Predigt am Reformationsfest - 31.10.2002 Textlesung: Phil. 2, 12 - 13 Also, meine Lieben, - wie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, nicht allein in meiner Gegenwart, sondern jetzt noch viel mehr in meiner Abwesenheit, - schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Denn Gott ist's, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen. Liebe Gemeinde! Ganz ehrlich gesagt: Ich habe dieses Pauluswort auch nicht begriffen. Gleich nicht und später auch nicht. Das ist wohl auch für den Kopf nicht zu verstehen: ...schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Und: Gott ist es, der in euch beides wirkt, das Wollen und das Vollbringen... Wie geht denn das zusammen? Wie soll sich das reimen? Wie ist es denn nun: Schaffen wir unsere Seligkeit oder wirkt sie Gott, indem er uns das Wollen und das Erreichen schenkt? Manchem von uns mag ja schon diese Frage ein böhmisches Dorf sein. Darum will ich sie einmal in die kleine Münze unseres Alltags umwechseln. Darum geht es hier: Kommt am Ende aus unserem Leben mit all seinem Schuften und Schaffen, seinem Tun und Erwerben irgendetwas Bleibendes her- aus? Oder zerfällt alles - und auch ich - zu Staub, den die Ewigkeit ins Vergessen weht? Und der Kern der Frage heißt: Kann ich selbst irgendetwas tun, was mir mein Leben ewig bewahrt oder ist das alles Gottes Geschenk? Das war etwa auch die Frage, die Martin Luther vor bald 500 Jahren bewegt hat. Er hat eine Ant- wort gegeben, die dann die Reformation hervorgebracht hat, der wir heute gedenken. Seine Antwort war: "Nein, wir können selbst gar nichts tun, um vor Gott ewig zu bleiben. Wir brauchen es auch nicht. Jesus Christus, der Sohn Gottes, hat unser ewiges Leben am Kreuz verdient. Niemand sonst. Wenn wir es endlich aufgeben, uns Gottes Wohlwollen durch Taten zu verdienen und nur ihm ver- trauen, dann schenkt er uns die Ewigkeit." Soweit, so gut. Aber wie reimt sich dazu denn dieses Wort: ...schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern? Wir können doch nichts schaffen, was vor Gott gilt. Christus hat doch schon alles geschafft! Ja, nicht einmal wollen können wir irgendet- was, was Gott gefällt, geschweige denn vollbringen! - Nicht wahr, arg schwierig diese Gedanken! Für den Kopf - und nur für den Kopf! Es geht aber hier - wie in anderen Fragen auch - um ein Ver- stehen mit dem Herzen. Und unser Herz kann viel mehr begreifen als unser Verstand! Es gibt da ei- nen Bereich unseres Lebens,, da läßt sich das wunderbar verdeutlichen, wieviel mehr "Verstand" un- ser Herz hat: Die Liebe! Wie ist das denn, wenn wir uns verlieben? Haben wir das dann selbst "gemacht", geschaffen, wie es hier heißt? War das unser Werk, wenn wir durch die Anziehung eines anderen Menschen entflammt werden, war das gar das Werk unseres Kopfes? Haben wir zu uns gesprochen: Ich will jetzt diesen Menschen lieben und all die innigen Gefühle für ihn empfinden, die uns miteinmal überkommen? Nein! Wir können ja gar nicht anders, als ihn lieben, diesen Menschen, der uns, wer weiß woher, so schön, so liebenswert, so einzig und wunderbar erscheint! Und wenn wir unserer Liebe Ausdruck geben in Sprache und Berührung, wenn wir nur noch das Glück des anderen wollen und uns selbst verschenken, kommt das nicht auch aus dieser Liebe, die uns da ergriffen hat wie eine unwiderstehli- che Macht? Ist also nicht alles, das Wollen und das Vollbringen von außen gewirkt, von der Liebe selbst, wir wissen gar nicht wie...? Und trotzdem schaffen wir doch mit an dieser Liebe! Wir suchen mit unserem Geist und unseren Sinnen, wie wir unsere Liebe noch besser ausdrücken können! Wir wollen die Freude des geliebten Menschen noch größer machen, wir bemühen uns um jede Aufmerksamkeit, strengen die Gaben un- seres Kopfes und all unsere Talente an, daß nur ja alles geschieht, was den Geliebten noch froher und noch glücklicher sein läßt! Und ist nicht auch Furcht und Zittern beteiligt bei der Liebe? Daß ich nur ja nichts versäume, was diesen Menschen froh machen kann! Daß nur nichts seine Freude trübt, daß vielmehr sein Glück vollkommen ist und wir zusammen in vollendeter Liebe und Harmonie le- ben können! Wirklich, für die Liebe trifft das alles zu: Von außen kommt mir das Wollen und das Vollbringen. Und doch bin ich auch beteiligt, doch schaffe ich auch selbst mit am Werden und Wachsen der Liebe. Und selbst die Furcht und das Zittern werde ich fühlen, wenn mich die Liebe gepackt hat und ich sie nun meinerseits werden und wachsen lasse. Unser Herz begreift den ver- meintlichen Widerspruch. Alles paßt zusammen! Und gerade so im Glauben! Genauso geht es bei den Dingen Gottes, wenn ich frage, wie ich denn vor Gott ewig bleibe und selig werde! Unser Herz kann verstehen, auch hier. Vielleicht begreift es, daß der Glaube, den es geschenkt bekommen hat, wirklich eine reine Gottes- gabe war! Vielleicht staunt es, warum es ausgerechnet von Gott ausgewählt wurde, von der Hoff- nung über den Tod hinaus zu zeugen. Vielleicht wundert es sich, wieso gerade solch ein Herz so gewiß sein kann, daß es einen guten Gott im Himmel gibt? Denn woher kommt das, wenn ein Mensch glauben kann und hoffen kann und dann auch lieben kann? Wo rührt das her, daß einer sagt: "Mein Heiland Jesus Christus lebt!" und ein anderer spricht: "Das ist alles Humbug, eine Lüge der Pfaffen!" Haben wir das selbst gemacht? Oder kam uns dieses Geschenk nicht von woanders her? Wirkt Gott nicht dieses "Vollbringen"? Aber nicht genug damit: Das "Wollen" kommt auch schon von ihm! Und vielleicht gibt's das ja auch hier - heute morgen - dieses "Wollen"! Wirklich zu glau- ben, Gott zu vertrauen und alles in seine Hände zu legen, ist ja nicht dasselbe wie, das nur zu wollen! Ja, vielleicht gibt es das jetzt hier: Da sitzt ein Mensch unter uns, der kann nicht glauben, der will schon, aber er kann nicht! Ein Mensch, der auf der Suche ist, also. Vielleicht bewegen diesen Men- schen solche Gedanken: Wenn mir Gottes Sache doch nur einmal einleuchten würde! Wenn ich es doch nur fertigbringen könnte, sein Wort gegen meine Angst vor Krankheit und Tod zu setzen! Wenn ich doch zu dieser Zuversicht fände, daß wirklich nach dem Tod noch etwas kommt, etwas Schönes, Herrliches, ein Leben in Gottes Nähe, ohne Ende... So kann es aussehen, dieses Glauben- Wollen, so mag es sich anhören. Und dazu wird uns nun gesagt: Auch dieses "Wollen" wirkt uns Gott! Und vielleicht spüren sie jetzt doch, wie wunderbar doch schon diese Nachricht ist: Wenn ich auch nicht (noch nicht!) glauben kann, Gott hat mich schon auf den Weg gebracht! Schon an mir ge- handelt, hat er, mir schon wenigstens das Wollen geschenkt, hat er! Das ist schon viel! Und wenn sich daraus einmal der Glaube entwickelt, dann war es nicht nur viel, dann war es alles, das Ganze, dann war es der Anfang eines Lebens im Glauben an Gott und im Vertrauen auf seine Verheißungen und in der Zuversicht auf seine ewige Vollendung. Das Wollen ist schon sehr viel! Wie das Vollbrin- gen kommt es uns von Gott her. Darum dürfen wir schon sehr dankbar sein, wenn uns das Wollen geschenkt wurde! Und nun heißt es auch noch - und das scheint ein Widerspruch: Schaffet, daß ihr selig werdet mit Furcht und Zittern. Aber unser Herz versteht auch das: Wenn mir Gott das Wollen oder das Voll- bringen gegeben hat, dann will ich es festhalten, es schätzen und sehr dankbar dafür sein! Ich will mit meinem Glauben arbeiten und Gutes schaffen, so sehr ich kann, mit allen meinen Kräften! Wie die Liebe kann ich ja auch meinen Glauben einsetzen oder ihn brach liegen lassen. Wie bei der Liebe zu einem Menschen kann ich den Glauben pflegen und bewahren, fördern und gedeihen lassen oder ihn in meiner Seele verbergen und verschließen, daß keiner auch nur ahnt, daß ich zu Gott gehöre. (Und es ist sehr die Frage, ob ich ohne Früchte des Glaubens zu Gott gehören kann!) Nein, schaffen sollen wir mit unserem Glauben und an unserem Glauben, daß er immer noch weiter wächst, daß er andere Menschen neugierig macht, daß andere auch von Gott solchen Glauben erbitten. Und selbst "Furcht und Zittern" wird manchmal dabei sein, wenn wir mit unserem Glauben arbeiten! Wie gewaltig groß kann uns manchmal dieses Glaubensgeschenk erscheinen, das wir empfangen durften! Wie unaus- denkbar schrecklich, wenn wir's verlieren würden, verkommen lassen würden oder durch zu seltenen Gebrauch verkümmern ließen! Und wer nun noch nicht glauben kann, aber schon mit dem "Wollen" beschenkt wurde, der weiß noch mehr, daß auch Fürchten und Zagen dazu gehört! Ob mir Gott wohl eines Tages noch mehr gibt als das Wollen? Ob ich immer - sozusagen - vor der Tür des Glaubens bleiben muß? Ob sich diese Tür nicht endlich irgendwann ganz auftut und ich eintreten darf? Nein, der Kopf kann diesen Widerspruch nicht auflösen: Daß Gott alles wirkt, das Wollen und das Vollbringen und daß wir doch auch selbst an unserer Seligkeit schaffen sollen. Der Kopf kann es nicht. Unser Herz kann es. Ich wünsche uns, daß wir sowohl das Wollen als auch das Vollbringen dankbar aus Gottes Hand empfangen. Ich wünsche uns überdies, daß wir dieses Geschenk Gottes hegen und pflegen und ein- setzen, wie und wo wir nur können. So schaffen wir mit an unserer Seele Seligkeit. So begreifen wir, was sich für den Kopf nicht reimt - mit unserem Herzen.