Predigt am 20. So. n. Trinitatis - 13.10.2002 Textlesung: 2. Kor. 3, 3 - 9 Ist doch offenbar geworden, daß ihr ein Brief Christi seid, durch unsern Dienst zubereitet, ge- schrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln, nämlich eure Herzen. Solches Vertrauen aber haben wir durch Christus zu Gott. Nicht daß wir tüchtig sind von uns selber, uns etwas zuzurechnen als von uns sel- ber; sondern daß wir tüchtig sind, ist von Gott, der uns auch tüchtig gemacht hat zu Dienern des neuen Bundes, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig. Wenn aber schon das Amt, das den Tod bringt und das mit Buchstaben in Stein gehauen war, Herr- lichkeit hatte, so daß die Israeliten das Angesicht des Mose nicht ansehen konnten wegen der Herr- lichkeit auf seinem Angesicht, die doch aufhörte, wie sollte nicht viel mehr das Amt, das den Geist gibt, Herrlichkeit haben? Denn wenn das Amt, das zur Verdammnis führt, Herrlichkeit hatte, wieviel mehr hat das Amt, das zur Gerechtigkeit führt, überschwengliche Herrlichkeit. Liebe Gemeinde! Was für ein schönes Bild: Ihr seid ein Brief Christi! Nicht mit Tinte geschrieben, sondern mit dem Geist Gottes. Nicht wie Gottes Gebote für Mose und das Volk Israel auf steinerne Tafeln, sondern auf die Herzen aus Fleisch und Blut. Keine Buchstaben eines menschlichen Alphabets, sondern die Schriftzeichen des Heiligen Geistes. - Wirklich, ein schönes Bild! - - - Liebe Gemeinde, sind wir auch ein Brief Christi? Was steht darin? - Oder kann man in und aus uns mit Buchstaben der Menschen lesen, in der Sprache der Welt? Ich glaube, es gibt beides: Schriftzeichen, die töten, wie es hier heißt, aber auch Zeichen, die der Geist in unsere Herzen schreibt. Ich will einmal ein paar dieser Briefe vorlesen: Zuerst den Brief eines Lebens in den Jahren, die man die "mittleren" nennt: Das Haus steht und ist bald abbezahlt. Ich verdiene gut und kann mir alles leisten. Mein Job ist krisenfest, und meine Frau hat auch immer arbeiten können. Zweimal Urlaub im Jahr, kein Problem. Malediven, Dominikani- sche Republik, nächstes Jahr vielleicht einmal Brasilien? Und sonst? Wie's mit den anderen Men- schen steht? Zugegeben, von den vielen Beziehungen, die wir früher hatten, haben sich nur ganz we- nige gehalten. Naja, unser Lebensstandart... Da können die meisten halt nicht mehr mit, besonders die mit Kindern. Aber wir haben auch viel geschafft. Für uns. Und es gibt schon neidische Blicke der Nachbarn, wenn sie unser Häuschen sehen, unser Haus... Ob ich an Gott glaube? Zunächst einmal glaube ich, daß man in die Hände spucken muß! Geschenkt wird einem nichts! Jeder ist seines Glü- ckes Schmied! Hier ist der Brief eines alten Menschen: Es ist sehr ruhig geworden in meinem Leben. Täglich im- mer wieder die selben Verrichtungen. Eine Woche wie die andere. Manchmal kommt ein Nachbar zu Besuch, oder die Kinder fahren vorbei und sagen mal schnell guten Tag. Ja, hie und da denke ich auch über Gott nach. Aber ich war nie religiös. Ein Kirchgänger schon gar nicht. Und ich will mir da auch treu bleiben. Mir käme das seltsam vor, wenn ich jetzt plötzlich in der Bibel lesen würde oder zum Gottesdienst ginge. Nein, ich will meinen Lauf so beenden, wie ich ihn immer gegangen bin. Wenn ich nur gesund bleibe. Und wenn es am Ende dann einmal schnell geht... Der Lebensbrief einer noch jungen Frau ist da ganz anders: Wie gut ist das doch immer wieder, den Tag mit einem Gebet zu beginnen und zu beschließen. Wie hilft mir doch bei allen Entscheidun- gen wenn ich frage, was möchte Jesus jetzt von mir haben? Und schon der Gedanke, von dem ich eigentlich immer ausgegangen bin, seit ich zum Glauben gefunden habe, ist unendlich wichtig für mich: Was ist die Aufgabe, die ich mit meinem Leben, mit meinen Kräften, mit meinen guten Gaben erfüllen soll in dieser Welt, in meiner Umgebung, meiner Familie...? Und diese wunderbaren Erfah- rungen immer wieder: Daß die Kraft nicht ausgeht! Daß man immer wieder über sich selbst hinaus- wächst und viel mehr fertigbringt, als man sich je zugetraut hat! Doch, es stimmt einfach: Das Leben ist eine Herrlichkeit! Und das gilt, auch wenn ich schon oft ganz schwere Zeiten hatte, Tage, an de- nen ich vor lauter Sorge ganz niedergeschlagen war und Nächte, in denen ich nur geweint habe. Trotzdem: Immer wieder war da ein Weg, ein neuer Morgen mit neuem Mut und frischer Kraft und einer Sonne, die alle trüben Gedanken verscheucht hat. Es ist wunderschön, leben zu dürfen! Und solche Briefe gibt es auch, die sind mehr verhalten und leise: Ich bin weder ein großes Kir- chenlicht, noch ein Glaubensheld. Ich denke vielmehr sicher viel zu wenig darüber nach, warum ich in der Welt bin, ob Gott mit mir etwas vorhat und was? Aber ich fühle mich doch einfach geborgen im Glauben meiner Kindheit und Jugend und bin glücklich, daß ich ihn hinüberretten konnte ins Er- wachsenenalter. Und ich bin meiner Mutter unendlich dankbar dafür, daß sie mir damals diesen Glauben vermittelt hat durch Gebet, im Erzählen, in ihrem Vorbild... Irgendwie ist mein Christentum nicht so bewußt und nach außen sichtbar. Ich könnte, ich sollte mich vielleicht ein wenig mehr am Beispiel Jesu orientieren. So im Alltag, meine ich. Und mich am Sonntag mehr Gottes Wort auszu- setzen, würde mir sicher auch nichts schaden. Ja, vielleicht werde ich da wirklich bald mal einen neuen Anfang setzen? Aber trotzdem, auch heute schon bin ich einfach dankbar, von Gott zu wissen, beten zu dürfen, glauben zu können... Liebe Gemeinde, wir wollen diese Briefe einfach stehenlassen. Mag sein, wir kennen Menschen, de- ren Leben einem der vorgelesenen Briefe entspricht. Mag sein, wir haben uns selbst erkannt? Sicher ist es ein bißchen grob, nun zu sagen: Es gibt (nur) zwei Arten dieser Briefe: Die aus den Buchstaben der Welt und die mit dem Geist Gottes geschriebenen. Aber lassen wir auch das einmal so stehen. Fragen wir vielmehr: Wie wir das beeinflussen können, wer da auf uns schreibt und wie? Denn es ist schon ein harter Satz, den Paulus da sagt: ...der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig. Und sicher möchten wir von daher zu denen gehören, deren Lebensbrief Gottes Geist schreibt! Was können wir dazu tun? Nicht daß wir tüchtig sind von uns selber, uns etwas zuzurechnen als von uns selber; sondern daß wir tüchtig sind, ist von Gott, der uns auch tüchtig gemacht hat. So können wir weiter bei Paulus lesen. Und ganz leicht möchten wir jetzt sagen: Also können wir nichts tun? Denn wir sind ja immer nur so tüchtig, wie Gott uns macht. Und wenn wir es nicht sind, dann wollte Gott halt nicht... Aber jetzt, da wir darüber nachdenken, wird uns gewiß auch dies deutlich: So ist das nicht. So kann das nicht sein! Wir spüren doch z.B. sehr genau, daß wir den Brief, den unser Leben heute darstellt, durchaus auch mit gestalten konnten und können. Wir fühlen das und wissen es, daß wir frei sind, frei genug jedenfalls, heute zu sagen: Ich will nicht mehr, daß nur mit den Buchstaben der Welt auf mir geschrieben wird. Ich will diesen Brief heute zerreißen und einen neuen beginnen, oder sagen wir besser: Ich will zulassen, daß Gottes Geist meinen Lebensbrief schreibt. Und dabei können wir mithelfen! Wir müssen dem Geist sicher nicht die Hand führen, aber wir können die Einrichtung un- seres Lebens verändern, können aus dem ewigen Trott eines Lebens nur für uns selbst ausbrechen, können uns dem Mitmenschen und dem Wort Gottes zuwenden, können unsere Gemeinde entde- cken, uns zu denen halten, die glauben, die sich am Sonntag in der Kirche versammeln. Niemand kann uns das verwehren und jeder ist frei, hier eigene Schritte und auch neue Wege zu gehen. Oder wenn wir schon eher einem Brief gleichen, den Gottes Geist mit einem Leben schreibt, dann können wir selbst noch manches mehr bewirken: Vielleicht den Glauben stärker einsetzen, mehr von dem reden, was uns im Innersten bewegt, noch einiges an Zeit für unsere gute Beziehung zu Gott und den Menschen investieren, mehr nach Gottes Willen fragen und beten... Und wenn da noch ein Zweifel bei uns war, ob wir denn wirklich etwas dazu tun können, daß Gottes Heiliger Geist von uns Besitz ergreift, so wird dieser Zweifel vergehen im Tun, im Üben, im Probie- ren. Ganz und gar schließlich wird uns hier überzeugen, was wir erleben werden. Davon spricht Pau- lus auch; er nennt es "überschwängliche Herrlichkeit"! Wir wollen die Erfahrungen, die wir machen werden, nicht schmälern, wenn wir sagen: Ein Brief zu sein, den Gottes Geist gestaltet hat, ist wun- derbar. Es macht uns zufrieden in unserem Leben. Es gibt uns Geborgenheit und Sinn in unsere Ta- ge. Es nimmt uns die Angst vor der Zukunft und läßt uns zuversichtlich und fröhlich in Gottes Nähe wohnen - wie Kinder bei ihrem Vater. Ihr seid ein Brief Christi, durch unsern Dienst zubereitet, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln, näm- lich eure Herzen. - Wir können daran mitwirken, daß Gottes Geist unseren Lebensbrief schreibt.