Predigt zum Sonntag „Rogate“ - 17.5.2009 Textlesung: Jh. 16,23b-28 (29-32) 33 An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben. Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei. Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Zeit, dass ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater. An jenem Tage werdet ihr bitten in mei- nem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten will; denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin. Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater. Sprechen zu ihm seine Jünger: Siehe, nun redest du frei heraus und nicht mehr in Bildern. Nun wissen wir, dass du alle Dinge weißt und bedarfst dessen nicht, dass dich jemand fragt. Darum glauben wir, dass du von Gott ausgegangen bist. Jesus antwortete ihnen: Jetzt glaubt ihr? Siehe, es kommt die Stunde und ist schon gekommen, dass ihr zerstreut werdet, ein jeder in das Seine, und mich allein lasst. Aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir. Das habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden. Liebe Gemeinde! Wir hören hier so viele gute Gedanken: Dass ein Tag kommt, an dem alle Fragen beantwortet wer- den und uns nicht mehr in Bildern, sondern frei heraus von Gott verkündigt wird. Dass wir in Jesu Namen bitten dürfen und uns gegeben wird, was wir brauchen. Dass wir einmal vollkommene Freude haben werden. Dass der Vater uns lieb hat und Jesus von ihm ausgeht und zu ihm zurück- kehrt. Trotzdem, ich weiß nicht wie es Ihnen da geht, für mich ist der letzte Satz der wichtigste in diesen Versen. Er spricht mich am meisten an und schenkt mir inneren Frieden: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Wie viele Konfirmanden mögen wohl schon mit diesem Vers als Konfirmationsspruch eingesegnet worden sein? In wie vielen Beerdigungsansprachen mag dieses Wort schon im Mittelpunkt gestan- den haben? Und in wie vielen Krankenzimmern hängt dieser Spruch wohl als Schmuckblatt an der Wand und wie vielen Kranken, die ihn dort in ihren schweren Tagen gelesen haben, hat er wohl Trost geschenkt in ihren Ängsten vor einer Operation oder doch wieder neue Zuversicht, nach einer schlimmen Diagnose? Ich glaube, es spricht viel dafür, dass wir die Worte Jesu, die wir eben gehört haben, jetzt sozusa- gen von hinten, von diesem wunderbaren Vers her lesen und verstehen: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Es ist ein mächtiges Wort! Ähnlich wie das Psalmwort: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln!“ (Ps. 23,1). Wie noch manche andere Bibelworte bewirkt es etwas, wenn wir es lesen, vorlesen oder hören. Solche Worte verändern die Situation. Viele Seelsorger und Seelsorgerinnen oder auch Familienangehörige von schwer leidenden oder sterbenden Menschen können davon er- zählen. Da mag ein Schwerkranker vielleicht kaum noch reagieren, wenn er angesprochen wird, wenn er ein solches Wort hört, dann spüren wir es: Er nimmt es auf. Es kommt an und es geht hi- nein in die Tiefe seiner Seele. Und es wird ganz persönlich genommen, so als wäre es für diesen Menschen gesagt - und das ist es ja auch: „... sei getrost, ich habe die Welt überwunden!“ Und da mag ein anderer Mensch in einer schlimmen Notsituation sein und vielleicht hat er viele Jahre oder gar Jahrzehnte keinen Kontakt mit dem Evangelium gehabt und sein Glaube ist seit der Konfirmandenzeit wie verschüttet gewesen, wenn einer in seine Not hinein jetzt solch ein Wort spricht, dann wird es dieser Mensch nicht als „frommen Spruch“ abtun, sondern dankbar sein und dieses Wort gern aufnehmen und hoffentlich auch so verstehen, als gälte sein Trost gerade ihm - denn so ist es: „Du musst keine Angst haben, ich habe auch für dich alle Not dieser Welt bestan- den.“ Aber warum haben solche Worte so viel Macht? Und warum erreichen uns andere Worte nur schwer oder gar nicht? - Da muss ich an die Gedichte denken, die ich - wie sicher viele von uns - in der Schule lesen, behandeln und auswendig lernen musste. Da gibt es das doch genau so: Ein be- stimmtes Gedicht hat uns im Innern erreicht. Hat uns angesprochen und gefallen. Und wir konnten uns seine Verse gut behalten - manchmal bis heute. Ich bin nun gewiss nicht beispielhaft für uns al- le. Aber ich glaube, wenn ich jetzt einmal so ein paar Zeilen sage, die bis heute in meiner Erinnerung geblieben sind, wird doch deutlich, woran es wohl liegt, dass manche Worte tiefer gehen und intensiver zu uns sprechen als andere: Zuerst fällt mir der „Panther“ von Rilke ein und darin beson- ders diese Zeilen: „Sein Blick ist vom Vorübergeh’n der Stäbe so müd’ geworden, dass er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe, und hinter tausend Stäben keine Welt ...“ Hier wird mein Gefühl aufgerufen. Ich kann mich hineinversetzen in dieses große, wunderschöne „wilde“ Tier, dass jetzt gefangen ist und ein kleines, trostloses Leben hinter Gittern führen muss. Und Ludwig Uhlands Gedichtzeilen fallen mir ein: „Die linden Lüfte sind erwacht; sie säuseln und weben Tag und Nacht ...“ Auch hier kann ich nachfühlen, was er beschreibt. Und uns allen fällt das ja in diesen Frühlingstagen nicht schwer, hier mitzugehen, mitzuempfinden, wie die Natur draußen ihr herrliches und doch geheimnisvolles Werk tut. Und noch einige Verse aus den Gedichten meiner Schulzeit könnte ich zitieren. Immer würden sie das selbe sagen: „Gefühl“ ist dafür das Stichwort. Solche Verse zielen nicht auf den Verstand. Sie gehen ein in die Tiefe unserer Seele. Und was tiefer geht, bleibt uns auch länger im Gedächtnis erhalten. Und was unsere Seele erreicht, kann viel mehr bewirken als das, was nur unser Ohr findet! „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Bei diesem Wort ist es ähnlich. Auch hier hört nicht nur das Ohr, sondern unsere Seele. So kann es seine Kraft entfalten und das auch tun, wovon es spricht: Trost schenken, die Angst vertreiben, Mut geben ... Aber es gibt noch einen wichtigen Unterschied bei diesem und anderen Bibelworten zu den Ge- dichtzeilen, die wir vielleicht seit unserer Kindheit und Jugend in uns tragen: Es spricht hier nicht irgendein Dichter, es spricht ein Glaubender, wie etwa beim Psalm 23: „Der Herr ist mein Hirte ....“ Und es spricht eben nicht der Seelsorger oder der Angehörige, sondern der Herr und Heiland aller Menschen selbst: „... seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Was in diesen Worten zum „Gefühl“, das sie ansprechen, hinzu kommt, will ich einmal das „glaubhafte Zeugnis“ nennen. Das gilt etwa bei Psalmworten: Der Beter des Psalms, der da spricht, der steht uns auch dafür mit seiner ganzen Person ein, dass „der Herr, sein Hirte ist“! Er hat das er- lebt! Seine Erfahrung ist, dass Gott ihn durch die dunklen Lebenstäler geführt hat, ihm immer wie- der den rechten Weg gezeigt, ihn mit frischem Wasser getränkt und ihm viel Gutes getan hat. Aber noch mehr, viel mehr liegt in dem, was uns Jesus selbst sagt: „Seid getrost“! Was hier aus- macht, dass mit dieses Wort ganz tief in die Seele geht, ist die „Vollmacht“, die Jesus hat. Er spricht nicht nur diese Worte, er hat sich selbst zum Beleg für ihre Wahrheit gemacht, machen las- sen. Er hat dafür gelitten, dass wir „keine Angst haben müssen“. Er hat mit seinem Sterben am Kreuz diese „Welt selbst überwunden“. Er steht uns mit seiner Auferstehung dafür ein, dass wir den größten Trost empfangen können, der überhaupt denkbar ist: Dass der Tod nicht das Ende, sondern der Anfang des Lebens ist. „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Wer dieses wun- derbare Wort hört, wem dieser Vers tief in die Seele fällt, der hat eigentlich alles gefunden oder besser: geschenkt bekommen, was uns im Leben und im Sterben wirklich wichtig ist, nämlich den „Frieden“, den Jesus allein schenken kann. Alles andere erscheint da wie eine sicher sehr schöne, aber dagegen doch weniger wichtige Zutat: Dass ein Tag kommt, an dem alle Fragen beantwortet werden und uns nicht mehr in Bildern, son- dern frei heraus von Gott verkündigt wird. Dass wir in Jesu Namen bitten dürfen und uns gegeben wird, was wir brauchen. Dass wir einmal vollkommene Freude haben werden. Dass der Vater uns lieb hat und Jesus von ihm ausgeht und zu ihm zurückkehrt. Liebe Gemeinde, halten wir das fest in unserem Herzen, dass diese Welt uns nicht mehr schrecken muss, dass unser Herr alles Böse, Belastende, Bedrückende und Ängstigende dieser Zeit schon be- standen hat, dass es uns also nicht mehr überwältigen kann, nicht mehr in die Verzweiflung treiben und nicht mehr den Mut nehmen kann. Jesu Auferstehung hat auch uns schon den Himmel aufge- schlossen! Hören wir doch: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt über- wunden.“ AMEN