Predigt am Altjahrsabend - 31.12.2008 (Heute soll der Predigttext zum Altjahrsabend, Lk. 12, 35-40, als Schriftlesung gelesen werden. Der Text korrespondiert dem des Tagesspruchs, der heute Predigttext sein soll.) Lassen wir uns einstimmen in die Gedanken dieser Predigt durch den Spruch für diesen Tag: Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte. Ps. 103,8 Liebe Gemeinde! Wie ein großes Haus mit vielen, vielen Räumen ist unser Leben. Wir gehen durch dieses Haus, öff- nen eine Tür nach der anderen, 60-, 70- oder gar 80-mal tut sich eine neue Tür auf. Wir durch- schreiten die unbekannten Zimmer dahinter, nehmen in uns auf, was jeder Raum an Neuem, Schö- nem oder auch Schwerem für uns bereithält, halten uns ein ganzes Jahr in ihm auf und stehen dann, wenn wir alles im Zimmer kennen gelernt und erfahren haben, an einer weiteren Tür. Heute soll sie sich öffnen. Aber wir zögern noch. Was werden wir sehen, wenn sich der Türspalt weitet? Wird der neue Raum Glück und Freude bieten? Wird Trauer und Schmerz auf uns warten? Wem werden wir begegnen, von wem werden wir uns trennen müssen? Wird auf der anderen Seite des Zimmers für uns noch eine Tür sein? Schauen wir uns, bevor wir öffnen und über die Schwelle gehen, noch einmal in dem Zimmer um, das wir jetzt verlassen wollen: Ganz hinten, auf der anderen Seite des Raums, schon fast im Dun- kel, stehen all die guten Vorsätze, die wir vor 12 Monaten fassten. Dies und das wollten wir lassen. Diesen und jenen wollten wir besuchen. Unser Leben sollte mehr Tiefe bekommen: Wir hatten vor, mehr aus Gottes Wort heraus zu denken, zu entscheiden und zu arbeiten. Überhaupt wollten wir IHM bei uns mehr Platz und Bedeutung einräumen. Das wirklich Wesentliche sollte uns mehr be- stimmen und. nicht so sehr die eigenen Interessen, die äußerlichen Dinge, der Kram dieser Welt. Unseren Eigensinn und unsere Ichsucht wollten wir zurückdrängen; auch für andere sollte unser Leben Frucht tragen ... Wie viel davon ist wahr geworden? Was davon hat uns wirklich durch die vergangenen 365 Tage hindurch bestimmt und begleitet? Dort drüben, ganz im Licht des Raums, erkennen wir all die frohen Erlebnisse, die gelungenen Stunden, die Freude, was uns glücklich gemacht hat: Die Erfahrungen der Liebe zu einem Men- schen, die guten Worte, die wir gewechselt haben, die Hilfe, die uns zuteil geworden ist, der über- raschend günstige Ausgang einer Sache, die uns Sorgen machte, die Zusage, die unsere berufliche Zukunft öffnete, das gesunde Kind, der Enkel, der uns geschenkt wurde. Dorthin, wo all diese schönen Dinge stehen, schauen wir gern. Das hat uns froh gestimmt, unser Herz leicht und frei ge- macht, Tage des Glücks waren das. Haben wir eigentlich immer für alles gedankt, was wir da. empfangen durften? War uns das ein Lob des Gebers aller guten Gaben wert, oder ist uns vieles davon nicht als unser eigenes Verdienst erschienen, Erfolge, die uns zustanden, unsere Arbeit, unsere Leistung? Und wo hat uns die Dankbarkeit so bewegt, dass wir, was wir erhalten haben, dann auch weitergeschenkt hätten? Aber hat er denn wohl nicht das erreichen wollen bei uns, der gnädige Geber all dieser Geschenke, dass wir davon weiterreichen? Waren wir ihm das nicht schuldig, dem Gott aller Güte, dem Herrn unseres Lebenshauses, dem Herrn jedes Raumes, den wir darin durchschreiten, dem Herrn unserer Jahre? Da, an jene düstere Wand, haben wir alle schlimmen, belastenden Erfahrungen gestellt. Gern bli- cken wir nicht dorthin. Das war die schwere Zeit, in der es uns so schlecht ging, wo wir nicht wuss- ten, wie es weitergehen sollte, wo uns fast die Luft ausging und unser Glaube an den guten Gott dem Zweifel gewichen ist. Dort sind auch all die bösen Momente des vergangenen Jahres: Die Mi- nuten der Angst, die Stunden der Schwermut, die Augenblicke des Ärgers, des Zorns, der Wut ... In jedem Raum, den wir bis heute durchmessen haben, blieb auch Schlimmes und Dunkles zurück. Immer war, immer ist das so. Aber, wollten wir das Schwere nicht auch aus der Hand Gottes neh- men? Wollten wir nicht alles, was wir erleben, vor ihm bedenken, seine Stimme darin hören, die Winke seiner Hand erkennen? Und wollten wir alles, was uns widerfährt, nicht auch im Gebet vor ihm ausbreiten, vor seinem Wort prüfen und von ihm Hilfe und Weisung empfangen? Wie viel von allem, was wir vorhatten im vergangenen Jahr, ist wahr geworden? Oder: Wie wenig?! Barmherzig und gnädig; ist der Herr, geduldig und von großer Güte. Wieder stehen wir an einer neuen Tür. Bald soll sie sich auftun. Was werden wir hinter ihr erblicken? Liebe Gemeinde am Altjahrsabend! Es wird von uns selbst abhängen, was uns der neue Raum bringt: Immer war es ja unsere Trägheit, unser rasches Vergessen, wenn Vorsätze nicht Wirklichkeit wurden. Immer ist es unser Undank und unser Stolz gewesen, wenn wir kein Lob des Gebers über die Lippen brachten. Und immer war’s unser starres Aus-uns-selbst-leben-Wollen, wenn wir nicht auf Gottes Stimme geachtet und die Hände nicht gefaltet haben. Wir haben den Raum, den wir verlassen, mitgestaltet. Was jetzt zu- rückbleibt, viel daran ist auch unser Werk und Wollen. Und so wird es hinter der nächsten Tür auch sein: Wir werden Dinge, Erfahrungen und Erlebnisse vorfinden - aber wir werden es sein, die mit ihnen umgehen, fertig werden sollen. Alles ist noch unbestimmt und offen, hinter der Schwelle. Nichts ist festgelegt - nur das eine: Der Herr des Hau- ses, der uns in seiner Güte heute einen neuen Lebens-Raum öffnet, will bei allem mit dabei sein! Er bietet uns heute seine Begleitung an. Er schenkt uns heute neue Möglichkeiten, neue Chancen: Das kann nun das Jahr werden, in dem deine Vorsätze wirklich werden. Heute können wir den ers- ten Schritt In eine Zukunft tun, in der wir in Dank und Bitte mit ihm leben. Das kommende kann das Zimmer unseres Lebens sein, in dem die wichtigsten Entscheidungen getroffen und die tiefsten, beglückendsten Erfahrungen gemacht werden! Alles ist noch offen hinter der Tür. Es kommt so viel darauf an, was wir, mit dem was wir vorfinden, wollen und tun! Es kann das Jahr für uns werden. Jetzt haben wir die Klinke der Tür in der Hand. Gleich werden wir sie herunterdrücken. Lasst uns jetzt alles, was uns so ängstlich macht, an der Schwelle ablegen: Die Zweifel, ob es wohl im kom- menden Jahr besser werden kann mit uns und unserem Leben. Die furchtsame Erwartung, was der neue Raum wohl an Schwerem und Bedrängendem enthalten mag. Das Urteil über uns selbst: „Ich kann mich nicht mehr ändern.“ Lassen wir all das jetzt an der Schwelle von uns abfallen. Es soll uns nicht mehr belasten. Wir sind frei. Wir treten ein in den neuen Raum unseres Lebens und danken Gott. 365 Tage misst das neue Zimmer. An jedem Tag will Gott mit uns sein. Mit ihn können wir jeden neuen Raum getrost betreten und durchschreiten. Ihm gehört das ganze Haus. Es liegt an uns, IHM seinen Platz In jedem Zimmer zu lassen. Wo ER mit uns lebt und arbeitet, weicht alle Furcht. Und selbst, wenn wir aus diesem Haus in ein anderes gehen müssen, geht er mit uns und hat uns das neue schon bereitet. Wirklich: Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte! AMEN