Predigt zum 11. Sonntag nach Trinitatis - 23.8.2009 Textlesung: Lk. 18, 9 - 14 Er sagte aber zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden. Liebe Gemeinde! Das wird nicht leicht gewesen sein für die „Frommen“, denen Jesus diese Beispielgeschichte erzählt, ihre eigene Rolle darin einzunehmen! Der Pharisäer kommt nun wirklich nicht gut weg. Di- eser Stolz, dieser Hochmut! Er kann’s nicht einmal lassen, vor Gott, der doch längst davon weiß, auf sein Fasten und Almosengeben zu pochen. Und alle anderen hält er für Räuber, Betrüger und Ehebrecher. Noch in der Versenkung des Gebets hat er Gedanken an den Zöllner frei, hat ihn im Auge und kann sich mit ihm vergleichen. Und selbstverständlich schneidet er selbst dabei gut ab! - Wer möchte so sein wie dieser Pharisäer? Und wie ist es mit der Rolle des Zöllners? - Der wird ja unter die Betrüger und Räuber gezählt. Und das war auch sicher richtig. Zöllner nahmen im Auftrag der Römer Gebühren für die Benutzung von Straßen und die Passage an Toren. Und sie nahmen meistens mehr als angemessen und recht war. Deshalb waren sie auch meist sehr wohlhabend ... und sehr verachtet beim Volk. Welche Rolle werden die Hörer der Geschichte also eingenommen haben? Wir wissen es nicht ge- nau. Was allerdings die Absicht Jesu war, ist weniger fraglich. Da müssen wir nur den letzten Satz der Geschichte lesen: „Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“ Hier wird es ganz klar: Der Pharisäer erhöht sich selbst und Jesus meint: Ihr Frommen, die ihr euch besser dünkt als andere, ihr seid wie dieser Pharisäer! Aber ob Jesus das den Hörern seiner Geschichte wirklich vermitteln konnte? Es mag ja noch ange- hen, wenn er ihnen rät, sich mit ihrer Überhebung ein wenig zu bremsen: Es sind nicht alle anderen gleich Räuber und Ehebrecher, nur weil sie vielleicht weniger fasten und opfern als ihr! Aber der Vergleich mit den verhassten Zöllnern, der war doch ein wenig zu stark! Und der Gipfel ist, dem Zöllner auch noch zuzusprechen, dass er „gerechtfertigt“ vor Gott nach Hause ging! Andererseits: Wer so denkt wie der Pharisäer im Beispiel, der muss aufgerüttelt werden, der muss es ganz hart und ganz deutlich gesagt bekommen, was er eigentlich für ein unmögliches Denken und Verhalten an den Tag legt! Wir wissen es doch und sagen es auch im Sprichwort, dass „auf ei- nen groben Klotz ein grober Keil gehört“. Und da sind wir bei uns ... und können jetzt beweisen, dass wir die Wahrheit dieses Sprichworts auch selbst ertragen. Denn es ist kein Zweifel: Auch uns erzählt Jesus die Geschichte nicht, weil wir zuerst dem Zöllner gleichen! Wir müssen uns schon in der Rolle des Pharisäers sehen und ich glaube, es gibt Anhaltspunkte bei jeder und jedem von uns, dass etwas von diesem Pharisäer in uns ist: Haben wir nicht schon manchesmal am Sonntag - vielleicht sogar heute! - gedacht, dass es Gott doch sicher gut gefällt, wenn wir uns in seiner Kirche sehen lassen!? Und es könnte doch wohl sein, dass wir dann an eine oder einen anderen gedacht haben, bei denen das nun wirklich ganz anders ist ... die den halben Sonntag verschlafen und nachdem sie ausgeschlafen haben, demonstrativ auf der Straße ihr Auto waschen. Und kennen wir nicht auch die Gedanken, die uns manchmal kommen und uns gar nicht so unan- genehm sind, dass wir doch eigentlich ganz gute, christliche Menschen sind, die einiges für ihre Mitmenschen, für Gott und ihre Kirchengemeinde tun. Und kamen da dann nicht auch diese oder jene Verwandte, Nachbarn und Kollegen vor unsere inneren Augen, die hier gewiss weniger gut abschneiden würden? Manchmal ist es auch so, dass wir uns mit bestimmten Menschen überhaupt nicht mehr einlassen. Es ist, als ob diese Menschen nicht auf der Höhe unseres geistlichen Standes lebten. An sie auch nur zu denken, gilt uns als Zeitverschwendung. Ihr Leben spielt sich auf einer anderen Ebene ab, vielleicht sogar in einer anderen Welt, die mit unserer keinerlei Verbindung hat. Und wer uns mit diesen Leuten vergleichen wollte, der fände bei uns kein Gehör, ja, wäre bei uns „unten durch“! Ich denke darum, auch bei uns hat Jesus es schwer, mit der Botschaft seiner Geschichte durchzu- kommen - wenn wir sie so hören und verstehen, wie wir es bisher getan haben. Aber es gibt eine Sicht auf diese Geschichte, die macht es doch möglich, dass wir uns auf sie einlassen können: Schauen wir auf die beiden Männer, den Pharisäer und den Zöllner, wie sie im Tempel vor dem Al- tar stehen und beten. Gewiss, der Pharisäer hat Gedanken während seines Gebets, die schlimm sind und voll Verachtung für den Zöllner. Aber der Zöllner hat auch seine Schuld mitgebracht, die er täglich an seiner Zollstation erneuert. Beide stehen also da mit ihrer Schuld. Vor Gott hat keiner ei- nen Vorzug vor dem anderen. Und am Ende heißt es nicht, dass dem einen oder anderen diese Schuld vergeben ist, sondern nur: Der Zöllner ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht der Pharisäer. Und das meint nicht mehr als das: Der Zöllner weiß um seine Schuld. Er will nicht ein- mal zum Himmel schauen und schlägt sich vor Scham und Bestürzung über sich selbst an die Brust. Er leidet an seiner Schuld und bereut sie. Der Pharisäer aber kommt nicht einmal auf die Idee, er könnte irgendwie vor Gott nicht in Ordnung sein, könnte sich falsch verhalten und Gott vielleicht auch mit seinem hochmütigen Beten beleidigt haben. Er dünkt sich schuldlos, gerecht und Gott wohlgefällig. Er kennt keine Reue. Darum nimmt er seine Schuld mit nach Hause, auch wenn ihm das sicher nicht bewusst ist. Beide haben also Schuld. Beide sind nicht mit Gott im Reinen! Nur der eine weiß es, der andere nicht. Und ich glaube darum geht es dem Erzähler dieser Geschichte, dass wir das begreifen: Keiner hat dem anderen etwas voraus. Keine ist besser als die andere. Ja, vielleicht ist es diese Wahrheit, die hier aufleuchtet, die Paulus später in diese Worte gekleidet hat: „Denn es ist hier kein Unterschied: sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten ...“ (Röm. 3,22cf). Aber genau mit dieser Wahrheit hatten der Pharisäer und sicher auch der Zöllner damals große Schwierigkeiten - und verständlicherweise! Sie wussten noch nichts von dem Herrn, der für sie ans Kreuz gehen würde. Sie konnten nicht wissen, wie Gott durch seinen Sohn alle Menschen erst in ihrer Schuld gleich macht und dann durch Christi Leiden und Tod gerecht spricht. Ja, es war ihnen von ihrer Religion her ganz fremd, dass nicht das eigene Opfer, die eigene Leistung ihnen Gottes Vergebung verdient, sondern das Opfer des einen, der die Sünde der Welt auf sich nimmt. Mit einem Wort, sie wussten es nicht und hätten es nicht verstehen können, wie Paulus im Römer- brief seinen Satz über die Sünde und den fehlenden Ruhm bei Gott zu Ende bringt: „... und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.“ (Röm. 3,24) Liebe Gemeinde, auf einmal fällt es uns nicht mehr so schwer, den Pharisäer, der ja nichts von Jesus Christus weiß, zu verstehen. Und auch für die frommen Zuhörer können wir jetzt mehr Verständnis aufbringen: Woher sollen ihnen denn schon solche Wahrheiten in den Sinn kommen, wie sie Paulus viel später verkündet? Sie erkennen ja nicht, wer da leibhaftig vor ihnen steht. Der Zöllner macht uns schon gar keine Probleme, dass wir sein Verhalten nachvollziehen können. Er hat ja auch wirklich allen Grund, sich zu schämen und den Blick zu senken, wenn er seine Landsleute betrügt und übers Ohr haut. Wenn wir uns nun selbst betrachten, sollten wir allerdings nicht so großzügig sein, denn wir kennen den Herrn Jesus Christus und bekennen uns zu ihm, der uns alle gleichermaßen zu Sündern macht und uns alle durch sein Opfer am Kreuz erlöst von Sünde, Tod und Teufel. Wir wissen es: Keiner hat dem anderen etwas voraus. Keine ist besser als die andere. Aus uns selbst haben wir alle Grund, den Blick zu senken, uns an die Brust zu schlagen und zu sprechen: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Durch das Verdienst Jesu Christi aber erhöht uns Gott, zieht uns heraus aus Sünde und Schuld und spricht uns frei. Jetzt hat in unserem Herzen weder der Hochmut des Pharisäers, noch die Zerknirschung des Zöllners einen Platz - nur die Dankbarkeit! AMEN