Predigt zum So. „Quasimodogeniti“ - 19.4.2009 Textlesung: Jh. 20, 19 - 29 Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen ver- schlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch! Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen. Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten. Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich's nicht glauben. Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch! Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben! Liebe Gemeinde! Als der Evangelist Johannes sein Evangelium aufgeschrieben hat, gab es schon bald 70 Jahre chris- tliche Gemeinden. Anders als die anderen drei Evangeliumsschreiber (Markus, Matthäus und Lu- kas) hat Johannes also eine viel längere Erfahrung mit dem, was in den Gemeinden so gedacht, ge- redet und gefragt wurde. Die Sammlung von Geschichten, die er mit seinem Buch vorlegt, kann al- so auch auf dieses Denken und die Fragen der Christen eingehen. Das tut Johannes mit der Ge- schichte, die wir eben gehört haben - sie ist übrigens eine der letzten seines Evangeliums - auf ganz besondere, wir können sagen: seelsorgerliche Weise. Anders als wir es heute halten, war - wie auch schon für die Juden - für die frühen Christen der wöchentliche Feiertag, also der Sonntag, der erste Tag der Woche. Er war der Tag der Auferste- hung Jesu Christi und darum des Gottesdienstes und der Mahlfeier. Je länger die Auferstehung zurücklag, umso drängender war nun die Frage geworden: Warum ist der Herr nicht auch leibhaftig unter uns, wie er es doch bei den Jüngern gewesen ist? Anders gefragt: Warum durften die Men- schen Jesus - als er noch über diese Erde ging - sehen, wir aber dürfen ihn nicht sehen? Und noch einmal anders stellte sich die Frage so: Warum müssen wir glauben, ohne zu sehen und warum durften die ersten Nachfolger Jesu sehen und dann glauben? Dieser Fragen nimmt sich der Evangelist in unserer Geschichte an: „Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen ver- schlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!“ Es war der Abend des Auferstehungstages, also des Sonntags und die Jünger waren „versammelt“ zum Gottesdienst, so wie die Christen späterer Jahre auch. Obgleich die Türen verschlossen sind, tritt Jesus unter sie. - Aber ist das (noch) Jesus, der mit ihnen durch das jüdische Land gewandert war, der wie sie vom Bettel gelebt und wie ein Mensch unter der Hitze, den beschwerlichen Wegen und der Mühsal des einfachen Lebens gelitten hatte? Er geht durch verschlossene Türen! „Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.“ Ähnlich wie bei den Emmausjüngern das Brotbrechen Klarheit schafft, wer mit ihnen am Tisch sitzt, so braucht es auch hier ein Zeichen, dass die Jünger begreifen, wer vor ihnen steht: Er zeigt ihnen die Wundmale an den Händen und der Seite. Jetzt erst erkennen sie ihn und werden froh. Es ist also wohl Jesus, den sie sehen - und er ist doch auch schon ein anderer! „Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ Nein, er ist nicht Gott: Der Vater hat ihn nur gesandt. Aber er ist auch nicht nur ein Mensch, denn er kann den Heiligen Geist schenken. Und er hat selbst die Vollmacht, Sünden zu vergeben und - noch viel mehr! - er kann diese Vollmacht auch anderen weitergeben. Jesus Christus - einer zwis- chen Himmel und Erde, zwischen Gott und den Menschen. Denken wir daran: Er ist noch nicht aufgefahren zum Vater! „Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich's nicht glauben.“ Wir können das Thomas sicher nicht verdenken: Er hat IHN nicht gesehen, also kann er seine Au- ferstehung nicht glauben. Geht es uns nicht oft ähnlich: Da hören wir von Jesu Taten, wie er Wasser zu Wein gemacht hat, wie er auf dem See gewandelt ist, wie er Kranke geheilt und sogar Tote aus dem Grab gerufen hat ... Und wir können es doch auch nicht glauben. Dann wünschen wir uns wohl auch, dass er vor uns hintritt und uns sein Hände und seine Seite zeigt, dass wir ihm glauben und vertrauen. Aber wie soll das gehen? Er ist doch heute nicht mehr leiblich unter uns. Nach seiner Himmelfahrt gehört er in die neue Welt Gottes. Was bei uns geblieben ist und bei uns bleibt ist seine Liebe und der Heilige Geist, mit dem er uns immer wieder sagt, was wir tun sollen und die Richtung zeigt, in die wir gehen können. Und doch ist auch seine Kraft unter uns mächtig! „Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt, und Thomas war bei ih- nen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch!“ Ein allerletztes Mal tritt Christus unter seine Jünger. Nun ist es sein Friedensgruß, an dem sie ihn erkennen. Und sie werden es geahnt haben, warum der Herr noch einmal zu ihnen kommt: Es geht um eine ganz große Gnade, die er einem von ihnen erweisen will. Noch einmal, ein letztes Mal, of- fenbart sich der Herr in der Menschenwelt. „Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!“ Aber diese Gnade, die Wundmale Jesu berühren zu dürfen, wird dem Thomas auch sehr peinlich gewesen sein. Vielleicht hat er gedacht: Warum habe ich denn den Worten meiner Freunde nicht vertraut? Oder: Warum konnte ich denn dem Herrn selbst nicht glauben; er hat es doch wieder und wieder gesagt, dass er sterben muss - und auch, dass er am dritten Tag auferstehen wird? Aber bei aller Beschäftigung mit den Gedanken des Thomas, bei allem Verständnis für seinen bi- sherigen Unglauben und aller Freude darüber, dass Christus ihn würdigt, dass er ihn noch einmal aufsucht ... Wir wollen auch die Worte wahrnehmen, die Thomas sagt, denn die sind ungeheuerlich und gehen weit über alles hinaus, was wir bisher in den anderen Evangelien und auch dem des Jo- hannes haben lesen können: „Mein Herr und mein Gott!“ Noch nie hat Jesus irgendein Mensch mit „Gott“ angesprochen! Für jüdische Ohren und Herzen eine Unmöglichkeit! Vielleicht hören wir ja in unserem Inneren jetzt die Stimme des Hohenpriesters Kephas, wie er nach der Gefangennahme in Gethsemane Jesus befragt: „Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, dass du uns sagst, ob du der Christus bist, der Sohn Gottes.“ (Mt. 26,63) Und wir erinnern uns, das dies genau das Be- kenntnis des Petrus war, als Jesus ihn fragt, für wen er ihn hält: „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“ Thomas aber geht noch weit darüber hinaus: „Mein Herr und mein Gott!“ Und er sagt damit, du bist selbst Gott! Wir begreifen daran, warum wir Jesus seitdem und bis heute nicht leibhaftig sehen können, denn Gott kann niemand sehen, denn vor seinem Angesicht müssten wir vergehen, denn keiner bleibt am Leben, der Gottes Angesicht sieht. (Ex. 33,18-23) „Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“ Hier wird sie nun beantwortet, die Frage, wie sie schon die ersten Christen gestellt haben, die Frage auch, die uns immer wieder einmal in den Sinn kommt, wenn wir meinen, es fiele uns doch der Glaube leichter, wenn wir Jesus selbst vor Augen hätten und sehen könnten. Und die Antwort überrascht uns vielleicht, denn sie lobt ausdrücklich die, deren Vertrauen zu Jesus Christus auf dem Glauben ruht, der nicht sieht! Der Evangelist Johannes will den Christen damals, aber auch uns heute das Gefühl nehmen, wir wären durch den Abstand der Zeit oder durch die fehlende Begegnung mit dem Jesus des Evange- liums irgendwie im Nachteil. Einmal musste die Geschichte Gottes mit seinen Menschen in der konkreten Welt spielen. Einmal musste Jesus in dieser Welt geboren werden, seine Worte sagen, seinen Weg gehen und für alle Menschen leiden und sterben. Einmal musste Gottes Heilsplan Fleisch und die Erlösung seiner Menschen vollbracht werden. Das ist in den ersten 30 Jahren unser- er Zeitrechnung gewesen. Seit der Himmelfahrt aber ist Jesus Christus dort, von wo er ausging: Beim Vater. Nun aber gilt: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“ Liebe Gemeinde, bedauern wir nicht, was wir nicht haben. Klagen wir nicht, dass wir Jesus nicht mehr mit unseren Augen sehen dürfen. Freuen wir uns vielmehr daran, was wir haben: Den Sonn- tag, an dem wir in der Gemeinschaft der Mitchristen zusammenkommen, in dem Jesus Christus selbst, auch wenn wir ihn nicht sehen, bei uns ist und wir als seine Gäste das Mahl feiern. Auch ha- ben wir Jesu Worte in der Bibel, seinen Segen in der Taufe, seine Kraft in allem, was wir in seinem Namen beginnen und vollenden. Und noch eins haben wir: Wir dürfen uns darauf freuen, dass wir IHN einmal mit unseren Augen sehen werden - am Ende unserer Tage und dieser Welt. AMEN