Zeit, uns die Umgebung ein wenig anzuschauen. Da und dort verstreut kleine Gruppen von Menschen ums Feuer geschart. Es sind Hirten, die Schafe und Ziegen bewachen, denn wilde Tiere gibt's überall in dieser Gegend. Es sind nicht ihre Schafe, nicht ihr Vieh. Sie sind nur Tagelöhner. Fremde Gutsbesitzer, reiche Her- ren haben sie gedungen. Von denen bekommen sie ihr karges Brot. Und so sehen sie auch aus wie Habenichtse. Wilde Gestalten, in Lumpen gehüllt, auch Krüppel darunter, die sonst keine Arbeit verrichten können. Es sind verachtete Menschen, diese Hirten. Vieh hüten, dafür gibt sich in Israel keiner gern her. Das macht nur der, der sonst nichts, aber auch gar nichts hat finden können. Man sieht's ihnen an, diesen Männern, manch hartes Schicksal kann man in ihren Zügen lesen. Wohl ei- nige haben bessere Tage gesehen, aber hier draußen bei der Herde ist Endstation. Man hofft nichts mehr. Wartet nicht mehr auf bessere Tage. Auf wen auch sollten sie warten? Wer könnte etwas für sie tun, wer sich mit ihnen abgeben? Auf einmal ist da ein Glanz, alles wird hell wie am Tag. Die Hirten recken die Köpfe, Angst und Schrecken steht in ihren Mienen. Und in ihre Furcht und ihr Entsetzen hinein eine Stimme: "Fürch- tet euch nicht! Denn siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren soll, denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr." (Lk. 2,11f) Was mögen diese rauhen Gesellen jetzt empfinden? Was geht ihnen jetzt durch den Kopf? Wir wis- sen es nicht. Wir sehen nur, was weiter geschieht. Kaum ist wieder Nacht, kaum ist der Lichtglanz verschwunden, da kommt Bewegung in die Männer. Wie sagte der Engel?: "Das habt zum Zeichen: Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend." Was ist in diese Menschen gefahren, die eben noch reglos uns Feuer saßen? Sie brechen auf, eilig, jeder will der Erste sein, atemlos in Richtung Bethlehen. Die Schafe bleiben zurück, ohne Bewachung, den rei- ßenden Tieren preisgegeben. Was bewegt diese Menschen, was treibt sie? Ist doch noch Hoffnung in ihnen? Als sie den Stall erreichen, als die Tür sich knarrend auftut und das Licht von drinnen nach draußen fällt, was geschieht da nicht alles in diesen Gesichtern: Wie viel Staunen ist da auf einmal, wie viel Erwartung lesen wir in diesen Augen, wie viel Freude scheint da durch... Dabei - viel gibt's nicht zu sehen! Zwei Menschen, ein Mann und eine Frau, ärmlich gekleidet wie sie. Sicher keine reiche Leute, denn die Frau hat ihr Kind hier bekommen müssen, im Viehstall - und den mussten sie noch mit Ochs und Esel teilen. Wirklich, nichts besonderes, eine Armeleute-Geburt. Aber da war doch diese Stimme gewesen, der Engel hatte es ihnen verheißen und genauso war es nun. Es stimmte alles:: Bethlehem, der Stall, das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe... Jetzt fällt wohl manchem die alte Prophezeiung ein: "Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns ge- geben und die Herrschaft liegt auf seiner Schulter..." (Jes. 9,5) Sollte das heute wahr geworden sein? Ist das der Messias, der Christus...in der Krippe, im Viehstall, auf Stroh gebettet? Dann ist ja doch noch Hoffnung für so armselige Kreaturen wie diese Hirten. Wenn der Sohn Got- tes im Futtertrog beginnt, dann will er es ja wohl nicht besser haben als sie. Wenn Gott selbst in diesem Kind so klein und ohnmächtig auf Erden anfängt, dann lohnt es sich vielleicht doch, auf bessere Zeiten zu warten. Die Hirten wissen den Grund ihrer Freude: Der Heiland wird nicht im Pa- last geboren, er liegt nicht in goldener Wiege, nicht in Daunendecken gehüllt. Arm ist er wie sie, ärmer vielleicht noch, Kind einfacher Leute, für die kein Platz war in der Herberge. Und zu ihnen kam der Engel! Sie waren die ersten, denen die Botschaft gebracht wurde, sie, die Verachteten, die Ausgestoßenen, sie, für die kein Platz ist in der menschlichen Gesellschaft. - Dann ist also doch noch Hoffnung?! Können wir uns wundern, wenn diese Menschen sich nun aufmachen, jetzt, da es schon dämmert, wenn sie jedem, den sie treffen weitersagen, was sie gesehen und gehört haben. Jedem bringen sie die gute Nachricht. Wie toll führen sie sich auf, wie trunken von der großen Freude: Uns ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr. Zu ihnen ist er gekommen, zu solchen armen Menschen. - Ja, es ist also noch Hoffnung! Liebe Gemeinde, seltsam ist das mit dieser Geschichte, aber ich glaube jetzt - so verrückt es klingt - , gerade die Armseligkeit dieser Bilder zeigt den "Abglanz von Gottes Herrlichkeit"! Und die ganze Szene und ihre Figuren wollen uns das "Ebenbild des göttlichen Wesens" vor Augen führen. Und da passt nun doch alles zusammen von Anfang bis Ende: Es war die kleinste Stadt in Juda - weil Gottes Wesen sich zu den Schwachen und Kleinen hält. Die Eltern Jesu waren keine reichen Leute - weil Gott gerade darin herrlich ist, dass er den Ärmsten und Geringsten ein Bruder wird. In der Herberge war kein Platz, so blieb nur der Viehstall, die Krippe - weil Gottes Majestät nicht darin zu erkennen ist, dass er in einem Palast wohnt, sondern dass er den Menschen nah ist, die elend und ohne Hoffnung sind. Weil Gottes Größe ganz anders ist, als wir sie uns vorstellen und erwarten, darum erscheint der Engel den Hirten zuerst, diesen armen, verachteten Menschen, den Ausgesto- ßenen, den Randsiedlern der Gesellschaft. - Ja, da stimmt alles zusammen: Die Botschaft von Got- tes Herrlichkeit und Majestät und die Niedrigkeit dieser Szene, wie sie die Weihnachtsgeschichte erzählt. Und das Beste daran ist vielleicht dies: Das Kind, das da geboren wird, bleibt so arm. Dieser Jesus wird auch später nicht haben, wo er sein Haupt hinlegen kann. Und er wird's weiter mit den Verachteten halten, mit Sündern, Zöllnern, Dirnen, den Kranken und Aussätzigen. Für solche Men- schen ist er gekommen. Für solche Menschen geht er ins Leiden und ans Kreuz. Solchen Menschen bringt er Erlösung von Sünde und Tod. Und solche Menschen begreifen das Wunder dieser Geburt: Sie sehen in ihr und in diesem Armeleute-Kind die Herrlichkeit des großen Gottes und sie können die Freude daran empfinden. Alle, die arm sind, wie diese Hirten, alle, die keine Hoffnung mehr haben, die nicht wissen, worauf sie noch warten sollen, verstehen diese gute Nachricht: Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens und trägt alle Dinge mit seinem kräf- tigen Wort und hat vollbracht die Reinigung von den Sünden und hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe und ist so viel höher geworden als die Engel, wie der Name, den er ererbt hat, höher ist als ihr Name. Ja, liebe Gemeinde, es ist noch Hoffnung!